Französische Oper in Wien um 1800
Wien, 25.-26.05.2018
Von Konstantin Hirschmann, Wien – 31.08.2018 | Ein Dreigespann – der Forschungsschwerpunkt Interpretation der Hochschule der Künste Bern (Martin Skamletz) in Zusammenarbeit mit den musikwissenschaftlichen Instituten der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Klaus Pietschman) und der Universität Wien (Michele Calella) – widmete eine in der Österreichischen Gesellschaft für Musik veranstaltete Tagung der „Französischen Oper in Wien um 1800“. Diese gelangte in zwei Wellen von der Seine an die Donau – zunächst in den 1790er Jahren und dann nochmals am Anfang des 19. Jahrhunderts, in einer durch den Frieden von Lunéville (1801) und die erste französische Besatzung Wiens (1805/6) geprägten Periode, in welcher die Hoftheater und das neueröffnete Theater an der Wien mit Importen aus Frankreich um die Gunst des Publikums buhlten.
Die Tagung beleuchtete das politische, gesellschaftliche und musikalische Umfeld, in dem die Werke von Luigi Cherubini, Étienne-Nicolas Méhul und anderen aufgenommen wurden, warf Schlaglichter auf einzelne Kompositionen und deren Bearbeitungen und beschäftigte sich mit Kulturtransfer, Rezeption und mit Akteuren des Wiener Kulturlebens. Das Programm wurde durch ein von Studierenden der Universität für Musik und Darstellende Kunst musiziertes Konzert abgerundet, das Ausschnitte aus in Wien nach 1803 gedruckten Klavierauszügen französischer Opern brachte.
Den Eröffnungsvortrag hielt Estelle Joubert (Halifax), die einschlägige Ergebnisse aus dem von ihr geleiteten Projekt Visualizing Operatic Fame präsentierte. Eine mit diesem Projekt verbundene graphisch unterstützte Datenbank visualisiert Beziehungen zwischen Akteuren der Opernwelt (Komponisten, Sängern, Verlegern) und musiktheaterbezogenen Objekten (Partituren, Rezensionen, Bildern) und verzeichnet bis dato über 6000 Einträge von Opernaufführungen im deutschsprachigen Raum aus der Zeit von 1780 bis 1810, von denen rund die Hälfte in Wien stattfanden. Anhand dieser Daten konnte Joubert die Verbreitung und den Popularitätsaufschwung der französischen Oper in Wien in den zwei relevanten Phasen (ab 1785 bzw. 1801) auch optisch veranschaulichen.
Klaus Pietschmann (Mainz) gab anschließend darüber Auskunft, wie die bereits nach dem Tod Leopolds II. in Wien kränkelnde italienische Oper auf die jäh aufflammende Begeisterung für das französische Musiktheater reagierte. Pietschmann rückte die Werke Ferdinando Paërs in den Fokus, dessen in der Wiener Tradition verwurzelte Opern Camilla und Ginevra weniger als frühe Exemplare der opera semiseria anzusehen seien denn als Scharniere zwischen der sentimentalen Oper der 1790er Jahre und dem französischen Musiktheater nach der Jahrhundertwende. In Paërs von Marsch- und Militärmusik durchzogenem, den Trojanischen Krieg verhandelnden Achille (1801) legte Pietschmann außerdem Anspielungen auf das damalige Kriegsgeschehen beziehungsweise die wachsende Präsenz militärischer Musik im öffentlichen Raum frei.
Einen Blick hinter die Kulissen der Wiener Opernproduktion an der Wende zum 19. Jahrhundert boten zwei Referate über Joseph Carl Rosenbaum, dessen zwischen 1789 und 1829 verfasste Tagebücher eine kaum zu überschätzende Quelle für die Theatergeschichte ihrer Zeit darstellen. Während Peter Prokop (Wien), der für eine digital durchsuchbare Transkription der Diarien Rosenbaums verantwortlich zeichnet, auf dieser Grundlage eine anekdotenreiche Einführung in das Kulturleben zu Lebzeiten des Autors gab, konzentrierte sich Martin Skamletz (Bern) auf Rosenbaums Einträge zur französischen Oper in Wien, die zwar hinsichtlich der Kompositionen eher unspezifisch ausfielen („schöne Musik“, „gefiel wenig“), dafür aber kostbare Einblicke in das damalige Opernproduktionssystem, in den Konkurrenzkampf zwischen Hoftheater und Theater an der Wien, ja sogar in die dortige Probenarbeit (Rosenbaum war mit der Sängerin Therese Gassmann liiert) gewähren.
Weitere Mosaiksteine zum französisch gefärbten Kulturleben der damaligen Zeit lieferten Theodore Albrecht (Kent, OH), der en detail das Orchester des Theaters an der Wien im Jahr 1805 untersuchte, und Carol Padgham Albrecht (Moscow, ID), welche die Karriere der zwischen 1802 und 1805 in einer Reihe französischer Werke engagierten Sängerin Theresia Saal nachzeichnete.
Den Transfer einer „seltsame(n) Gattung von Schauspielen, die man Melodrama nennt“ (Kotzebue) von Paris nach Wien beleuchtete Barbara Babić (Wien). Anhand des reizvollen Beispiels von Salomons Urtheil, einer Bearbeitung von Le jugement de Salomon (1802; Louis-Charles Caigniez / Adrien Quaisin), das durch seine Aufführung 1804 im Theater an der Wien eine regelrechte Melodram-Mode an der Donau einläutete, veranschaulichte Babić die unterschiedlichen Erwartungshaltungen des Publikums in Wien und Paris, den politischen Missbrauch der Stücke (Salomon wurde 1804 anlässlich der Selbstkrönung Napoleons aufgeführt) und die Bearbeitungspraxis der Zeit. Nicht zufällig erinnern die von Matthäus Stegmeyer in Wien eingefügten Musiknummern in der Partitur eher an das Melodram Benda’scher Prägung als an mélodrames des französischen Boulevard-Theaters – Salomons Urtheil stellt insofern ein Hybrid aus alt und neu, aus nah und fern dar.
Annette Kappeler (Bern) und John A. Rice (Rochester, MN) führten anschließend aus verschiedenen Blickwinkeln in das spannende Phänomen ein, dass in den Hoftheatern und im Theater an der Wien regelmäßig parallel dieselben aus Frankreich importierten Stücke in je eigenen Adaptionen über die Bühne gingen. Kappeler konzentrierte sich bei ihrer Behandlung der Befreiungsoper La caverne (1803 in Wien) auf Eingriffe der Zensur, mit welchen eine Umkehrung des soziopolitischen Gehalts sowie der Genderrollen der zur Revolutionszeit in Paris so erfolgreichen Oper einhergingen. Rice gewährte unterdessen Einblicke in die Wiener Bearbeitungen von Méhuls Une folie, eines Stücks, das ebenfalls zweifach aufgeführt werden sollte, wäre die Hoftheater-Produktion nicht der Erkrankung eines Sängers und dem Tod eines weiteren zum Opfer gefallen.
Mit vermeintlichen Nebenschauplätzen der Rezeption französischer Opern in Wien beschäftigten sich Andrea Horz (Wien) und Austin Glatthorn (Halifax). Erstere untersuchte die unterschiedlichen Strategien von Musikverlagen in Paris und Wien als Akteuren der medialen Verbreitung, wobei sich das damals erst seit kurzer Zeit als Operndruck-Zentrum etablierte Wien auch einiger in Frankreich durchgefallener Opern annahm. Glatthorn nahm unterdes Bearbeitungen französischer Opern für Harmoniemusik unter die Lupe und strich hierbei besonders deren Vorzug heraus, die Musik für eine Vielzahl verschiedener Publika zugänglich zu machen.
Dem heute wohl berühmtesten unter den behandelten Komponisten, Luigi Cherubini, war ein kleiner Schwerpunkt gewidmet. Michael Fend (London) skizzierte den neunmonatigen Wien-Aufenthalt des Italieners im Jahr 1805/6, für den dieser seine Faniska auf eine Weise in Musik setzte, welche die geringe Vertrautheit des Komponisten mit den Opern-Usancen der Stadt verrät. Peter Niedermüller (Mainz) untersuchte den Stellenwert der Ouvertüren Cherubinis im Rahmen des Wiener Konzertrepertoires und beobachtete dadurch Kanonisierungstendenzen ebenso wie mögliche intertextuelle Bezüge zu Instrumentalwerken von Ludwig van Beethoven. Giada Viviani (Rom) bot schließlich einen Einblick in ihre aktuelle Arbeit an der Edition zur einzigen für Wien komponierten Oper Cherubinis, Faniska, die – deutsch uraufgeführt – ursprünglich eine italienische Adaption eines französischen mélodrames darstellte. Die beiden erhaltenen Autographe sind mit italienischem respektive französischem Text unterlegt, was auf einen ursprünglichen Konnex zur italienischen Truppe der Hoftheater hindeuten könnte, die nach finanziellen Schwierigkeiten freilich nicht mehr existierte. Durch die Umarbeitung ins Deutsche war Cherubini zu Eingriffen in die musikalische Dramaturgie genötigt, was Faniska in eine zwischen Opera semiseria und Opéra comique pendelnde Mischform transformierte.
Auch der von Fabian Kolb (Mainz) gehaltene Schlussvortrag drehte sich um die Inkorporierung französischer Modelle in für Wien entstandene Opern – hier mit Blick auf das Œuvre von Hofoperndirektor Joseph Weigl, der zwar als Bearbeiter früh mit der französischen Oper in Kontakt kam, in seine eigenen Kompositionen indessen erst spät – als die Opéra comique bereits ihren Zenit überschritten hatte – französische musikdramatische Modelle übernahm, etwa breite Szenenkomplexe, Romanzen, Melodram-Episoden oder Couleur locale.
Dafür, dass die mannigfaltigen Erkenntnisse der Tagung nicht verpuffen wie weiland der Erfolg von Méhul und Cherubini in Wien, wird ihre Publikation 2019 in der Reihe Musikforschung der Hochschule der Künste Bern sorgen.