Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft 2025
Anton Bruckner Privatuniversität Linz, 13.-15.11.2025
Call for Papers:
Vergessen und Erinnern – Über Gedächtnis und Gedächtniskulturen von Musik
»Glücklich ist, wer vergisst…«i, singen Rosalinde und Alfred in der Fledermaus, und so wird es wohl
im Strauß-Jahr 2025 aus vielerlei Lautsprechern und auf Bühnen Österreichs erschallen –
ironischerweise zum Gedenken an den Komponisten. Auch Tilly889 sucht mit »Liedern um die Welt
zu vergessen« ihr Glück, und zwar im von ihr eröffneten Thread auf einer gängigen Internet-
Plattformii: Das Motiv des Sich-Vergessens oder auch der Weltflucht in und durch Musik könnte
angesichts aktueller krisenhafter Situationen erneut an Bedeutung gewinnen. In der
musikwissenschaftlichen Reflexion ist das explizite Erinnern in und durch Musik bisher häufiger
aufgegriffen wordeniii, ob durch systematische Zugänge, wie in der Analyse kognitiver Prozesse,
oder in kulturwissenschaftlichen Ansätzen; auch in der musikalischen Praxis finden sich gelebte
Memorialpraktiken, z.B. bei Konzertveranstaltungen oder Gedenkjahr-Events.
Erinnern ist, so Aleida Assmann, »immer unwahrscheinlich [und bedarf] großer Anstrengungen
und besonderer Institutionen und Medien«iv. Und so bilden auch in der Musik Vergessen und
Erinnern ein Bezugspaar, in dessen Spannungsfeld sich Gedächtnis und Gedächtniskulturen
formen. Während Vergessen zum cerebralen Alltag gehört und sich durch fehlende
Materialisierung, Destruktion materieller Quellen oder einer abbrechenden Zirkulation von
Kommunikation einstellen kann, wird Erinnern durch den Abruf aus dem Speichergedächtnis
möglich, in dem Materielles wie Immaterielles verwahrt wird (Notendrucke, Aufnahmen, Fanshirts,
Briefwechsel, Tagebucheinträge, Kultobjekte, Instrumente, Zeitungsartikel, wissenschaftliche
Abhandlungen, aber auch Erzählungen, Redewendungen usw.).
Mit Blick auf Gedächtnis und Gedächtniskulturen eröffnen sich musikbezogene Fragen: Was und
wie wird musikalisch erinnert oder vergessen? Was geschieht dabei im Gehirn, und welchen
Einfluss nehmen Emotionen darauf? Wie kann Musik als Trägerin von Erinnerung fungieren oder
mit ihr (und in ihr) Erinnerungen verwischt werden? Wie und warum enden musikbezogene
Erinnerungskommunikationen und wie werden sie wieder aufgegriffen? Nach welchen Kriterien
werden Musikstücke mit Erinnerungspotential ausgewählt, verwahrt und aufbereitet, sodass sie
selbst nicht dem Vergessen anheimfallen?
Angesichts der ungebrochenen Aktualität dieser Fragestellungen möchten wir uns im Rahmen der
Jahrestagung der ÖGMw 2025 mit Institutionen und Medien, den Voraussetzungen und
Handlungen musikbezogener Erinnerung auseinandersetzen, aber auch dem musikalischen
Vergessen einen Platz in der Reflexion einräumen. Dabei laden wir neben allen
musikwissenschaftlichen Teildisziplinen inklusive systematischer Musikwissenschaft,
Musikethnologie und Popmusikforschung auch ausdrücklich die Vertreter*innen von Archiven und
Bibliotheken als mit Strategien der Wissensspeicherung befassten Institutionen ein, sich am Diskurs
zu beteiligen.
Wir freuen uns über Einsendungen u.a. zu folgenden musikbezogenen Themenfeldern, wobei
sowohl österreichspezifische als auch weltweite Kontexte berücksichtig werden können:
• Selektives Erinnern, Weltflucht, Eskapismus: Vergessen mit Musik
• Übersehen und Vergessen: Verschwundene Vergangenheiten
• Musikbezogenes Erinnern/Vergessen und Macht: Marginalisierte Erinnerungen,
geschlechts- und klassenspezifisches Vergessen und Erinnern
• Musik und Kognitive Prozesse: Demenz, Memorieren mit und durch Musik, Üben als
(körperliches) Erinnern
• Affektives Musik-Erinnern: Emotion im musikalischen Erinnerungsprozess; Wahrnehmung,
Wertung und Gedächtnis
• Musikbezogene Praktiken des Erinnerns: Erinnerungen entfachen, Erinnerungen verändern,
Erinnerung löschen
• Musik als therapeutische Intervention in Vergessens- und Erinnerungsprozessen
• Musikalische Erinnerungspolitiken: Musik in Diskursen um ›kulturelles Erbe‹ und als Faktor
erinnerungsbezogener Identitätsbildung
• Verarbeitung von Erinnerung und Verklärung: Nostalgie, Revival, Reenactment in
Musikkulturen
• Archivierung und Digitalisierung von musikbezogenen Erinnerungsträgern
• Materialität des Erinnerns: Präsenz, Spuren, Verlust musikbezogener Dinge
• Musikalische Erinnerungsorte
• Methodische Herausforderungen im thematischen Zusammenhang von »Musik erinnern
und vergessen«
Formate:
• Vortrag: 20 Minuten + 10 Minuten Diskussion
• Roundtable, Podiumsdiskussionen, Gesprächsformate oder Kurzworkshop (30 Minuten)
Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Bitte senden Sie ein Abstract (max. 2.000 Zeichen) unter Angabe des gewünschten Formats (Vortrag,
Projektpräsentation) sowie eine Kurzbiografie (ca. 500 Zeichen) bis zum 30.4.2025 an:
oegmw25@bruckneruni.at
Die Entscheidung über die Annahme fällt bis 20.5.2025 durch eine Jury, bestehend aus
Präsidiumsmitgliedern der ÖGMw (https://oegmw.at) und des Instituts für Theorie und
Geschichte der Anton Bruckner Privatuniversität.
Im Rahmen der Jahrestagung findet auch heuer wieder das Symposium der Jungen
Musikwissenschaft für Studierende statt. Den Call für dieses Symposium finden Sie hier:
Bitte melden Sie sich gerne unter der oben angegebenen E-Mail-Adresse, sollten Sie Fragen haben.
Konzeption und Organisation:Univ.-Prof.in Dr.in Carolin Stahrenberg, Assoz.Univ.-Prof. Dr. Georg Nicklaus, Roman Duffner,
Erin Lupardus, Lukas Mantovan
Anton Bruckner Privatuniversität Linz
Alice-Harnoncourt-Platz 1
4040 Linz
Austria
www.bruckneruni.ac.at
i Strauss, Johann und Genée, Richard. Die Fledermaus: Operette in drei Acten. Clavierauszug für Gesang und Piano
arrang. von Richard Genée. Wien: Friedrich Schreiber, 1874, S. 43.
ii Tilly889: »Lieder um die Welt zu vergessen? Am liebsten englisch und traurig kennt jemand was?«
(21.2.2023). Philipp Graf Montgelas/Michael Amtmann: gutefrage.net, München 2023,
https://www.gutefrage.net/frage/lieder-um-die-welt-zu-vergessen (Abruf 12.1.2025).
iii z.B. Unseld, Melanie. »Erinnerung und Gedächtnis. Einige Vorüberlegungen«. In: Biographie und
Musikgeschichte, 3, S. 39–68. Köln: Böhlau, 2014; Nieper, Lena und Julian Schmitz (Hg.). Musik als Medium der
Erinnerung: Gedächtnis – Geschichte – Gegenwart. Bielefeld: Transcript, 2016; Istvandity, Lauren. »If I Ever Hear
It, It Takes Me Straight Back There: Music, Autobiographical Memory, Space and Place«. In: A Cultural History
of Sound, Memory and the Senses. Milton Park: Routledge, 2017, S. 231–44; Jost, Christofer und Sebald, Gerd
(Hg.). Musik – Kultur – Gedächtnis: Theoretische und analytische Annäherungen an ein Forschungsfeld zwischen den
Disziplinen. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2020; Snyder, Bob. Music and Memory: An Introduction.
Cambridge, Mass: MIT Press, 2000.
iv Assmann, Aleida. Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerung und Geschichtspolitik. München: Beck, 2006,
S. 52.