Macht und Ohnmacht der Musik. Händel, der Staatskomponist

Halle (Saale), 14.-16.11.2013

Von Jana Kühnrich, Halle/Saale – 11.01.2014 | Vom 14. bis 16. November 2013 fand in Halle (Saale) die Internationale Wissenschaftliche Konferenz „Macht und Ohnmacht der Musik. Händel, der Staatskomponist“ statt, die ursprünglich für den 10.–12. Juni 2013 geplant gewesen, doch wegen der Hochwasserkatastrophe in Halle genauso wie die Händel-Festspiele abgesagt worden war. Dass die Konferenz nun im November nachgeholt werden konnte, ist dem Engagement der Veranstalter, der Stiftung Händel-Haus, der Abteilung Musikwissenschaft am Institut für Musik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e. V., Internationale Vereinigung, zu verdanken. Das von ihnen aufgestellte Programm der Konferenz stieß bei den über 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf großes Interesse, wie die lebhaften Diskussionen bewiesen.

Mit einer musikalischen Darbietung, die einer Reise durch die Rezeptionsgeschichte von Händels Musik glich, wurde die Konferenz eröffnet. Es erklangen einige Originalkompositionen aus Alexander’s Feast (HWV 75), dem Werk, das sich insbesondere mit der Macht der Musik über die menschlichen Gefühle auseinandersetzt und damit hervorragend zum Thema der Konferenz passte. Einen Einblick in die Bearbeitungen Händel’scher Musik in der Zeit der beiden deutschen Diktaturen gewährten zum einen die Kantate zum Gedenken an die Gefallenen aus dem Jahr 1936, für die der „Trauermarsch“ aus Samson (HWV 57) als Vorlage diente – womit die Nutzung der Musik für politische Zwecke beleuchtet wurde –, zum anderen lieferte eine Arie aus der Oper Poro (HWV 28), die in der der Fassung mit Heinz Rückerts freier Nachdichtung „Wer einmal vom Dämon der Liebe verwundet“ von 1960 erklang, ein Beispiel für die Händel-Rezeption in der DDR. Diese musikalische Einstimmung gestalteten die Altistin Sarina Meier und der Pianist Alexander Stepanov.

Anschließend führte Wolfgang Hirschmann in das Thema der Konferenz ein. Georg Friedrich Händel selbst habe die Macht der Musik dargestellt, hier sei insbesondere auf Alexander’s Feast verwiesen. Dass sich Händels Musik gegen ihre Vereinnahmung aber nicht wehren könne, ohnmächtig gegen Missbrauch sei, zeige sich nicht erst im 20. Jahrhundert in Deutschland, sondern könne bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Gut und böse – oftmals sei dies erst im Rückblick deutlich voneinander unterscheidbar. Dass die Händel-Rezeption in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts einer intensiven Erforschung bedürfe, sei unstrittig –  das Nachholen der Konferenz sei daher ein besonders glücklicher, der Forschung dienender Umstand, weshalb Wolfgang Hirschmann insbesondere dem Forschungsteam des Projektes „Grundlagenforschung zur Rezeptionsgeschichte Händels in den Diktaturen Deutschlands“ (Stiftung Händel-Haus) und allen Beteiligten für die Vorbereitung und Durchführung der Konferenz seinen Dank aussprach. Alle Vorträge werden im Händel-Jahrbuch 2014 nachlesbar sein, auch die Beiträge von einigen wenigen Forschern, die aufgrund der Terminverlegung verhindert waren.

Das Hauptreferat über „Musik als Mittel staatlicher Machtausübung. Anmerkungen zum Verhältnis von Musik und Politik“ hielt Albrecht Dümling. Zunächst zeigte er subtile politische Steuerungsmechanismen, bezogen auf Musik, auf, die Herrscher einsetz(t)en, um Menschen zu manipulieren und zu lenken. Musik wurde und wird aber auch als Mittel zur offenen Machtausübung, zur Machtfestigung, eingesetzt – Beispiele sind Militärparaden und Hymnen, welche die Identität stärken und Zusammengehörigkeits- und Überlegenheitsgefühle hervorrufen. Ähnliche Beispiele für subtile und offene Steuerung der Menschen durch Musik lassen sich im Gang durch die Geschichte immer wieder finden, bis in die jüngste Vergangenheit. Ein kurzer Blick auf die Gegenwart zeigte, dass Musik heute als Mittel von Marketing und Werbeindustrie eingesetzt wird, um Menschen zu beeinflussen.

Die am Donnerstag, dem 14. November, und Freitagvormittag, dem 15. November, folgenden Referate setzten sich mit der Händel-Pflege, Musikausübung und Ideologie der DDR-Zeit auseinander. Toby Thacker beschrieb unter dem Titel „Händel, Staatskomponist in der DDR. Warum haben die Briten daran teilgenommen?“ persönliche und wissenschaftliche Beziehungen zwischen einigen britischen Intellektuellen und denen der DDR. Friedemann Stengel erläuterte in seinem Referat „Die SED und das christliche Erbe‘“ die Phasen der Erbepolitik der SED, insbesondere den Umgang mit der Kirche und Religion. Corinna Wörner ging der Frage nach, inwieweit der Thomaner- und der Kreuzchor in den beiden deutschen Diktaturen als „Kulturbotschafter“ zum Zwecke der Kulturpropaganda eingesetzt wurden und in welcher Weise sie sich vor Einflussnahme zu schützen versuchten. Gerd Rienäcker beleuchtete in sehr persönlicher Weise verschiedene Händel-Bilder seines Lehrers Ernst Hermann Meyer. Einen interessanten Einblick in die Händel-Rezeption der DDR-Zeit gewährte auch Christoph Henzel mit seinem Beitrag „Händel-Filme made in GDR“. Fünf Händel-Filme entstanden in der DDR, die als besonders anschauliche Belege für die Händel-Rezeption der DDR-Zeit gelten können und hohen kulturgeschichtlichen Rang besitzen.

Mit der Übersetzung der Texte Händel’scher Musik und der Frage nach dem Ausmaß der damit einhergehenden Veränderungen von Sinninhalten beschäftigte sich das Referat von Adrian La Salvia „Macht und Ohnmacht der Übersetzung – Händel-Opernübersetzungen zwischen Anpassung und Widerstand“.

Den Höhepunkt der Konferenz bildete zweifelsohne das Zeitzeugengespräch am Freitagvormittag. Das Podium setzte sich aus Waltraud Lewin (Berlin), Terence Best (Brentwood, UK), Christian Kluttig (Dresden) und Frieder Zschoch (Leipzig) zusammen. Unter hervorragender Moderation von Wolfgang Hirschmann und Gerd Richter entwickelte sich ein sehr lebendiges und inspirierendes Gespräch, in dem sich den Zuhörern vor allem die Begeisterung der Anfangsjahre der „Ersten Händelrenaissance“ in Halle mit legendären Händel’schen Operninszenierungen mitteilte. Dass die intensive Auseinandersetzung mit Händels Werk in Halle weitere Früchte trug, zeigte sich beim Rückblick auf die Gründungszeit der Händel-Gesellschaft und den Anfang der Händel-Ausgabe. Auch das Publikum konnte von eigenen Erlebnissen dieser Zeit berichten, so dass dieser Roundtable ganz von einem lebhaften Austausch geprägt war, bei dem der eigene Erfahrungsschatz als wichtiger Beitrag für alle verstanden wurde. Das Zeitzeugengespräch traf das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz und verdeutlichte damit, dass der Zeitpunkt für die Aufarbeitung der Händel-Rezeption der jüngsten Vergangenheit jetzt sehr günstig ist, da es noch Zeitzeugen gibt und die Gelegenheit zum Gespräch über das Erlebte dankbar angenommen wird. 

Am Freitagnachmittag verlagerte sich der Schwerpunkt der Konferenz auf die Händel-Rezeption in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. So beleuchtete Ursula Kramer die Inszenierung von Julius Cäsar in Darmstadt (1927) und Klaus-Peter Koch die Händel-Aufführungen oratorischer Werke in Siebenbürgen. Mit Interesse wurden auch die beiden Referate von Lars Klingberg und Katrin Gerlach aufgenommen, die einen Teil der Forschungsergebnisse aus dem Projekt „Grundlagenforschung zur Rezeptionsgeschichte Händels in den Diktaturen Deutschlands“ vorstellten. Lars Klingberg entfaltete eine differenzierte Analyse der Geschichte der Göttinger Händel-Gesellschaft in der NS-Zeit, während Katrin Gerlach in ihrem Referat über die (zu Beginn der Konferenz erklungene) nationalsozialistische Gedenkkantate nach Händels Samson eine Fülle aufschlussreichen Quellenmaterials ausbreitete.

Nach diesen beiden Konferenztagen, in denen über Musik und politische Macht nachgedacht wurde, war der Sonnabend dann ganz der Macht der Musik an sich gewidmet. Dass hier insbesondere Händels Alexander’s Feast im Mittelpunkt stand, liegt auf der Hand. Donald Burrows untersuchte, welche Bedeutung diese Komposition für Händels Karriere hatte, da bis dahin nicht sicher war, ob er in England auch mit englischsprachigen Werken Erfolg haben würde. Dass die Musik Macht hat, Geist und Gefühle des Menschen zu beeinflussen, wurde bereits im 18. Jahrhundert rege diskutiert – Matthew Gardner berichtete darüber und lenkte dabei den Blick immer wieder auf Händels Alexander’s Feast. Wie eigentümlich modern Händel in der Masque für die Königin von Saba die Kraft der Musik darstellt, zeigte Hans Dieter Clausen in seinem Referat. John H. Roberts erläuterte die von ihm neu aufgefundenen „Borrowings“ in Händels Chapel Royal Anthem. Das die Konferenz abschließende Referat hielten Stefan Gasch und Rebecca Wolf zum Thema „Georg Friedrich Händel als ‚comes pacis‘. Die Te Deum-Vertonung von 1713 und die Frage nach dem Frieden in der Musik“. Ihre Ausführungen verdeutlichten, dass Händel auf aktuelle politische Ereignisse reagierte und mit dieser Ode von 1713 den neuen Frieden von Utrecht auf sinnliche Weise erfahrbar werden ließ. Damit zeigte sich einmal mehr die Macht der Musik, die Gefühlswelt der Menschen zu beeinflussen.

Als Begleitprogramm der Konferenz seien noch die Sonderführung mit Lars Klingberg durch die Jahresausstellung der Stiftung Händel-Haus „Händel als Staatskomponist? Musik und Politik zu Lebzeiten des Komponisten und in den deutschen Diktaturen“ am Donnerstagabend sowie eine Buchlesung mit Karin Zauft aus ihrem Buch „Faszination Händeloper – Halles legendäre 1950er Jahre. Vorläufer – Tendenzen – Wege“ am Freitagabend erwähnt, die das Programm abrundeten.