Musik und Raumwahrnehmung

Freiburg, 20.-21.06.2018

Von Ulrike Brinkmann und Nadja Schmitz-Arenst, Freiburg – 04.07.2019 | Der Workshop ging auf die Initiative des Teilprojekts „Muße und musikalische Immersionserlebnisse“ (Leitung: Dr. Anne Holzmüller) des DFG-Sonderforschungsbereichs 1015 „Muße“ zurück. Er fand am Musikwissenschaftlichen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in Verbindung mit der Musikhochschule Freiburg statt, gefördert durch das Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS). Im Mittelpunkt standen Fragen nach den verschiedenen Wahrnehmungsebenen, auf denen die Kategorie des Raumes beim Hören und Erleben von Musik eine Rolle spielt, sowie das Problem, wie sich die Formen musikalischer Raumwahrnehmung methodisch erschließen lassen. Ein Fokus lag dabei auf der musikalischen Analyse und wie diese im Hinblick auf musikalische Raumwahrnehmung produktiv gemacht werden kann. In ihren Beiträgen stellten die Referentinnen und Referenten verschiedene Ansätze anhand konkreter Beispiele im historischen Querschnitt von Dufay bis Grisey vor.

Nach einer Einführung von Anne Holzmüller (Freiburg) stellte Christian Utz (Graz) an Beispielen von Guillaume Dufay, Joseph Haydn und Edgar Varèse Thesen zu räumlichen Formkonzepten auf und zeigte, wie über die Jahrhunderte hinweg in verschiedene Werke hineinkomponierte räumliche „Marker“ Einfluss auf Konzeption und Wahrnehmung der Form verschiedener Kompositionen nahmen. In der Motette Nuper rosarum flores (1436), die Dufay zur Weihe des Florentiner Doms schrieb, zeigt sich, wie er in rein musikalischer Hinsicht räumlich-architektonische Strukturen in die Form seiner Motette integriert, so dass für informierte Zuhörer eine hörbare Darstellung des musikalischen Raumes entsteht. Dagegen zeigte Utz, wie im 18. Jahrhundert in verschiedenen Sinfonien Haydns durch das eingesetzte Ritornellprinzip formale, gut hörbare Strukturen geschaffen werden, die eine „architektonische“ Formanalyse erlauben. Im ausgehenden 20. Jahrhundert ist die Architektur von Varèses Werken nicht mehr nur an Formen gebunden, so Utz, sondern manifestiert sich in berechneten zeitlichen Strecken, die kompositorisch klar markiert sind.

Johannes Bernet (Freiburg) stellte die unterschiedlichen Raumkonzeptionen in Werken von Karlheinz Stockhausen ins Zentrum, um davon ausgehend die Frage zu diskutieren, ob die in der seriellen Musik Stockhausens eingesetzten Raumparameter zur musikalischen Immersion beitragen.

Mit einem praxisorientierten Ansatz zum klanglichen Raumerleben präsentierte Margarethe Maierhofer-Lischka (Graz) die Konzepte des Klangspaziergangs und des Sight Specific Theatre, in dem ein spezifischer Raum eine einmalige, nicht reproduzierbare Verbindung mit dem Werk eingeht.

Janina Klassen (Freiburg) stellte das Werk Du, Erde, höre zu! von Makiko Nishikaze vor, das für einen spezifischen Raum komponiert wurde. Nishikaze nutzt dabei die gesamte Kirche als Spielraum, durch den sich der Klang bewegt.

In ihrem Beitrag zu C.P.E. Bachs doppelchörigem Heilig zeigte Anne Holzmüller, wie sich im Mittelteil eine dreidimensionale harmonische Struktur abzeichnet, die dem räumlich-akustischen Konzept des Werkes durch die räumlich getrennt aufgestellten Chöre ein wahrnehmungspsychologisches Räumlichkeitskonzept an die Seite stellt.

Der Vorstoß, wissenschaftlich über die Verbindung von Analyse und Raumwahrnehmung zu diskutieren, brachte eine Vielzahl heterogener Zugänge hervor. Der abstrakte, wahrnehmungspsychologische Raumbegriff, wie er den Beiträgen von Anne Holzmüller, Christian Utz und Johannes Bernet zugrunde lag, stand im Kontrast zur konkreten Raumanalyse bei Janina Klassen und Margarethe Maierhofer-Lischka. In dieser Form bot der Workshop zahlreiche Anregungen für weitere Überlegungen und Forschungen auf dem Gebiet der musikalischen Raumwahrnehmung.