„Musik und Emblematik in der Frühen Neuzeit"

Osnabrück, 01.-03.12.2011

Von Siegrid Westphal, Osnabrück – 01.03.2012 | Die Paarung Musik und Emblematik hat außer in zwei herausragenden Monographien von Reinhold Hammerstein und Elena Laura Calogero bislang nur wenig Interesse finden können. Grund dafür ist die communis opinio, dass Embleme bimediale Einheiten aus Text(en) und Bild seien und die Musik in ihnen höchstens als ein Sujet unter vielen eine Rolle spielt. Dagegen setzte eine im Dezember am Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit in Osnabrück durchgeführte Tagung die These, dass a) gelegentlich auch Musik als ein drittes Medium und Zeichensystem in das synmediale Bedeutungsspiel integriert werden konnte und b) Komponisten sich die emblematische Denkweise zueigen machten und gezielt auf eine multimediale Produktion und Rezeption setzten.

Wie, wo und unter welchen Umständen das passierte, ob ,Musik' dabei jeweils mehr das klingende Ergebnis oder die musikalische Notation meinte, dem widmeten sich durchaus explorativ und mit vielen Bezügen in das noch relativ neue Forschungsfeld der angewandten Emblematik die einzelnen Beiträge. Der Fokus dabei war sowohl intra- als auch interdisziplinär: einerseits die auch musikanalytisch fruchtbar zu machende Bedeutung der emblematischen Denkweise für die musikalische Produktion der frühen Neuzeit aufzuzeigen, andererseits die Emblematikforschung um eine wichtige Facette zu bereichern.

Ein Ausgangspunkt dafür war Michael Maiers alchemistisches Emblembuch Atalanta fugiens, bei dem pro Seitenaufschlag eine ,klassische' emblematische Trias jeweils einer gegenübersteht, bei der die Pictura durch eine dreistimmige musikalische Notation ersetzt ist. Die Integration von Notenschrift und musikalischer Gattung (hier der arkane Kanon) soll also offenkundig der Codierung alchemistischer Wahrheiten und Prozesse dienen, die sich dem einfachen rationalen Zugriff entziehen. Aber auch die mnemotechnische Funktion der Kombination von knappem Motto, singbarem Text und irritierendem Bild dürfte nicht zu unterschätzen sein.

Bernhard Jahn, Germanist an der Universität Hamburg, begann mit der Vorstellung einer um Embleme bzw. Hieroglyphen gruppierten Kammeroper zum Geburtstag der Kaiserin in Wien: I piramidi d'Egitto von Niccolo Minato und Antonio Draghi (1697). Er verortete die mit dem Werk verbundene soziale und gesellige Praxis zwischen den Serenaten der höfischen Akademie und dem, was Harsdörffer „Frauenzimmer-Gesprächsspiele" nannte, legte die Bedeutung der hieroglyphischen Embleme dar – deren als arkan inszenierter Inhalt kaum über konversationstaugliche aristokratische Lebens- und Verhaltensmaximen hinausgeht – und wies auf die hier nicht nur implizit, sondern explizit vorliegende semiotische Einheit von Text, Bildlichkeit, Inszenierungsmotiven und Vertonung hin.

Tihomir Popovic (Hannover/Osnabrück) untersuchte die repräsentativen Interaktionen von Paratexten und (Noten-)Texten in My Lady Nevells Booke. Dieses wohl am sorgfältigsten geschriebene und angelegte der recht zahlreich in England überlieferten handschriftlichen Notenbücher mit Virginalmusik aus dem 16. und 17. Jahrhundert fällt u.a. durch ein detailreiches Wappenblatt zu Beginn auf. Dem Referenten gelang es durch die sorgfältige Durchsicht des Repertoires und der Biographien plausibel zu machen, dass das Wappen nicht nur ein Besitzhinweis ist, sondern zusammen mit den Notentexten und ihren Titeln quasi-emblematisch ein komplexes und vielschichtiges Selbst-Bild der beiden Eheleute Nevell generiert (Jagd, Krieg und die klassische aristokratische Tradition auf Seiten des Mannes, einen eher intellektuellen, nicht so ausgestellt aristokratischen Habitus auf Seiten der Frau). Die Tatsache, dass das Buch kaum Gebrauchsspuren aufweist, spricht ebenfalls für eine rein repräsentative und keine spielpraktische Benutzung der Sammlung, was die Notation wiederum zu einer Art selbstrepräsentativem Zeichensystem werden ließe.

An einer großen Reihe von musikbezogenen Buchformen – von der Musiksammlung über das Musiklehrbuch bis zu Psaltern und Andachtsbüchern – zeigte dann Inga Mai Groote (Zürich), wie „musikalische Saitenspiele" als Ordnungsprinzipen eingesetzt wurden und dabei zugleich Buchzusammenhänge ganz ähnlich denjenigen von Emblembüchern entstehen. Besondere Aufmerksamkeit widmete sie dabei Titel- und Ordnungsverweisen auf Saiteninstrumente (Harfe, Leier etc.) einerseits, auf Tonsysteme (Hexachord, Heptachord, Dodekachordon etc.) andererseits. Die Funktion solcher emblematischen Layouts reichte dabei von didaktisch-mnemotechnischen Absichten über die Zyklusbildung bis zur Legitimation einer reinen Instrumentalmusiksammlung (etwa Pachelbels „Hexachordon Apollinis" oder Kuhnaus „Biblische Historien").

Michael Thimann (Kunstgeschichte, Passau) richtete den Blick noch einmal auf Identitätspolitik mit den Mitteln musikbezogener Emblematik bzw. Impresen. Sein Vortrag war Papst Urban VIII. gewidmet, der zur Kommunizierung und Legitimierung der politischen wie kunstreformerischen Aspekte seines Pontifikats ganz wesentlich auf die Figuren Apoll und David abstellte und dabei insonderheit die mit beiden Gestalten assoziierte Verbindung von fürstlicher Macht mit musikalischem Engagement zu nutzen suchte.

Einen besonders reichhaltigen Fundus musikoemblematischer Prägungen nahm Katelijne Schiltz (München) in den Blick: den der (Rätsel-)Kanons. Ob einer einstimmigen Kanonmelodie zur Auflösung nun ein mottohafter Titel und/oder ein Bild beigegeben war oder Kanones auf großformatigen Einblattdrucken im Zentrum vielschichtiger Bildideen meist religiösen oder moralischen Inhalts standen: Deutlich wurde an diesem Repertoire v.a. die bewusste Nutzung der beiden Funktionsebenen von Musik, der visuellen ihrer Schriftlichkeit wie der (hier freilich meist nur imaginativ präsenten) klanglichen.

Gleich drei Vorträge stellten Bezüge zwischen Andachtspraktiken bzw. -büchern und der musikalischen Emblematik her: Peter Tenhaef (Greifswald) untersuchte das Speculum musio-mortuale des Salzburger Kapellmeisters Adrian Megerle. Das Büchlein, das die Genres Andachtsbuch, Fürbittensammlung, Emblembuch und Kanonsammlung in spezifischer Zuspitzung auf den Kapellmeister Megerle miteinander verbindet, steht in der Tradition den Tod betrachtender Emblembücher und erweitert das dort begegnende Medienspektrum um Bibelverse, Gebete und eben Kompositionen. Die Musik ist hier aber zugleich auch noch in zahlreichen Vanitas-Emblemen präsent, auf denen Musikinstrumente figurieren, die ihrerseits noch nach einer quasi-enzyklopädischen Systematik aufeinander folgen.

Laurenz Lütteken (Zürich) blieb mit seinem Vortrag zu Heinrich Ignaz Franz von Bibers Rosenkranzsonaten in Salzburg und bei der Andachtsfunktion. Die handschriftliche Sammlung stellt jeder einzelnen Sonate bekanntlich ein zuvor ausgeschnittenes und eingeklebtes Emblem aus dem Bereich der drei Geheimnisreihen des Rosenkranzes vorweg und ist wiederum zyklisch organisiert. Lütteken ging zuerst der näherliegenden Idee nach, dass die Musik hier jeweils die Stelle der Subskriptio einnimmt. Aufgrund der im 17. Jahrhundert aber noch relativ großen Unbestimmtheit von Instrumentalmusik kann eigentlich kaum davon die Rede sein, dass Musik zur Erklärung von Bildern taugt (zumal die von Biber verwendeten auch alles andere als emblematische Rätselbilder sind). Aufgrund dessen optierte der Referent dann für eine umgekehrte Konzeptualisierung, also für Musik = Pictura und Bild = Subskriptio, bzw., schwächer ausgedrückt, für eine Konkretisierung und Semantisierung der Musik durch die Bilder und den Gebetskontext. Die beiden Medien gehen dabei, wie für Embleme typisch, aber nicht ineinander auf, sondern lösen in komplementärer wechselseitiger Verstärkung im Geist des Betrachters den gewünschten Andachtsprozess aus.

In ihrem Beitrag über Dieterich Buxtehudes Membra Jesu Nostri bot auch Melanie Wald-Fuhrmann (Berlin) eine Lesart an, die die Musik, und hier besonders die instrumentalmusikalischen Passagen der Kantaten, an die Stelle des emblematischen Rätselbildes setzte, das es durch die anderen Zeichencodes (hier das Bild des Grekreuzigten und seiner Wunden sowie der vertraute Gebetstext der Rhythmica oratio) aufzuhellen bzw. gedanklich-affektiv zu durchdringen gelte. Weiter ging sie Indizien dafür nach, den Membra-Zyklus sogar als Ganzen als komponierte Embleme zu sehen. Schließlich rechnet das Werk erkennbar mit dem zur karfreitägichen Andachtspraxis gehörenden Bild des Gekreuzigten; die Komposition integriert also außerhalb ihrer selbst liegende Medien in einen durch sie selbst angestoßenen emblematischen Zusammenhang: ein Umstand von erheblichen Konsequenzen für den analytischen Umgang mit diesem Stück.

Einen Ausflug in die Spätzeit der Emblematik unternahm Katharina Hottmann (Hamburg) anhand des Hamburger Liedrepertoires aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Durch Analysen der Frontispize, Titelblätter, internen Ornamentik und der Sammlungsanlage vermochte sie zu zeigen, wie die Medienkombination den Bedeutungsradius der Bücher zugleich erweiterte und schärfte. Überdies gab es Hinweise darauf, dass die emblematische Denkweise sich hier bereits zu einer Art Layout-Konvention verändert hat, insofern die typische Präsentation eines Liedes auf einer Einzel- oder Doppelseite mit Titel, Notentext und weiteren Strophentexten durchaus an die Anlage von Emblembüchern erinnert, freilich ohne dass die multimediale Sinnkonstituierung dabei noch sehr weit getrieben würde.

So sehr die einzelnen Vorträge sich auch konkreten Fallbeispielen widmeten, schienen doch hinter allen immer auch übergeordnete Fragen auf: wie genau lief die synmediale Semiose ab, welche poetischen Konzepte standen im Hintergrund der Emblematik oder welche erkenntnistheoretischen Möglichkeiten traute man Texten, Bildern und Musik, gerade auch in der Kombination miteinander, zu. Als besonders ergiebige Bereiche der Musikoemblematik erwiesen sich dabei zyklische Anlagen von Kompositionen in Anlehnung an das Emblembuchformat, Andachtskontexte, das Feld der Kanones sowie verschiedene performative Gattungen.

Die Tagung wurde ermöglicht durch eine Förderung der Fritz-Thyssen-Stiftung, Köln. Eine zeitnahe Drucklegung der Referate, ergänzt um einige weitere Beiträge, ist geplant. Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an die Veranstalterin: wald-fuhrmann@hu-berlin.de