Aufführung und Edition

Frankfurt am Main, 14.-17.02.2018

Von Lena Nieper, Frankfurt am Main – 03.01.2019 | Wie verändert sich die editorische Praxis, wenn man den Gegenstand aus der Perspektive ihrer Aufführung betrachtet? Die 17. Internationale Tagung der Arbeitsgemeinschaft Germanistische Edition brachte Vertreterinnen und Vertreter der Literatur, Musik- und Theaterwissenschaften sowie der Informatik zusammen, um dieser Frage nachzugehen. Zum ersten Mal von musikwissenschaftlicher Seite konzipiert, wurde die Tagung vom Frankfurter Institut für Musikwissenschaft in Kooperation mit der Fachgruppe freie Forschungsinstitute der Gesellschaft für Musikforschung und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz organisiert. Im Mittelpunkt stand die Kategorie der Aufführung als Gegenstand der Edition im Spannungsfeld von digitalen Darstellungsmöglichkeiten und editionstechnischen Herausforderungen. Die vier Plena und zwölf Sektionen der Tagung mit über fünfzig Rednern boten dabei reichlich Gelegenheit zur Diskussion; abgerundet wurde das Programm durch zwei Konzerte.

Ulrich Konrad (Würzburg) eröffnete das erste Plenum mit einem Vortrag über das Spannungsverhältnis zwischen Notentext bzw. Edition und Aufführung von Werken unter anderem am Beispiel von Mozart und Andrew Lloyd Webber. Joachim Veit (Detmold / Paderborn) thematisierte in seinem Beitrag die Zukunft der digitalen Musikedition, die er an einem Scheideweg sieht. Der Grund hierfür liegt in der wachsenden Komplexität verlinkter Informationen, was dazu führt, das der Nutzer sich in den partiell veränderbaren Datenverbindungen nicht mehr zurechtfinden kann. Andererseits reflektierte Veit die scheinbare Objektivität, die digitale Musikeditionen durch die Bereitstellung von Digitalisaten oder performativen Elementen suggerierten, und mahnte zur kritischen Reflexion. Am Ende des Eröffnungstages fand die konzertante Aufführung von Georg Anton Bendas Melodram Medea (1784) in einer Streichquartett-Fassung statt. Moderiert wurde das Konzert von Jörg Krämer (Erlangen-Nürnberg), der das Werk im Rahmen des Projektes OPERA ediert.

Der Vortrag von Katrin Henzel (Oldenburg), die sich der Untersuchung und Edition von Regiebüchern widmete, und der gemeinsame Beitrag von Vera Hildebrandt und Roland Kamzelak (Trier / Marbach a.N.) über Ego-Dokumente zeigten, wie sich der Gegenstandsbereich der Editionen erweitert hat und neue Corpora in den Fokus rücken. Ein zentrales Argument für alle drei Referenten war, dass durch die Digitalisierung Archivmaterial zugänglich gemacht wird und erschlossen werden kann. So werden zum Beispiel edierte Ego-Dokumente im Portal EdView präsentiert und stehen so für weitere Forschungen zur Verfügung. Inwiefern die editorische Praxis dabei über das Medium des Buches hinausreicht und die Plattform als neue Editionsform gedacht ist, wurde in Bezug auf neue digitalen Präsentationsmöglichkeiten diskutiert.

Neben neuen Gegenständen wie den oben genannten Ego-Dokumenten und Regiebüchern wurde beispielsweise auch das Verhältnis von zeitgenössischen Komponisten und der Verlagsarbeit thematisiert. Frank Reinisch (Saarbrücken) berichtete über die Entstehungsumstände der Partitur von Hans Zenders Oh cristalina... Anlässlich seines 80. Geburtstages bearbeitete der Komponist das 2013 uraufgeführte Werk noch einmal neu. Reinisch zeigte die Unterschiede zwischen den zwei Versionen und die daraus resultierenden editorischen Entscheidungen aus der Perspektive des Verlages auf. Wie und ob man das Verlagswesen als eine editorische Praxis im weiteren Sinne betrachten könnte, wurde in der Diskussion erörtert. Bodo Plachta (Münster) widmete seinen Beitrag den Wohnorten von Komponisten, Dichtern und Künstlern. Dabei beleuchtete er, wie die Genese der (oftmals dort entstandenen) Werke dem Betrachter transparent gemacht werden kann.

Der Umgang mit phonographischen Quellen wurde im Beitrag von Matthias Pasdzierny thematisiert. Er gab Einblicke in die verschiedenen Versionen der Zuspielbänder für Bernd Alois Zimmermanns Komposition Requiem für einen jungen Dichter. Angelehnt an Erkenntnisse aus der Film- und Hörspieledition zeigte er neue Wege auf, wie elektroakustisches Material philologisch erfasst werden kann. Digitale Editionen bieten hierbei den Vorteil der Annotation von Soundfiles und somit einer multimedialen Visualisierung des Werkes in der Edition. An das Thema Soundfile knüpfte der Vortrag von Axel Berndt und Benjamin Bohl unmittelbar an. Aus der Perspektive der Programmierung stellten sie das Beschreibungsmodell „Music Performance Markup“ (MPM) vor. Es kategorisiert einzelne Merkmaltypen in eigenständigen Klassen und ermöglicht so die abstrahierte Betrachtung akustischer Parameter.

Annika Rockenberger (Klagenfurt) präsentierte ein Konzept zur digitalen Erfassung, Darstellung und Analyse mittelalterlicher geistlicher Spiele. Dabei besprach sie die Möglichkeiten zur Darstellung der Passions- und Osterspiele des 14. bis 16. Jahrhunderts als Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) sowie der Idee der 3D-Modellierung zur Rekonstruktion der Aufführungen. Weiterhin gab sie einen Ausblick zur Integration beispielsweise wetterbedingter Informationen und deren Auswirkung auf die Aufführungen. Ludwig Vogl-Bienek und Thomas Burch (Trier) stellten das Projekt eLaterna vor, dass die Projektionskunst um 1900 als digitales Archiv und Edition aufarbeitet. Das Projekt stellt alle Bestandteile einer Projektionsaufführung inklusive aller Textrezitationen, Vorträge, Gesang und Musik als digitale Untersuchungsobjekte für die medienhistorische Forschung bereit. Kommentare zur Überlieferung, Metadaten und Digitalisate werden gemeinsam angezeigt.

Bei dem zweiten Konzert der Tagung präsentierte das Ensemble L’arco cantabile unter Leitung von Elisabeth Scholl (Sopran) weitere Werke, die im Rahmen des Akademie-Projektes OPERA ediert wurden. Thomas Betzwieser (Frankfurt am Main) moderierte den ersten Teil des Abends und führte in die Werke Prima la musica (Antonio Salieri), Love in a Village (u.a. Thomas Arne) und Anette et Lubin (Adolphe Benoît Blaise) ein. Matthias Pasdzierny (Berlin) und Adrian Kuhl (Frankfurt) von der Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe traten im zweiten Konzertteil in einen Dialog mit den Musikern und tauschten sich über die Schwierigkeiten und Anforderungen der Interpretation aus. Im Zentrum standen dabei die Anforderungen, die Zimmermanns Musik aus praktischer Perspektive an die Edition stellt. Der Abend war eine gelungene Mischung aus wissenschaftlichem und künstlerischem Dialog.

Den Abschluss der Tagung bildete eine letzte Plenumssitzung, bei der die Edition von Klangdokumenten, die Kodierung von Interpretationen sowie die digitale Erfassung von Klavierrollen thematisiert wurden. Den Veranstaltern ist es damit gelungen, ein ausgewogenes Verhältnis der verschiedenen Disziplinen, Methoden und Forschungsansätze zu schaffen. Die regen Diskussionen über Disziplingrenzen hinweg führten vielfach zu neuen Impulsen für die philologische Forschung und Praxis.