London International Piano Symposium

London, 08.-10.02.2013

Von Tanja Eichmann, Köln – 23.03.2013 | Vom 8. bis zum 10. Februar fand am Royal College of Music in London erstmalig ein internationales Klavier-Symposium statt, das durch Christine Mackie, Musikwissenschaftlerin und Künstlerin, ins Leben gerufen und in Kooperation mit Steinway Hall veranstaltet wurde. Das Symposium war interdisziplinär und sollte Künstler, Wissenschaftler, Pädagogen und Studierende zu einem gemeinsamen Diskurs einladen, um das Thema des „Klaviervortrags“ - „Piano Performance“ im einundzwanzigsten Jahrhundert möglichst breit angelegt zu betrachten.

So nähert sich C. Mackie dem Topos der „Performance Science“ aus der wissenschaftlichen Sicht und hat sich bereits in ihren Publikationen (z. B. „'Science meets Art: The role of the body in shaping the music'“, 2007) dazu geäußert. In ihrer Eröffnungsrede ging sie auf die Ziele des Symposiums ein und betonte insbesondere die Gewichtung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Kunst. Der Beitrag von Prof. Roger Kneebone (Imperial College of London) beinhaltete die etwas gewagte These, der zufolge eine Parallelität zwischen dem chirurgischen Eingriff und dem künstlerischen Vortrag in einem Konzertsaal im Sinne einer „Performance“ vorhanden sei: „'both demand years of preparation, and both require dexterity, memorisation and performance under pressure'“.

In Sektion I zum Thema „Mind and body“ untersuchte Dr. Jennifer MacRitchie in ihrem Vortrag „Embodying intentional musical expression through piano touch: a motion capture study“ den Zusammenhang zwischen quantitativ, mittels digitaler Hilfsmittel (MIDI, Video) messbaren Kriterien wie Tempo und Dynamik innerhalb eines Klaviervortrags und dem Fingertasten, der Handposition etc., sowie deren Wirkung auf die Klangästhetik, während Dr. Lois Svard in ihren beiden Vorträgen „It´s all in your mind: motor imagery and the pianist“ und „The pianist`s brain: why and how we are different“ auf die Besonderheiten des Musikergehirns einging. Darüber hinaus verdeutlichte sie am Beispiel einiger herausragender Musiker den Einfluss des mentalen Trainings auf das Üben. Kathleen Riley erläuterte in ihrem Vortrag „Understanding the physiology of performance“ die Rolle der EMG-, MIDI- und Videoanalyse und unterstrich ihre hohe Effizienz gegenüber der traditionellen Musikpädagogik. So sei es z.B. mithilfe der Muskelspannungsmessung oder Videoanalyse möglich, die Ursache für technische Probleme im Instrumentalunterricht schneller festzustellen und diese dementsprechend effektiver zu behandeln. Lilian Simones erörterte die Rolle der nonverbalen Kommunikation im Klavierunterricht in ihrem Vortrag: „An exploratory analysis into the role of gesture in instrumental music teaching and learning“ und interessierte sich vor allem für die soziale Komponente, die sog. „Kodierung“ und deren Wirkung. In ihren Beiträgen über „The Nature of Feedback in Piano learning and teaching in higher education“ und „The role of information in pianism“ streiften Luciana Hammond und Miguel Henriques das Gebiet der Neurophysiologie und Entwicklungspsychologie, wobei sie sich insbesondere auf das Thema des Wissenserwerbs konzentrierten.

Sektion II widmete sich in insgesamt drei Vorträgen dem Thema „Repertoire, interpretation and historical recordings“. In „Sunsets and silences: The passage of time in Messian`s Catalogue d'oiseaux“ resümierte Matthew Schellhorn die kompositorischen Stilmittel von O. Messiaen, die er manipulativ im Hinblick auf die Wahrnehmung von Zeit beim Rezipienten einsetzte, und erläuerte dies anhand einiger ausgewählter analytischer Beispiele. Patricia Abdallas Vortrag „From Lisbon to Rio: The absence of Portuguese Piano Music in the New State (1930 – 1940)“ setzte sich mit der Frage nach der Abwesenheit portugiesischer Klaviermusik in der Zeitphase von 1930 – 1940 in dem „Neuen Staat“, einem durch Antonio de Oliveira Salazar geprägten Begriff aus der Zeit der Diktatur, auseinander und benannte einige mögliche Gründe.

Der Titel der Sektion III lautete „Anxiety in piano performance“. Hier bot Nancy Lee Harper in ihrem Vortrag „Portuguese Piano Music for multiple players from eighteenth century to modern times“ eine beeindruckende Darstellung zur portugiesischen Musik seit ihren Anfängen des frühen achtzehnten Jahrhunderts bis in die heutige Zeit. Damit leistete sie einen wichtigen Beitrag für die Musikforschung, in dem sie lückenlos ihre historische Entwicklung nachzeichnete und zahlreiche unbekannte Kompositionen, so u.a. auch Klavierwerke von Carlos Seixas, ins Bewusstsein rief.

In Sektion IV „Contemporary performance practice issues“ hinterfragten Cristina Bernardo und Eduardo Lopes die Kriterien der gegenwärtigen Musizierpraxis und der sich daraus ergebenden Herausforderungen und Fragestellungen im Hinblick auf die heutige retrospektive Tendenz („Some 21th century performance practice issues: The Piano in Um Sina Contra o Tempo“). Parallel dazu fand an diesem Tag ein anderes Symposium statt, das dem Feld der Musikpädagogik gewidmet war. Dort wurden Themengebiete wie die Modelle zu Chopins Barcarolle Op. 60 die Klaviertechnik der brasilianischen Pianisten Antonia Sa Pereira und Magdalena Tagliferro behandelt.

In Sektion V trafen der wissenschaftliche und künstlerischer Vortrag aufeinander („Lecture Recitals some insights into composers from J. S. Bach to J. Cage“). So beeindruckte Nicasio Gradailles Beitrag, der „Solo for Piano“ von John Cage gewidmet war, nicht nur durch seine Präzision und Klarheit im theoretischen Teil, der die Dechiffrierung komplexer Zahlen und Zeichensysteme in der Partitur leistete, sondern auch durch die künstlerische Darbietung am Flügel, die sich an David Tudors Uraufführung orientierte. Judith Gore wählte das Thema „Liszt and the Ballet“ und verglich die Orchestervertonungen der Klavierwerke unter Berücksichtigung des Dramatischen miteinander. Prof. Dr. Chiara Bertoglios Augenmerk richtete sich auf die Bearbeitungen u.a. von Bachs Präludien und Fugen mit dem Schwerpunkt auf Busonis Bearbeitungen sowie der Frage nach der Edition. Prof. Dr. Michael Tsalkas stellte die Klaviersonaten von Daniel Gottlob Türk vor, wobei er die stilistischen und ästhetischen Aspekte ins Verhältnis zu dem klassischen Repertoire setzte. Der darauffolgende Beitrag von John Slominski „This is not your Papa's Haydn: A new perspective on musical topics and narrative in the Composer's Keyboard's Sonatas“ musste entfallen.

Sektion VI trug den Titel „Sound and gesture theory and historical pianos as teaching tools.“ Die Klavierprofessorin und Forscherin Megumi Masaki aus Kanada demonstrierte zwei audiovisuelle Vorträge am Flügel: „Music 4 Eyes and Ears II: Intergrating sound and image in solo piano multimedia performance“, die durch eingespielte Samples und einer Video-Installation zu einer multimedialen Präsentation wurde. Durch die Integration sowohl von Komponist und bildender Künstlerin, als auch von Interpretin und Rezipienten in den Vortrag wurden neue Wege für die weitere Entwicklung der klassischen Musik aufgezeigt. Olivia Sham ging es um das Thema der Historischen Aufführungspraxis. Durch den Vergleich von Liszts Mephisto-Walzer an jeweils zwei unterschiedlichen Instrumenten, einem Erard aus dem Jahre 1849 und einem heutigen Steinway, machte sie darauf aufmerksam, wie wichtig diese aus dem Vergleich gewonnene Erkenntnis für die Erforschung der Authentizität, also des ursprünglichen Liszt-Klangs, sei. Mariann Marczi demonstrierte anhand ausgewählter Passagen, die sie am Flügel zum Gehör brachte, Debussys Einfluss auf die Klavierwerke Zoltan Kodalys. Prof. Dr. Guerino Mazzola stellte am Beispiel von „Cecil Taylor's Dancing Fingers: an introduction to extremal piano technique using musical Gesture Theory“ neue Möglichkeiten einer ungewöhnlichen, extremen Klaviertechnik vor, deren Ursprung aus dem Bereich des Free Jazz stammt, und versuchte den Zusammenhang zwischen der komplexen mathematischen Topos-Theorie und der Musikwissenschaft herzustellen. Prof. Dr. Elaine Chew untersuchte in ihrem Vortrag „Synchronising prosodic and structural information to reveal performance decisions by Jacque Charpentier“ mithilfe mathematischer Modelle und Visualisierung von Datensätzen die prosodischen Merkmale in Jacque Charpentiers Kompositionen.

Giusy Caruso nahm sich 72 Etudes Karnatiques von Jacque Charpentier als Thema vor, der den Etüdenzyklus in der Zeit von 1957 – 1984 schuf. Diese greifen je einen karnatischen Modus auf und seien als eine höchst komplexe und zugleich subtile Kunstform fest in die indische Philosophie eingebettet. Die armenische Komponistin und Musikforscherin Tatev Amiryan machte das Auditorium mit ihren eigenen Kompositionen vertraut und erläuterte diese unter dem politischen Aspekt der Ethnie.

In Sektion VII „Memorisation“ wurde u. a. von Dr. Jennifer Mishra beispielsweise auf neurokognitive Modelle sowie Informationsverarbeitung eingegangen, während Sektion VIII die Erörterung von klassischer Improvisation, wie im Falle von Norman Beedie, zum Gegenstand hatte.

In dem sich daran anschließenden Workshop I unter der Leitung von Prof. Kneebone, der dem Thema „The Keyboard and the Scalpel“ gewidmet war, entbrannte eine Diskussion über die möglichen Parallelen und Gemeinsamkeiten zwischen der instrumentalen Ausbildung eines Musikers und der medizinischen Ausbildung zum Chirurgen. Im Workshop II „Mirror and neurons: imitation emulation. A collaboration between Christine Mackie and Janetta lawrence of the Roayl Ballet“ stellte Christine Mackie am Beispiel der Klavierkomposition Clair de Lune von C. Debussy den Zusammenhang zwischen der musikalischen Bewegung (rhythmische Struktur) und der physischen Bewegung im Tanz her. Das Symposium endete mit einem musikalischen Beitrag von Sofya Gulyak.