Heinrich-Schütz-Fest der Internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft

Venedig, 19.-22.09.2013

Von Michael Pauser, Weimar – 26.11.2013 | Erstmals in ihrer Geschichte war es der Internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft e. V. unter Leitung ihres Präsidenten Prof. Dr. Walter Werbeck gelungen, ein Heinrich-Schütz-Fest in der für den Komponisten so wichtigen Stadt Venedig zu veranstalten. Als lokaler Partner konnte frühzeitig das Deutsche Studienzentrum in Venedig mit PD Dr. Sabine Meine gewonnen werden, die die interdisziplinäre Einrichtung mit Sitz am Canal Grande seit 2010 als Musikwissenschaftlerin leitet. Gefördert wurde das Schütz-Fest zudem durch die Landgraf Moritz-Stiftung in Kassel, die Bremer Hochschule für Künste und ihren Freundeskreis sowie den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Die Fritz-Thyssen-Stiftung unterstützte das wissenschaftliche Symposion. Die Schirmherrschaft übernahmen das Generalkonsulat Mailand und die Procuratoria von San Marco.

Eingebunden war das Heinrich-Schütz-Fest in die Feierlichkeiten der Region des Veneto anlässlich des 400. Todestages von Schütz' Lehrer Giovanni Gabrieli, die 2012/13 in der Lagunenstadt stattfanden. Darauf bezog sich auch der Titel des Festes: „Giovanni Gabrieli e la sua eredità nel contesto germanico – Heinrich Schütz a Venezia | Auf den Spuren Giovanni Gabrielis – Heinrich Schütz in Venedig‟.

Die Beziehungen zwischen Gabrieli und Schütz standen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Symposions, dessen Referenten ein reiches Themenspektrum entfalteten. Im Rahmen der feierlichen Eröffnung im Prunksaal der Scuola Grande di San Rocco hob Prof. Dr. Helen Geyer (Weimar/Jena) in ihrem Vortrag „Wege des Kulturtransfers: Heinrich Schütz und die venezianische Schule‟ die große Bedeutung von Schütz' Studium bei Giovanni Gabrieli hervor; hier habe er seine „Fundamenta in dieser profession zulegen angefangen‟. Ein Blick auf die überaus reichhaltige mitteldeutsche Schütz-Rezeption, die sich nicht nur in Drucken an großen Höfen, sondern auch in den Notenbeständen von Adjuvantenchören und sogar in der sakralen Architektur beispielsweise des Domes St. Peter und Paul in Zeitz niedergeschlagen hat, rundete den Vortrag ab.

Die weiteren Vorträge fanden im Palazzo Barbarigo della Terrazza statt, dem Sitz des Deutschen Studienzentrums. Prof. Dr. Antonio Lovato (Padua) widmete sich in seinem Vortrag „Osservazioni sui testi sacri latini intonati da Heinrich Schütz" den lateinischen Andachtstexten bei Heinrich Schütz und deren Konkordanzen in zeitgenössischen Quellen. Schütz' Textwahl, so Lovato, könne „nicht bloß funktional betrachtet werden‟, vielmehr stehe sie für seine „europäische Identität jenseits aller Brüche und Widersprüche der Moderne‟. In der lebhaften Diskussion kam die vor allem für die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts wesentliche Frage nach konfessionell bedingten Perspektiven auf die Textgrundlagen und entsprechenden kulturpolitischen Konflikte auf.

Prof. Dr. David Bryant (Venedig) zeichnete in seinem Vortrag „Schütz's Venice 1609–1613 and 1628–1629‟ das Bild der Lagunenstadt nach, wie es der Komponist mutmaßlich erlebt haben könnte. Zwangsläufig führte das u. a. zu aufführungspraktischen Fragen, die Bryant während einer Führung in der Basilica San Marco noch vertiefen konnte.

Dr. Bettina Varwig (London) stellte, an Bryant anknüpfend, in ihrem Vortrag „Italienbilder der Schütz-Zeit‟ die Frage, wie andere Reisende und Künstler die Stadt Venedig gesehen und vielleicht das Venedig-Bild von Heinrich Schütz (vor-) geprägt haben könnten. Schon kartographische Spezifika im 16. Jahrhundert konnten Vorurteile auslösen, die mutmaßlich auch an Schütz nicht spurlos vorüber gingen und Venedig auch abseits seines musikalischen Interesses für ihn attraktiv gemacht haben dürften.

Einen deutlichen Kontrapunkt zur gewohnten Vorstellung von Schütz' vielfältigem Studium in der Serenissima setzte Prof. Dr. Silke Leopold (Heidelberg), und zwar mit Antworten auf die provokante Frage: „Was hat Schütz in Venedig nicht gelernt?‟. Sie zeigte, dass Schütz manche Anregungen, die um ihn herum wahrzunehmen gewesen sein müssen, so gut wie gar nicht aufnahm, sondern ganz offenbar gezielt diejenigen Impulse aussuchte, die er für seine weitere Arbeit nutzen wollte.

Neben den wissenschaftlichen Vorträgen, die auf große Resonanz stießen und von einem interessierten Publikum besucht wurden, erhielt das Schütz-Fest durch zahlreiche instruktive Führungen – in San Rocco, in der Frari-Kirche, in San Marco sowie an den wichtigen Plätzen der Stadt – sowie durch hochkarätige Konzerte seine unvergessliche Prägung. Bereits das Eröffnungskonzert mit Franz Vitzthum (Altus), dem Ensemble Stimmwerck und der Scuola di Musica Antica di Venezia unter Leitung von Max Beckschäfer zeigte die ungebrochene Aktualität von Heinrich Schütz. Beckschäfer, der einige Texte der Madrigale Op. 1 von Schütz neu komponiert hat, stellte seinen Stücken jeweils die textgleichen Schütz-Vertonungen gegenüber. So erklangen im steten Wechsel die Beckschäfer-Madrigale aus dem Altarraum und die Schütz-Madrigale von der neu restaurierten Sängerempore der Chiesa di San Rocco, was das Publikum in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche tief beeindruckte. Nicht fehlen durfte Musik von Giovanni Gabrieli, der San Rocco in besonderer Weise verbunden war.

Einen weiteren Höhepunkt setzte das Bremer Barock Consort mit Studierenden der Hochschule für Künste Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Cordes in der Basilica di San Marco. Sie musizierten in der Basilica, von deren legendären Emporen aus, mehrchörige Musik: ein Erlebnis, das wohl niemand, der dabei sein durfte, vergessen wird. Für viele Hörer ging mit diesem Konzert ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung: Musik von Schütz und Gabrieli dort zu hören, wo sie entstanden ist, in dem Raum, für den sie intendiert war. Mit der akustischen Klangfülle sorgte die visuelle Pracht für ein unvergessliches Konzerterlebnis.

Im Mittelpunkt des dritten Konzertes stand ein Programm einmal ohne Schütz und Gabrieli. An der historischen Orgel von Pietro Nacchini in der Chiesa di San Cassiano zog Prof. Dr. Matthias Schneider das Publikum mit Kompositionen von Frescobaldi über Buxthehude, Merulo und Siefert bis hin zu Bach (natürlich mit einer Vivaldi-Bearbeitung) vom ersten bis zum letzten Ton in seinen Bann. Neben seinem brillanten Spiel überzeugte er durch seine überaus geistreiche Registrierung und erntete zu Recht langanhaltenden Applaus.

Pastor Bernd Prigge und die evangelisch-lutherische Gemeinde Venedigs, die als eine der ältesten lutherischen Gemeinden außerhalb Deutschlands 2013 ein doppeltes Jubiläum zu feiern hatten (fünf Jahrhunderte in Venedig und 200 Jahre in der Scuola Angelo Custode an SS. Apostoli), luden die Festivalbesucher am Sonntag nach den Konzerten und Veranstaltungen ein, gemeinsam einen evangelischen Gottesdienst zu feiern. Zur großen Freude aller ließen sich dabei noch einmal Musiker des Bremer Barock Consorts hören. Sie boten in der kleinen Kirche eine Musik dar, die hautnah zu erleben und so viel prägnanter wahrzunehmen war als zwei Tage zuvor in San Marco. Pastor Prigge thematisierte in seiner Predigt nicht nur die bewegte Geschichte der Lutheraner in Venedig, er hatte auch berechtigte Bedenken vorzubringen, waren doch am besagten Wochenende allein 40.000 Kreuzfahrttouristen in Venedigs Gassen unterwegs.

Die Flut an Eindrücken, die dieses großartige Schütz-Fest geboten hat, werden viele Teilnehmer erst in einigen Wochen oder gar Monaten fassen können. Doch für alle dürfte die Erkenntnis stehen, dass sich der weite Weg in die Serenissima gelohnt hat. Auch Heinrich Schütz hätte sich wohl darüber gefreut, dass 400 Jahre nach ihm Menschen aus aller Welt nach Venedig geströmt sind, um sich von seiner Musik an authentischen Orten ergreifen zu lassen.