„Die Herrlichste von Allen“. Clara Schumann zum 200. Geburtstag

Zwickau/Dresden/Leipzig, 09.-12.05.2019

Von Isabell Tentler, Zwickau – 24.11.2019 | In früheren Jahren war die Quellenerschließung zu Clara Schumann trotz reicher Überlieferung sehr lückenhaft, was zur Folge hatte, dass oft nur spekulativ und interpretierend rekonstruiert werden konnte. Diese Situation hat sich in den letzten Jahren grundlegend gebessert: Schumanns Briefwechsel mit Freunden, Künstlerkollegen und Familienangehörigen sind erschienen, die Jugendtagebücher und weitere private Aufzeichnungen sowie Zeitzeugnisse ihrer Schülerinnen ediert. Die Auswertung dieser Quellen ermöglicht nicht nur besser gesicherte Aussagen, sondern erfordert auch einen neuen und sachlicheren Blick auf Schumann.

Die von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Tagung war die erste in diesem Jubiläumsjahr. Die Veranstalter – die Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, dem Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, dem Robert-Schumann-Haus Zwickau und dem Schumann-Haus in Leipzig – hatten sich ein differenziertes Porträt zum Ziel gesetzt: Clara Schumann als Pianistin, Komponistin, Lehrerin, Familienmitglied und Freundin. Schumann-Experten, andere namhafte Musikwissenschaftler und Künstler (natürlich Frauen und Männer) aus Deutschland, Kanada, USA und Österreich waren eingeladen, sich damit auseinanderzusetzen. Die Konferenz an den verschiedenen (Wirkungs-)Orten Zwickau, Leipzig und Dresden jeweils mit Ausstellungen, Konzerten und Lecture-Performance auszurichten, war eine außergewöhnliche Idee. Das aus Chamissos Zyklus’ Frauenliebe und -leben stammende und veränderte Titelzitat (eigentlich „Er, der Herrlichste von Allen“) stimmte darauf ein (wobei offenblieb, ob Clara oder die Musik gemeint ist).

Die Tagung wurde mit einer musikalischen Abendveranstaltung im Robert-Schumann-Haus Zwickau eröffnet. Gili Loftus (Klavier) und David Eggert (Violoncello) trugen Werke von Clara und Robert Schumann, Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bach und Frédéric Chopin vor. In historisierender Aufführungspraxis, gemäß der Konzertpraxis Clara Schumanns, spielte Loftus die Stücke mit improvisatorischen Ein- und Überleitungen auf einem 1827 in Wien erbauten Flügel, den Friedrich Wieck eigens für seine Tochter Clara anfertigen ließ. Anschließend führte Thomas Synofzik durch die Ausstellung „Clara Schumann und ihre Kinder“, die zweite von insgesamt vier von ihm geplanten Sonderausstellungen in diesem Jahr.

Die folgenden Tage standen unter gleich zwei Mottos. „Geliebte Clara“ und „Gedenk-Kult(ur)“ wurde von Beatrix Borchard (Hamburg) zur Überlieferung von Quellen, insbesondere von Briefen, eingeleitet, wobei sie mit großer Wertschätzung auf die wesentlich verbesserten Quellenzugriffsmöglichkeiten durch die neueren Editionen hinwies. Aufgrund erheblicher Lücken, die auf Schumanns offenbar mehrfaches Aussortieren und ihre Bevorzugung repräsentativer Briefe (Adelsbriefe oder dergleichen) zurückgehen, ist bei der Auswertung besondere Vorsicht zu üben. Klaus Martin Kopitz (Berlin) folgte mit einem Plädoyer für eine Clara Schumann-Gesamtausgabe. Dabei erschwert der geringe Werkumfang eine sinnvolle, thematische Einteilung der Bände sowie die Tatsache, dass einige Kompositionen gemeinsam mit Robert Schumann entstanden und entsprechende Textanteile oft nur unklar oder gar nicht gegeneinander abzusetzen sind, ihre Edition. Die beiden folgenden Vorträge beschäftigten sich mit dem Clara Schumann-Bild in visuellen Medien: April Prince (Texas) widmete sich der Fotografie, Julia Lajta-Novak (Wien) dem Film mit Schumann als Heldin. Anschließend referierte Annegret Rosenmüller (Leipzig) zum Thema Clara Schumann und die Schumann-Memorialtradition. Die gängige Annahme, Schumann sei in die Planung der Denkmale ihres Mannes eingebunden gewesen, wurde jedoch nur teilweise oder nicht bestätigt. Den letzten Vortrag des Tages hielt Jonathan Kregor (Cincinnati) zum Thema Schumann in der amerikanischen Presse, wobei deutlich wurde, dass es sich bei den entsprechenden größeren Beiträgen um Übernahmen aus europäischer, vor allem deutscher Presse handelt. Anschließend brachte ein Bustransfer die Referenten nach Dresden, wo ein Liederabend der Hochschule mit Studierenden der Liedklasse unter der Leitung von Olaf Bär mit Liedern des Paares Schumann und ihres Freundes Johannes Brahms zu erleben war.

Der dritte Tag stand zunächst unter dem Motto „Kunst & (Dresdner) Alltag“. Matthias Wendt (Krefeld) stellte ein bislang unbekanntes Tagebuch Cäcilie Wiecks aus Dresden vor. Cäcilie Wieck war Clara Schumanns wesentlich jüngere Halbschwester, ihre Tagebücher gewähren eine sehr persönliche, insofern auf besondere Weise aufschlussreiche und seltene Einsicht in den Alltag der Familie Wieck ab etwa 1851, insbesondere hinsichtlich des Einflusses und Charakters von Friedrich Wieck. Carlos Lozano Fernandez (Dresden) referierte über Clara Wiecks ambivalentes Verhältnis zu der Familie Kaskel in Dresden. Ekaterina Smyka (Moskau/Reutlingen) beleuchtete die Beziehung zwischen Schumann und Carl Gottlieb Reißiger anhand der Briefe von Reißiger; Gegenbriefe sind nicht überliefert. Anselm Eber (Berlin) stellte die Beziehung zwischen Schumann und der ebenfalls mit Brahms eng befreundeten Familie Fellinger in Wien anhand zahlreicher 1997 von der Urenkelin Imogen Fellinger publizierten Bilder der Fotografin und Malerin Maria Fellinger dar. Jelena Josic (Belgrad/Dresden) beleuchtete die Beziehung Schumanns zu dem Sänger Julius Stockhausen. Den Tag beschloss Rebecca Grotjahn mit einem Vortrag über die Freundschaft zwischen Schumann und Wilhelmine Schröder-Devrient, die von gegenseitiger Bewunderung geprägt war.

Die anschließende Diskussion zeigte, dass trotz einiger in den letzten Jahren entstandenen Publikationen die Dresdner Jahre noch immer ein Desiderat der Forschung darstellen und viele Fragen, beispielsweise nach den Gründen für den Weggang der Schumanns aus Leipzig nach Dresden, heute noch unbeantwortet sind. Dokumente wie das Tagebuch der Cäcilie Wieck erweisen sich dabei als überaus wertvoll.

Den zweiten Teil des Tages „Komponieren“ eröffnete Timo Evers (Düsseldorf). Dass Robert Schumann Clara aufforderte und ermutigte zu komponieren, belegen unter anderem die gemeinsamen Kontrapunktstudien. Am Beispiel der Unterschiede zwischen Autograph und Erstdruck der Fuge op. 16/2 wies Evers Robert Schumanns Einfluss auf die Kompositionen seiner Frau nach. Thomas Synofzik referierte zur pianistischen Idiomatik in Clara Schumanns Kompositionen, die bis zum Schluss der Fieldschen Klaviertradition treu blieb. Synofzik stellte dar, wie die Klaviermechanik die Vortragsbezeichnungen der Komponistin beeinflusste – im Vergleich zu Chopin, der englische Mechanik bevorzugte. Michael Heinemann (Dresden) befasste sich mit Blick auf Schumanns Jucunde-Vertonungen op. 23 mit ihrer Religiosität und Feuerbachs Naturphilosophie. Der letzte Beitrag stammte von Valerie Goertzen (New Orleans) über Clara Schumann als Bach-Bearbeiterin und -Interpretin.

Der letzte Tag fand in Leipzig unter dem Motto „Erben“ statt und begann mit einer Führung durch das Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig. Anschließend, im Konzertsaal des Hauses, wandte sich Gili Loftus (Montréal) Schumanns Pedal-Markierungen in der instruktiven Ausgabe von Robert Schumanns Klavier-Werken aus dem Jahr 1887 zu. Die letzten beiden Vorträge widmeten sich Schülern und Schule von Clara Schumann. Kazuko Ozawas (Krefeld) Vortrag über Schumanns Beziehung zu ihrer Schülerin Ilona Eibenschütz brachte Skurriles zu Tage. Während Schumann als Wunderkind vom Vater jünger gemacht wurde, war bei Eibenschütz das Gegenteil der Fall. Die Briefe an Eibenschütz zeigen Schumann als empathische Lehrerin, die sich auch nach dem Unterricht verantwortlich fühlte und nach besten Kräften unterstützte. Anschließend sprach Annekatrin Babbe (Bremen) zur Traditionsbildung um Schumann und die Durchsetzung einer Schumann-Schule. Nach Zitaten der Schülerinnen galt Schumann als strenge Lehrerin, die Wert darauf legte, beim Spiel den Intentionen des Komponisten zu folgen.

Einen besonderen Ausklang fand die Konferenz mit dem Konzert „Die zwei ältesten Freundinnen dieses Jahrhunderts“ – Die Künstlerinnenfreundschaft von Clara Schumann und Pauline Viardot in Briefen und Liedern mit der Sopranistin Miriam Alexandra und dem Pianisten Andreas Reuter im Schumann-Haus Leipzig.

Die Beiträge der Konferenz eröffneten viele neue Einsichten und Perspektiven zum Leben und Wirken Clara Schumanns. Insbesondere jene Referate, die sich mit – teils bis dahin unveröffentlichten – Quellen befassten, zeigten, welche Schätze noch gehoben werden können und wieviel Potential in der weiteren Clara Schumann-Forschung steckt.

Ein Konferenzbericht erscheint in den im Auftrag der Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau e. V. herausgegebenen Schumann-Studien.