Ein Tag für Erwin Schulhoff – vor 100 Jahren in Dresden. „Überdada, Componist und Expressionist“

Dresden, 14.11.2018

Von Vitus Froesch, Dresden – 19.03.2019 | Vielgestaltig, abwechslungsreich und tiefgründig widmeten sich insgesamt neun Referentinnen und Referenten dem Komponisten und Pianisten Erwin Schulhoff (1894–1942). Veranstaltungsort war die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden, deren Institut für Musikwissenschaft das Symposion ausrichtete. Anlass war die Tatsache, dass der aus Prag stammende Schulhoff vor einem Jahrhundert, von Januar 1919 bis Herbst 1920, in der Elbestadt lebte. Ernüchtert von den Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges, hatte Schulhoff hier Anschluss an einen Kreis von Künstlern gefunden, die sich – wie er – einer innovativen, umstürzlerischen Ausrichtung verschrieben hatten. Die äußerst produktiven Dresdner Jahre Schulhoffs, in denen er Konzerte veranstaltete, vielfältig komponierte, zudem Kontakt mit Arnold Schönberg in Wien und George Grosz in Berlin aufnahm, bildeten den Beginn seiner Auseinandersetzung mit verschiedenen Zeitströmungen (Expressionismus, Dadaismus, Jazz, Neue Sachlichkeit und Neoklassizismus). So bestand die Möglichkeit, während der Tagung einen Musiker kennenzulernen, der zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte, während des Nationalsozialismus verfemt war, in einem bayerischen Internierungslager starb und in den 1990er Jahren wiederentdeckt wurde.

Die Konzeption dieses Schulhoff-Tages lag in den Händen von Matthias Herrmann (Dresden), welcher in seinem Eröffnungsvortrag die wechselvolle Biographie Schulhoffs umriss und zugleich auf exemplarische Auszüge seines Schaffens nicht nur der Dresdner Zeit einging. Dabei hob er besonders die stellenweise kontroverse Korrespondenz zwischen Schulhoff und Schönberg 1919/20 hervor, welche von letzterem beendet wurde.

Im Anschluss daran stellte die Leiterin der musikgeschichtlichen Sammlung des Tschechischen Nationalmuseums Prag, Marketa Kabelková, den umfangreichen Nachlass Schulhoffs vor, der seit 1976 dort bewahrt wird und neben autographen Partituren und Skizzen auch Wortbeiträge enthält, zudem Fotos, Konzertdokumente, Tonaufnahmen, Diplome und Auszeichnungen.

Um das intensive und enge Verhältnis Schulhoffs mit dem Dadaismus ging es Tobias Widmaier (Freiburg i. Br.), dem Herausgeber der Schulhoff-Schriften. Er sprach das offensichtliche dadaistische „Erweckungserlebnis“ an, eine Berliner Dada-Soirée, welcher der Komponist beiwohnte. Ebenso kam der Kontakt zu George Grosz und zum Berliner Dada-Zirkel zur Sprache sowie die Auswirkungen dieser Eindrücke auf Schulhoffs Dresdner Konzerte und Kompositionen, einschließlich künstlerischer und politischer Dimensionen.

Michael Heinemann (Dresden) beschäftigte sich mit einer von Schulhoffs damaligen dadaistischen Provokationen, der Sonata erotica. Dieses Stück für eine Sängerin ist von sexuellen Anspielungen durchzogen. Von einem kritischen Ansatz ausgehend, ergaben sich philosophische, poetische und rezeptionelle Überlegungen.

Johannes Schmidt (Dresden) widmete sich der „Dresdner Sezession Gruppe 1919“, einer ambitionierten interdisziplinären Künstlergemeinschaft, mit der sich Schulhoff verbunden fühlte, ohne direktes Mitglied zu sein. Die Ursprünge der Sezession um Otto Dix wurden genauso beleuchtet wie interdisziplinär konzipierte Ausstellungen, mit denen man unter anderem nach Prag reiste.

Jörn Peter Hiekel (Dresden) ging auf die avantgardistischen Strategien Schulhoffs, dessen kompositorische Vielseitigkeit, stilistische Gegensätzlichkeit und Qualität ein. Die Widersprüchlichkeit seiner verschiedenen kompositorischen Ansätze, teils von den Zeitgenossen scharf kritisiert, wurden so als eigenständiges Profil erkennbar.

Miriam Weiss (Heidelberg) beleuchtete die vielfältigen Facetten der Jazzrezeption in Schulhoffs Werk seit der Dresdner Zeit bis in die frühen 1930er Jahre und erläuterte die Bipolarität zwischen Jazz als Provokation und der Kultivierung dieser Anregungen im Sinne eines „Kunst-Jazz“. Zudem richtete sie die Aufmerksamkeit auf Auszüge aus der am Don-Juan-Stoff orientierten Oper Flammen mit eindrücklichen und überraschenden Jazzbezügen.

Tobias Schick (Dresden) präsentierte in ausführlichen analytischen Betrachtungen wesentliche Gestaltungsmittel und strukturelle Qualitäten von Schulhoffs erstem Streichquartett (1924). Abschließend wandte sich Manuel Gervink (Dresden) dem Komponisten und seinem Verhältnis zum Expressionismus zu. Auf eine mit Zitaten von Zeitgenossen belegte Begriffsdefinition folgte die Einordnung anhand der künstlerischen Ausdrucksformen Schulhoffs. Dies gab dem Referenten die Gelegenheit, verschiedene Aspekte der gesamten Tagung zusammenfassend darzustellen.

Mit einem musikalisch-literarischen Abend im architektonisch und akustisch hervorragenden hochschuleigenen Konzertsaal klang beziehungsreich der „Tag für Erwin Schulhoff“ aus: mit den Zehn Klavierstücken WV 50, Fünf Pittoresken WV 51, Fünf Gesängen mit Klavier WV 52 und der Sonata erotica sowie Auszügen aus dem kontroversen Briefwechsel mit Schönberg und Groszʼschen Wortschöpfungen, also mit Kompositionen und Texten der Dresdner Zeit. Während die musikalischen Anteile von Dozenten und Studenten der Hochschule präsentiert wurden, waren die Schauspieler Andreas Herrmann und Lars Jung (Leipzig/Dresden) als Rezitatoren zu erleben. Dieses Konzert bildete den eindrücklichen, teils amüsanten Abschluss des Dresdner Schulhoff-Tages und machte deutlich, wie lohnend auch die praktische Beschäftigung mit Schulhoff ist. Nach Aussage des Herausgebers Matthias Herrmann erfolgt die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in den Dresdner Schriften zur Musik (Tectum Wissenschaftsverlag Baden-Baden).