Komponistenwitwen

Würzburg, 14.-15.02.2014

Von Maria Behrendt, Weimar – 01.03.2014 | Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau – das mag sein. Doch was tut eine solche Frau nach dem Tod ihres Mannes? Trägt sie den großen Namen weiter? Oder tritt sie aus dem Schatten des Genies? Dieser Frage nachzuspüren war das Ziel der internationalen musikwissenschaftlichen Tagung „Komponistenwitwen", die am 14. und 15. Februar im Toskana-Saal der Würzburger Residenz stattfand, unter der Leitung von Ulrich Konrad (Würzburg) und Christiane Wiesenfeldt (Weimar-Jena).

Mit dem Allegro aus Clara Schumanns Trio g-Moll für Pianoforte, Violine und Violoncello op. 17 eröffnete das Klaviertrio Würzburg die Tagung. Nach der Begrüßung von Andreas Haug (Würzburg) führte Ulrich Konrad (Würzburg) mit seinem Eröffnungsvortrag in das Themenfeld ein: Es sei bisher von der Musikwissenschaft nahezu unbeackert, wahre terra incognita. Konrad zeigte verschiedene Typen der Witwenschaft auf, die sich vor allem darin unterschieden, wie viele ihrer Lebensjahre von der Ehe und wie viele von der Witwenschaft bestimmt waren. Constanze Mozart etwa war neun Jahre mit Wolfgang Amadeus verheiratet, und überlebte ihn um 15 Jahre. Die „erste genuine Komponistenwitwe", wie Konrad sie bezeichnete, begann, die Verbreitung mozart-kritischer Werke zu unterbinden. Mit der Veröffentlichung von „43 Anekdoten aus dem Leben Mozarts" bemühte sie sich, ein harmonisiertes Bild der gemeinsamen Jahre zu kreieren. Ausschlaggebend war hierbei wohl auch der Wunsch, sich in ihrer Expertise gegenüber Mozarts Schwester Anna Maria, „dem Nannerl", zu behaupten.

Mit einem Vortrag zu „Cosima Wagner, Muse und Hohepriesterin" stellte Eva Rieger (Vaduz) eine Dame vor, die die Fantasie des breiteren Publikums entfacht hat wie keine zweite, sieht man von Alma Mahler ab. Cosima begriff das Weiterführen von Richards Werk als ihre Mission: Nach seinem Tod übernahm sie die Leitung der Bayreuther Festspiele und führte sie mit innovativen Inszenierungen in die Moderne. Auch sammelte sie systematisch handschriftliches Material und legte damit den Grundstein für ein erstes Wagner-Archiv. Rieger plädierte dafür, ein Bild Cosimas aus den Quellen entstehen zu lassen und Abstand von verfälschenden, zum Teil anmaßenden Psychologisierungen zu nehmen.

Mit Clara Schumann portraitierte Beatrix Borchard (Hamburg) eine Witwe, die „quer zu allen Kategorien" steht. Bereits zu Lebzeiten arbeiteten Robert und Clara an ihrer Legende als ideales Liebespaar. Nach Roberts Tod sprach sie sich gegen das Verfassen von Schumann-Biographien aus. Denn für Clara entstand das Lebensbild eines Künstlers aus seinem Werk, nicht aus seinem Lebenslauf. Daher setzte sie sich als Interpretin für Roberts Musik ein und komponierte Variationen auf seine Themen.

Eine Witwe, die vor allem als Interpretin wirkte, stellte auch Elmar Juchern (New York) vor: Lotte Lenya, die Witwe Kurt Weills. Bei der postumen Verbreitung seiner Werke beschränkte Lenya ihre Bemühungen auf jenes Repertoire, das sie selbst als Interpretin glänzen ließ. In vielen Fällen passte sie die Werke daher auch an ihre stimmlichen Bedürfnisse an. Durch die marktgerechte Auskopplung einzelner Lieder kreierte sie das Bild von Weill als Songkomponisten. Tatsächlich aber hatte Weill kaum ein Lied außerhalb eines theatralen Kontextes geschrieben.

Anders als Lenya suchte Yvonne Loriod-Messiaen nicht, sich als Individuum zu etablieren. Wolfgang Rathert (München) zeigte, dass sie sich allein über Messiaen definierte, „allein durch Messiaen" geformt sei, wie sie noch kurz vor ihrem Tod in einem Interview sagte. Als Klavierlehrerin vermittelte sie ihren Schülern die Musikgeschichte als eine Entwicklung, deren Höhepunkt und Ziel Messiaen war. Sie beteiligte sich auch an der Edition seiner Schriften.

Ein beinahe tragisches Beispiel ist Cécile Mendelssohn. Nach Felix' Tod formulierte sie zwar eigene Vorstellungen der Nachlassverwaltung, jedoch wurde ihr das Ruder bald aus den Händen genommen. Wie Christiane Wiesenfeldt (Weimar-Jena) anhand bisher unbeachteter Briefe zeigen konnte, musste Cécile sich der Vormundschaft ihres Schwagers Paul unterwerfen, verlor den Zugriff auf den größten Teil der Handschriften und Kopien und musste sogar aus dem gemeinsamen Berliner Haus ausziehen.

Selbstbewusst gab sich hingegen Vera Kálman, die Kevin Clarke (Berlin) als realitätsblinde und exzentrische Witwe portraitierte. In drei Autobiographien, eine abenteuerlicher als die andere, schilderte Vera ihr Leben. Zusammen mit Einzi Stolz und Kirschi Benatzky bildeten sie die „drei streitbaren Witwen", die um die Rolle als interessanteste Witwe wetteiferten. An der kompositorischen Vielfalt ihres Mannes Emmerich schien Vera nicht viel zu liegen: Sie pflegte allein die Verbreitung der lukrativen Werke wie insbesondere der Csardasfürstin.

Fast schon militant setzte sich Elsa Reger für die Nachlasspflege ihres Mannes ein. Susanne Popp (Karlsruhe) schilderte Elsa Regers Beharren auf ihrer Lebensaufgabe, „am Gebäude seiner Kunst" zu bauen. Elsa organisierte eine Reihe von Reger-Festen mit erstklassigen Solisten. Als ihre finanzielle Situation dies nicht mehr erlaubte, veranstaltete sie Hauskonzerte. Ab den 1920er Jahren organisierte die Reger-Gesellschaft die Reger-Feste. Elsa gehörte dieser Gesellschaft lediglich als Ehrenmitglied an und stand in ständigem Streit mit ihren Mitgliedern. Sie gründete das Max-Reger-Archiv und setzte sich und ihrem Mann ein Denkmal mit der Autobiographie „Mein Leben mit und für Reger."

Gertrud Hindemith blieb für die Nachlasspflege ihres Mannes nicht viel Zeit, wie Giselher Schubert (Hameln) zeigte. Nach 40-jähriger Ehe überlebte sie ihren Mann nur um drei Jahre. Nach ihrem Tod sollte ihr Vermögen in eine Hindemith-Stiftung übergehen. Kurios mutet aber der Zweck dieser Stiftung an, der quer zu den Zielen der übrigen Witwen steht: Die Stiftung solle diskret arbeiten und Hindemiths Musik keinen Vorteil gegenüber der Musik anderer Komponisten im Konzertleben verschaffen. Gleichgültig war Gertrud die Hinterlassenschaft ihres Mannes jedoch keineswegs. Sie versuchte, einen Autoren für eine Hindemith-Biographie zu gewinnen, wachte jedoch akribisch über die Quellen, was das Verfassen eines solchen Buches erheblich erschwerte.

Die Diskussionen zu den Vorträgen waren äußerst lebhaft und kamen aus vielen Stoßrichtungen, der Gender-Forschung, der Rezeptionsforschung und auch dem Feminismus. Besonders erfrischend hierbei war die Offenheit der Referenten gegenüber neuen Ansätzen. So brachte es Eva Rieger auf den Punkt: „Der ursprüngliche feministische Ansatz, wonach die Frauen die Opfer sind, ist jedenfalls vom Tisch und muss neuen Forschungen Platz machen." Diesen wurde in Würzburg der Weg bereitet.

Die Tagungsbeiträge werden in der Oktober-Ausgabe des musikwissenschaftlichen Magazins DIE TONKUNST veröffentlicht.