Royal Musical Association, 57th Annual Conference

Newcastle, 14.-16.09.2021

Von Patrick Becker-Naydenov, Leipzig – 22.12.2021 | Die Jahrestagung konnte an der Newcastle University in Präsenz stattfinden, außerdem bestand die Möglichkeit, die Vorträge und Konzerte online zu verfolgen. In knapp 50 Sessions und weit mehr als 100 Vorträgen stellten hauptsächlich Musikforschende aus dem britischen und irischen Raum ihre Projekte vor. Den häufig auch von umfangreichen musikpraktischen Anteilen geprägten Studiengängen in Großbritannien entsprechend, konnte das Organisationsteam um Magnus Williamson neben wissenschaftlichen Beiträgen auch zahlreiche Aufführungen in den Bereichen Folk Music und Kammermusik sowie Kompositions- und Interpretationsworkshops anbieten.

Fixpunkte der RMA-Jahrestagungen sind traditionell die an renommierte Forscher:innen vergebenen Keynotes. Kofi Agawu berichtete in seiner Peter Le Huray Lecture von neuen Ergebnissen aus seiner Forschung zu metrisch-rhythmischen Besonderheiten der afrikanischen Musik in Ghana. An Eric Drott von der Butler School of Music der University of Texas at Austin wurde die prestigeträchtige Dent Medal 2020 verliehen. Im Anschluss an Agawus Vortrag lud der Verlag Boydell & Brewer zu einem Empfang, während jüngere Mitglieder der RMA bei einem Sundowner Quiz den Tag gesellig ausklingen ließen.

Im Vergleich mit ähnlichen Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum ist besonders die Bandbreite der Vortragsthemen hervorzuheben; und dies, obwohl auch die RMA mit der Society for Music Analysis und dem British Forum for Ethnomusicology ähnliche Schwestergesellschaften wie die Gesellschaft für Musikforschung in Deutschland hat, die sich ebenfalls für solche Themen verantwortlich fühlen. Eine derart hohe Zahl von organisierten Panels beispielsweise zu Identitätsfragen, zur Frauengeschichte oder Queer-Forschung und zum (Post-)Kolonialismus ist außergewöhnlich, zumal die häufig auch kulturwissenschaftlich angeregten Beiträge mit einer Schicht von Theoriebildung operieren, deren Aktualität keine Spur von fachlicher Verspätung zeigt. Dennoch kommen auch im engeren Sinne musikhistorische und -analytische Vorträge nicht zu kurz: So präsentierte Joshua Ballance eine überzeugende, computergestützte Untersuchung des als Viennese Trichord bekannten Quartenakkords in Anton Weberns Œuvre, und Gabriel Jones konnte mit einem Einblick in sein Dissertationsprojekt über Karlheinz Stockhausens Klavierstücke von den erkenntnisfördernden Vorzügen der Artistic research überzeugen. Will man von einer normativen Hierarchie der Themen nach ihrem Anerkennungsgrad in der britischen Musikforschung sprechen, die zweifelsohne besteht, so scheint sie sich eher im Gefälle zwischen den alten Traditionsuniversitäten Cambridge, Oxford und Durham sowie den weiteren Instituten als in der Distanz von Forschungsarbeiten zum (digital-)philologischen Paradigma abzuzeichnen, welches das Fach im deutschsprachigen Raum prägt.

Außerdem scheint die RMA nicht bloß einen offeneren Umgang mit der eigenen – manchmal auch tief problematischen – Vergangenheit zu pflegen, sondern fordert ihre Mitglieder proaktiv zur Auseinandersetzung damit auf, wie beispielsweise Leanne Langley und Jonathan Hicks sich in Session 1b den Implikationen des erst 1944 der Musical Association verliehenen Wörtchens ‹Royal› widmeten. Für das bevorstehende 150. Jubiläum im kommenden Jahr sind deshalb viele spannende Beiträge in unterschiedlichen Formaten zu erwarten, da entsprechende Aufrufe bereits erfolgten. Ein Tagesausflug nach Durham am Tag vor dem eigentlichen Konferenzbeginn hat schließlich umso größere Vorfreude auf die nächste Jahrestagung der RMA an diesem Standort im Jahr 2022 geweckt.