Leopold Spinner (1906-1980). Komponist in Wien und London

Wien, 11.-12.05.2017

Von Jürg Stenzl, Salzburg – 31.07.2017 | „Leopold Spinners Musik hat bisher nur wenig Beachtung gefunden. In Veranstaltungen, die der Wiener Schule oder ihrer direkten Nachfolge gewidmet waren, konnte man gelegentlich ein Stück von ihm zu hören oder auch, in Ausstellungen, zu sehen bekommen. Die Reaktion der ohnehin begrenzten Öffentlichkeit war meist wohlwollend und respektvoll, selten verständnislos, aber keines dieser Ereignisse hat eine mehr als lokale Wirkung gehabt und ein nennenswertes Interesse für Spinner hervorgerufen, weder bei Musikern noch bei Musikwissenschaftlern, nicht einmal bei denjenigen, deren spezielle Bemühungen der Wiener Schule und der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts gelten.“ Mit diesen Worten begann vor dreißig Jahren die bis heute einzige Buchveröffentlichung mit einem umfassenden Werkverzeichnis und Texten des Komponisten Leopold Spinner (1906-1980) von Regina Busch.[1] Im Jahr 2006 stand dem Autor Reinhard Kapp für den Spinner-Artikel der neuen MGG gerade eine gute Spalte zur Verfügung.

In Kooperation mit der Wiener Universität für Musik und darstellenden Kunst hatte nun das Arnold Schönberg Center, zusammen mit zwei Konzerten mit dem Ensemble Wiener Collage unter der Leitung von René Staar sowie der Sängerin Eva Nievergelt mit Tomas Bächli am Klavier, erfreulicherweise einen weiteren Versuch unternommen, diesem verschollenen, in Lemberg geborenen, dann in Wien ausgebildeten jüdischen Musiker, der 1939 nach England emigrieren musste, gerecht zu werden. Denn, wie David Drew 1995 treffend feststellte, war dieser Kompositionsschüler von Anton Webern „a master – more than a petit maître, and in the moral dimension of his craft and calling, so exigent and incorruptible as the greatest of the classical masters who were his gods.“[2]

Dass Spinners Werke höchst anspruchsvoll sowohl für die Interpreten wie die Hörer sind, erwiesen sowohl eine Liederauswahl wie die ungemein dichte, einsätzige Klavier-Sonatina, op. 22 (1966-69) und (neben zwei Werken von Roberto Gerhard und Erich Urbanner) das Concerto for piano and chamber orchestra, op. 4 (1947), die Sonatina für Violoncello und Klavier, op. 26 (1972/73) und das Quintett für die ungewöhnliche Besetzung Klarinette, Fagott, Horn, Gitarre und Kontrabass, op. 14 (1959/63).

Ungewöhnlich ist ebenso, dass Spinner, der seit 1914 in Wien lebte, ab 1925 sowohl an der Universität Musikwissenschaft studierte und 1931 mit einer Arbeit von knapp 60 Seiten über Das Rezitativ in der romantischen Oper bis Wagner promovierte. Offenbar durch Alban Berg vermittelt, studierte er auch bei Paul Amadeus Pisk theoretische Fächer und Komposition. Mit einigen seiner Werke war er bei zwei IGNM-Festen erfolgreich; er absolvierte dann allerdings zwischen 1935 und 1938 bei Webern ein zweites Kompositionsstudium, bereits ab 1934 verwendete er Zwölftonreihen. Doch nachdem er bereits 18 Werke geschrieben hatte (davon heute elf verschollene) erhielt erst seine zweisätzige Sonate für Violine und Klavier 1936 die Opusnummer 1 (uraufgeführt am 22. November 1937 in Wien). Nur etwa die Hälfte der danach entstandenen Werke sind im Verlag Boosey & Hawkes erschienen, für den er seit 1947/48 tätig war (Kopist, Editor und u.a. Klavierauszüge später Werke von Strawinsky) und erst 1958 eine feste Anstellung als Nachfolger von Erwin Stein erhielt. Das letzte war Op. 29, Die Nacht auf Gedichte von Georg Trakel für Mezzosopran, Männerchor und Orchester von 1978/79.

Für Spinner als durchaus problematisch erwies es sich, dass sein Verständnis der späten Werke von Anton Webern demjenigen der jungen, „seriellen“ Komponisten der Darmstädter Ferienkurse schroff entgegen stand.[3] Spinner verstand seine Kompositionen als dem „klassischen“ thematischen Komponieren in einer eigenständigen Webern-Nachfolge verpflichtet, was analytisch, aber nicht unmittelbar auf hörende Weise nachvollziehbar erscheint. Die Frage nach einer „Epigonalität“ Spinners stellte Regina Busch schon früh und jetzt in Wien erneut Thomas Ahrend. Beide, zuvor David Drew und jetzt in Wien besonders die eindrücklichen Aufführungen haben diese Frage überzeugend verneint. Klaus Lippe hat denn auch, bezogen auf die (in Kenntnis von Stockhausens ersten Klavierstücken entstandene) Sonatina op. 22, von einer „seriellen Irritation“ gesprochen und Reinhard Kapp diese als „vielleicht das extremste Stück Spinners“ bezeichnet. Bereits in seiner Einleitung zum Symposium unterstrich Kapp Spinners „Wiedergewinnung“ bekannter Gattungen und Formen ebenso wie auf die sich immer weiter entwickelnde Eigenständigkeit von Spinners Schaffen. Er war in England während Jahrzehnten der einzige, und dadurch eben auch allein- und außenstehende Komponist in unmittelbarer Wiener-Nachfolge. Deshalb war es wichtig, dass Dörte Schmidt seine „Bedingungen des Exils“ als existentiell darstellte und sie mit der ebenso verspäteten und erst in jüngster Zeit ernst genommenen Außenseiterposition eines René Leibowitz konfigurierte, der sich denn auch für Spinner nachdrücklich eingesetzt hatte.

Es bleibt zu hoffen, dass nun endlich – nach den überzeugenden CD-Einspielungen, die Steffen Schleiermacher von der Klaviersonate op. 3 (1942/45) und der Suite für Klarinette und Klavier, op. 10 (1955/56) vorlegte – weitere sowohl frühe wie insbesondere späte Werke aufgeführt und eingespielt werden, dass, nach den grundlegenden Arbeiten von Michael Graubart[4] und Regina Busch, diesem ebenso direkten wie ungewöhnlichen Nachfolger der „Wiener Schule“ Gerechtigkeit wiederfährt. Das Wiener Symposium hat dazu beigetragen und eine ganze Reihe weiterführende Fragen erstmals zur Sprache gebracht. Man möchte auf eine baldige Veröffentlichung dieser Beiträge hoffen.[5]

 

[1] Regina Busch, Leopold Spinner, Bonn, Boosey & Hawkes 1987 (Musik der Zeit. Dokumentation und Studien, Bd. 6), 211 S. (auch Diss. FU Berlin 1988).

[2] David Drew, „Britten and His Fellow Composers: Six Footnotes for a Seventieth Birthday“, in On Mahler and Britten. Essays in Honour of Donald Mitchell on His Seventieth Birthday, Woodbridge, Boydell 1995, 146-166, bes. 164-166.

[3] Leopold Spinner, „Über Weberns op. 24“ in die reihe, Heft 2, Wien 1955, 51-55. Vgl. auch ders., „Anton Weberns Kantate Nr. 2, Opus 31. Die Formprinzipien der kanonischen Darstellung (Analyse des vierten Satzes)“, in Schweizerische Musikzeitung/Revue musicale suisse 101 (1961), 303-308, nachgedruckt in Die Wiener Schule, hrsg. von Rudolf Stefan, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgemeinschaft 1989 (Wege der Forschung, Bd. 643), 313-321.

[4] Michael Graubart, „The Music of Leopold Spinner“, in Tempo Nr. 109 (1974), 1-14; „Leopod Spionner’s Later Music“ in ibid., Nr. 110 (1974), 14-29; „Leopold Spinner: The Last Phase“, in ibid., Nr. 138 (1981), 2-18.

[5] Durch die Vermittlung vor allem durch Gottfried von Einem ist Leopold Spinners Nachlass in der Österreichische Nationalbibliothek zugänglich.