Second annual conference – Women’s Agency in Schubert’s Vienna

Schubert Research Center | Österreichische Akademie der Wissenschaften

Wien, 03.-05.11.2022

Von Annachiara Seitlinger – 16.02.2023 | Vom 3. bis zum 5. November 2022 fand in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die zweite Jahrestagung des 2021 gegründeten Schubert Research Center, der Kommission für interdisziplinäre Schubert-Forschung, statt. Die diesjährige, von Andrea Lindmayr-Brandl, Melanie Unseld, Birgit Lodes und Franz Fillafer organisierte Tagung zum Thema Women’s Agency in Schuberts Vienna lud zum interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs zwischen internationalen Forscher:innen ein – eine Möglichkeit des Austausches, die von Beginn an neue Impulse und unterschiedliche Denkanstöße versprach. Besonders erfreulich war darüber hinaus die Tatsache, dass zahlreiche Musikwissenschaftsstudent:innen im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Universität Wien an der Tagung teilnahmen und dabei in regen wissenschaftlichen Austausch mit arrivierten Kolleg:innen treten konnten.

Als suggestiv erwies sich der Tagungsort, der Johannessaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Jesuiten- bzw. alten Universitätsviertel im ersten Wiener Gemeindebezirk, durch dessen Gassen schon der junge Schubert, damals Schüler am gegenüber gelegenen Kaiserlich-königlichen Konvikt, wohl oft gegangen ist. Die diesjährige Konferenz hatte es sich zum Ziel gemacht, das Umfeld des Wiener Komponisten unter die Lupe zu nehmen und verschiedene Aspekte des musikalischen und kulturellen Lebens in Wien zu durchleuchten. Dabei legten die Organisator:innen einen Fokus auf die agency der Frauen, also ihre Möglichkeit, in verschiedenen Rollen, etwa als Musikerinnen, Mediatorinnen, Förderinnen oder Salonnières, Einfluss auf ihr musikalisches Umfeld auszuüben und das kulturelle Leben aktiv mitzugestalten.

Dreizehn Musikwissenschaftler:innen wurde im Zuge der dreitägigen Konferenz Raum gegeben, ihre Beiträge zur Thematik der women’s agency zu teilen, neue Forschungsansätze zu präsentieren und einen Einblick auf die weitere Entwicklung dieses Forschungsbereichs zu geben.

Nach einleitenden Worten von Andrea Lindmayr-Brandl (Salzburg) führte Melanie Unseld (Wien) in die Thematik des Agency-Begriffs und in den historischen Kontext von Schuberts Wien ein; das kulturelle Leben der Stadt wandelte sich in diesen ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von der Enge des Biedermeiers zu liberaleren gesellschaftlichen Formen und wurde somit Schauplatz neuer Ansätze des Denkens und Handelns in und außerhalb der Musik.

Natasha Loges (Freiburg) griff in ihrem Beitrag die Schwierigkeit der Definition des Agency-Begriffs auf. Es handle sich um einen Cluster unterschiedlicher Konzepte, die jedoch nur für diejenigen Personen von Bedeutung sind, die keine kulturelle Handlungsfähigkeit haben, d. h. für vorrangig benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie vor allem auch Frauen. In diesem Zusammenhang betonte Loges, wie sehr der Erfolg von Frauen meist unauflösbar an ihre Beziehungen zu Männern und deren Netzwerke geknüpft war. Als Beispiel dafür griff Loges auf die Pianistin Josepha Auernhammer zurück, deren Karriere als Musikerin und Veranstalterin zumeist im Schatten ihres Erscheinungsbildes als Frau und der Verbindung zu ihrem Lehrer Wolfgang Amadeus Mozart stand.

Nancy November (Auckland) weitete den Blick auf den Handlungsraum der Frauen, die sich, anders als Männer, in der häuslichen Sphäre zu bewegen hatten. Der musikalische Salon bot ihnen eine Möglichkeit, dennoch am kulturellen Leben und Handeln teilzuhaben und dieses aktiv mitzuprägen. In den musikalischen Gesellschaften der Fanny von Arnstein, einer der einflussreichsten Salonnières ihrer Zeit, konnten auch Frauen sich einbringen und Programme gestalten, die öffentlichen Konzerten ähnlich waren. In diesen musikalischen Veranstaltungen spielten Arrangements eine besondere Rolle.

Im Zentrum der (verlesenen) Überlegungen von Gundula Bobeth (Wien) stand das Geschwisterpaar Justine und Nikolaus von Krufft. Bobeth betrachtete die unterschiedlich vermittelten Rollenbilder von Mann und Frau in ihrer musikalischen Ausprägung – ein im Laufe der Tagung immer wieder mit Interesse aufgegriffener Diskussionspunkt – anhand des Liedes Mädchenklage und Mädchentrost. Justine ist dabei sowohl Verfasserin des von ihrem Bruder in Musik gesetzten Gedichts als auch Widmungsträgerin der daraus entstandenen Komposition. Einige Jahre zuvor hatte Nikolaus von Krufft auch Friedrich Schillers durchaus zwiespältig rezipiertes Gedicht Würde der Frauen vertont; Justines Gedicht kann in diesem Kontext wohl als Antwort auf Schillers aus männlicher Perspektive gezeichnetes Bild der Weiblichkeit interpretiert werden.

Mit ihrem Beitrag zur Erschließung von Anna (Nanette) Fröhlichs Salzburger Musiksammlung gab Eva Neumayr (Salzburg) Einblick in ein noch am Beginn stehendes Forschungsprojekt. Eine vollständige Aufarbeitung des im Archiv der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg aufbewahrten Nachlasses von Nanette Fröhlich soll Aufschluss geben über die Bedeutung Fröhlichs als Musikerin, Lehrerin, Sammlerin und Förderin des Wiener Musiklebens.

Ebenfalls auf die Bedeutung musikalischer Sammlungen kam Henrike Rost (Berlin) in ihrem Beitrag zu musikalischen Memorabilia zu sprechen. Einst als persönliche Erinnerung gesammelte Stücke werden mit der Zeit – nicht zuletzt durch eine Verschiebung des Fokus auf die Materialität der Musikkultur – zu Artefakten mit historischem Wert, die an kulturelle Praktiken vergangener Zeiten erinnern und ein Bild der damaligen Gesellschaft und ihrer Ideale vermitteln.

Den ersten Tag, der im Zeichen der Salon-Kultur stand, beendete Anja Bunzel (Prag), die noch einmal die Aufmerksamkeit auf eine das Kulturleben prägende Frau richtete. Caroline Pichler etablierte sich – obwohl nur zu Besuch in Prag – innerhalb kürzester Zeit als Mediatorin, Kritikerin und Musikerin in den intellektuellen Kreisen der Stadt. So wie sie selbst von ihrem Umfeld beeinflusst wurde, galten ihre Gedichte und ihre Persönlichkeit als Inspirationsquelle für Komponisten wie Franz Schubert und János Fusz.

Mit einem Beitrag zu Namenverzeichnissen von Musiker:innen und Institutionen sowie deren Interpretation eröffnete Martin Eybl (Wien) den zweiten Tag der Konferenz, der die (Re-)Präsentation auf der Bühne in den Fokus der Betrachtungen stellte. Eine Gegenüberstellung zweier Publikationen erläuterte die Relevanz solcher Listen, die sowohl zur Aufrechterhaltung von künstlerischen Netzwerken als auch als Form der Selbstrepräsentation von Musiker:innen und der Stadt selbst galten, und somit durch die Auflistung zum Beispiel heute weniger bekannter Namen einen wichtigen Beitrag für die musikgeschichtliche Forschung leisten. Ein Blick in die Struktur der Publikationen wirft interessante Fragen auf, etwa die Trennung zwischen Virtuosen und Dilettanten, die Kriterien für die Reihung der Namen oder auch die auffallend hohe Präsenz von Frauen in diesen Aufzählungen.

Einen Blick auf die enge Verflechtung zwischen gender und body(re)presentations und ihre direkte Auswirkung auf die Musik ermöglichte Christine Hoppe (Kassel) anhand eines Vergleichs zweier Transkriptionen von Schuberts Ave Maria. Sowohl die junge Geigerin Teresa Milanollo als auch der Violinist August Wilhelmij arrangierten Schuberts Stück für ihr Instrument – auf sehr unterschiedliche Weise, wie es Christine Hoppe in einer Analyse der beiden Versionen darlegte. Inwiefern für diese Transkriptionen die normative Darstellung von Erwartungen und Idealen sowohl von Frauen als auch von Männern maßgebend ist und welchen Einfluss diese Darstellung auf die Rezeption der beiden Stücke hatte, ist eine Frage, die auch im Publikum für angeregte Diskussionen sorgte.

In Hinblick auf eine noch zu erarbeitende Biographie beschäftigte sich Anno Mungen (Bayreuth) mit der Schauspielerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Mungen konzentrierte sich auf eine Definition des Begriffes Arbeit im künstlerischen Bereich, die Frauen – wie am Beispiel Schröder-Devrients ersichtlich – eine gewisse Selbständigkeit im finanziellen und gesellschaftlichen Rahmen ermöglichte. Ein weiterer Forschungsansatz verfolgt die Frage, welchen Einfluss die Beziehung zu ihrer Mutter, der Schauspielerin Sophie Schröder, und deren Netzwerke auf ihre frühe Karriere hatten.

Jonathan Kregor (Cincinnati) richtete sein Interesse auf die Pianistin Clara Wieck und die Rezeption ihrer Interpretation von Beethovens Appassionata-Sonate in Wien. Eine bedeutsame Rolle spielte Franz Grillparzers Gedicht Clara Wieck und Beethoven. Das Gedicht, das Wiecks Spiel würdigend hervorhebt, wurde, so Kregor, von zeitgenössischen Kritikern missgedeutet, die damit ihre Beethoven-Interpretation relativierten. Wiecks Komposition Souvenir de Vienne schlug der Vortragende als gelungenes Gegennarrativ zu dieser Episode vor.

Das Engagement jüdischer Frauen im kulturellen und sozialen Leben erschloss Kristina Muxfeldt (Bloomington) in ihrem Beitrag zu sozialen Aktivitäten der jüdischen Bevölkerung. Zahlreiche Netzwerke wie die 1810 von Fanny von Arnstein mitbegründete Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen machten es sich zur Aufgabe, sich für die Unterstützung Benachteiligter und Kranker unabhängig von ihrer Religion einzusetzen. Dennoch war die Anerkennung des Einsatzes insbesondere der jüdischen Frauen gering. Auch nach dem Napoleonischen Krieg blieb es lediglich bei Toleranz gegenüber der jüdischen Gesellschaft, von einer – auch nur juristischen – Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerung konnte noch lange Zeit nicht gesprochen werden. 

Einen Einblick in die Rolle von Prinzessin Charlotte Kinsky als Förderin von Musik gewährte Birgit Lodes (Wien), die Verbindungen zwischen der Obersthofmeisterin von Erzherzogin Sophie und dem Komponisten Franz Schubert rekonstruierte. Als Gastgeberin von Konzerten – bei denen auch Mitglieder der kaiserlichen Familie anwesend waren – galt Kinsky als Förderin und Widmungsträgerin zahlreicher (vokaler) Werke u.a. von Beethoven und Schubert. Nicht nur die Liebe zum Lied verband Kinsky und Schubert, auch die Bewunderung für Beethoven war ihnen gemeinsam. Die hohe Anerkennung Charlotte Kinskys als Kulturmentorin von Seiten Schuberts bestätigt sich in seiner Widmung der Liedersammlung op. 96, dessen Lied Die Sterne, wie Birgit Lodes vorschlug, ebenso als Würdigung des verstorbenen Beethovens verstanden werden kann.

Hester Bell Jordan (Montréal) beendete die Konferenz mit ihrem Beitrag über Nannette Streicher-Stein in ihrer doppelten Rolle als Pianistin und Klavierbauerin. Die Wechselbeziehung zwischen Streicher-Steins Identität, Arbeit und dem feminisierten Klavier stand dabei im Zentrum der Betrachtungen. Der auf Streicher-Stein angewandte Begriff der maker-player unterstreicht einerseits die enge Verbindung der zwei Realitäten des Musizierens und des Instrumentenbaus, mit denen Streicher-Stein von Kindheit an vertraut war. Er ist aber auch Symptom eines fehlenden Verständnisses des Umfeldes für Streicher-Steins öffentliches Auftreten als Frau und Handwerkerin.

In einer anregenden Schlussdiskussion wurde die Gelegenheit gegeben, offengebliebene Aspekte und wissenschaftliche Desiderata anzusprechen. Vielfältige Anstöße bot der Agency-Begriff, dessen Ambivalenz eine – wie sich im Laufe der Tagung gezeigt hat – konkrete Definition erschwert, die aber umso mehr unterschiedliche Anknüpfungspunkte bietet. Als begriffliche Konstante zog sich die Thematik der agency durch die Berichte aller Vortragenden, die die Handlungsräume von Frauen im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten. Dennoch wurde von allen Forscher:innen der Wunsch geäußert, den Begriff auszuweiten und von den Kreisen der höheren Gesellschaft abzusehen, die diesmal im Fokus der Beiträge gestanden waren. In der Schlussdiskussion wurde die Aufmerksamkeit auch auf andere soziale Kontexte, gesellschaftliche Gruppen und deren kulturelle Handlungsfelder gelegt. Daraus resultierte die Aufforderung, deren Relevanz für die Kultur in weiterer Folge noch tiefer und interdisziplinärer zu untersuchen.
Mit dieser zweiten Jahrestagung des Schubert Research Center konnten nicht nur anregende neue Forschungsfelder im Kontext Schuberts in Wien und in seiner Zeit eröffnet werden. Vor allem aber wurde in diesen drei Tagen eine Aufbruchsstimmung spürbar, die eine zukünftige und vertiefende wissenschaftliche Beschäftigung mit der agency von Frauen auch in anderen Bereichen verspricht.