Chant fé­mi­nin: Weib­li­che Stim­men – weib­li­che Ge­sangs­kul­tu­ren?

Tagung in Kooperation der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und der Universität Koblenz

Frankfurt, 26.-27. Juni 2025

Deadline: 30.09.2024

Vor dem Hintergrund der in den 1970er Jahren vielfach diskutierten philosophischen und literaturtheoretischen Idee einer „écriture féminine“ (Hélène Cixous, Luce Irigaray, Julia Kristeva) soll auf der Tagung der Frage nachgegangen werden, ob und wie spezifisch weiblich konnotierte Gesangskulturen – ‚männliche Gesangshegemonien‘ flankierend, ausgleichend oder störend – historisch sichtbar werden und in welcher Form sie in den zeitgenössischen, aber auch historiographischen Diskurs treten.

Im 17. und 18. Jahrhundert muss der Kastratengesang als hegemonial angesehen werden; gerade die hohe Kastratenstimme kann als männlich konnotierter ‚Heldengesang‘ gelten (Herr 2013). Dagegen steht beispielsweise jedoch der weiblich konnotierte Gesang des Kastraten Giacinto Fontana detto Farfallino, aber auch der u.a. durch Johann Joachim Quantz klar männlich konnotierte Gesang einer Vittoria Tesi. Gerade in dieser Zeit scheint es vor dem Hintergrund der Forschungen (Knaus 2011, Charton 2012) zweifelhaft, ob spezifische Konstrukte eines ‚weiblichen‘ Gesangs existieren. Indes hebt die primäre Gesangsschule der Zeit, Pier Francesco Tosis Opinioni de‘Cantori antichi e moderni von 1723, ausgerechnet zwei Sängerinnen paradigmatisch hervor: die ‚Rival Queens‘ Faustina Hasse-Bordoni und Francesca Cuzzoni (vgl. Aspden 2013). Es stellt sich also die Frage nach männlich und weiblich konnotiertem Gesang – auch unabhängig von den dahinterstehenden männlichen und weiblichen Rollen.

Der Heldengesang des 19. Jahrhunderts ist dagegen paradigmatisch zwar mit dem Stimmfach Tenor verbunden (Herr/Jacobshagen/Seedorf 2017). Gleichzeitig ist dies aber auch das Jahrhundert der großen Diven und Primadonnen bzw. Sängerinnen-Stars wie Henriette Sontag, Wilhelmine Schröder-Devrient, Jenny Lind bis zu Maria Malibran (Grotjahn 2011), somit ist die männliche Hegemonie in der Gesangskultur alles andere als absolut. Überdies finden sich speziell im gesangspädagogischen Bereich prägende Persönlichkeiten, wie beispielsweise Matilda Marchesi (Neill 2016) oder Pauline Viardot-Garcia (Borchard 2016), die als Gesangspädagoginnen – auch schulbildend – weit über ihr eigenes Lebenswerk hinausragen, sich aber auch in spezifischen Traditionen verorten. Nicht zuletzt stellt sich hier die Frage nach der Relevanz bzw. den Spezifika nationaler (oder auch regionaler/lokaler) Schulen und Traditionen. Auch ist das Augenmerk insgesamt auf die Gesangs-Ausbildung an den im 19. Jahrhundert gegründeten Konservatorien zu richten, an denen die Zahl weiblicher Gesangs-Studierender die der männlichen Kommilitonen nicht selten deutlich überwog (Hoffmann 2021).

Die Ausdifferenzierung der Stimmtypen und Stimmfächer ist ebenfalls ein relevantes Phänomen des 19. Jahrhunderts: Inwieweit stehen hinter den Begriffen Soprano drammatico, Soprano leggiero/sfogato, Soprano dramatique, Soprano aigu, Soprano Falcon, Dramatischer Sopran, Koloratursopran, Soubrette etc. auch nach Schulen differenzierte spezifische stimmliche Qualitäten?

Vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre ist der Hintergrund der historischen „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ im Blick auf ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Stimmen (vgl. Grotjahn 2005) weiterhin mehr als präsent und wird durch die Beharrlichkeit des Repertoires auf den Opernbühnen allenthalben zelebriert (paradigmatisch kann hierfür etwa die „Jahrhundert-Diva“ Maria Callas stehen; Jacobshagen 2023). Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kann dagegen schließlich eine Verbreiterung der Gesangsästhetik beobachtet werden: Vor dem Hintergrund der 2. Frauenbewegung und des Aufkommens von Frauen- und Gender-Studien wird auch die Stimme neu bewertet. Dies geschieht einerseits durch den Einbruch der Countertenöre in den Stimmdiskurs, die als ‚Erben der Kastraten‘ die bisherige gesangsästhetische Ordnung durcheinanderbringen (Herr 2013, Herr/Jacobshagen/Wessel 2012). Weitere Fragen stellen sich überdies im Zusammenhang mit stimmlichen Weiblichkeits- und Männlichkeitsinszenierung in der Popkultur, die sich zwischen konservativem Klischee und avantgardistischem Experiment bewegen. Aktuell finden sich als Einzelphänomene zudem Sänger*innen, deren Stimmfach sich auch durch Transition und die entsprechenden Hormontherapien verändert (Patch i.V., Eidsheim 2015) sowie explizite transgender Sänger*innen, wie beispielsweise Anohni (vgl. Eidsheim/Meizel 2019). Inwieweit diese Entwicklungen ein völliges Aufbrechen der herkömmlichen Gesangsästhetik bedeuten oder als Differenzierung bzw. Verbreiterung bisheriger Dichotomien zu sehen sind, ist zu diskutieren.

Die Tagung richtet den Blick historisch auf die unterschiedlichen Spezifika einerseits der Frühen Neuzeit und andererseits des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts in Verbindung mit dessen Auswirkungen im 20. Jahrhundert sowie auf die Entwicklung der ca. letzten 50 Jahre. Gleichzeitig sollen grundsätzlich systematische Aspekte der Gesangsästhetik betrachtet wie auch Differenzen und Analogien in regionaler vs. globaler Ausstrahlung herausgearbeitet werden. Exemplarische Fallstudien sind ebenso willkommen wie methodisch-systematisch ausgerichtete Beiträge.

Keynotes:

Prof. Dr. Rebecca Grotjahn, Detmold / Paderborn
Prof. Dr. Sigrid Nieberle, Dortmund

Organisation und Leitung:

Prof. Dr. Fabian Kolb, HfMDK Frankfurt
Prof. Dr. Corinna Herr, Universität Koblenz

Bitte senden Sie ein kurzes Abstract (bis zu 500 Wörter) mit einer kurzen Biographie bis zum 30.09.2024 an:

Shirley Wick, swick@uni-koblenz.de

Es wird ein Antrag auf Förderung gestellt. Vorbehaltlich der Bewilligung werden Fahrt- und Übernachtungskosten gezahlt.