Techno Studies – Geschichtsschreibung und Ästhetik elektronischer Tanzmusik

Berlin, 12.-13.12.2014

Von Miriam Akkermann, Berlin – 04.03.2015 | Seit der ersten Loveparade vor 25 Jahren untrennbar auch mit Berlin verbunden, ist das Interesse an Techno und den zugehörigen Entwicklungen ungebrochen. Insbesondere im deutschsprachigen Raum zeichnet sich dabei ein wachsendes Bedürfnis nach einer meist aus nationaler Perspektive erzählten Geschichtsschreibung von Techno ab. Eine Reflexion der dabei verwendeten Methoden (etwa der nahezu allgegenwärtige Einsatz von Zeitzeugen-Statements) fand bislang jedoch kaum statt, ebensowenig wie eine Auseinandersetzung mit konkreten musikalischen Entwicklungen. Zugleich erschienen vor allem im angloamerikanischen Raum in jüngerer Zeit diverse an musikanalytischen wie ethnologischen Zugängen interessierte Forschungsarbeiten zu elektronischer Tanzmusik.

Auf der von Kim Feser und Dr. Matthias Pasdzierny organisierten internationalen Tagung techno studies. Ästhetik und Geschichtsschreibung elektronischer Tanzmusik wurden aktuelle musikwissenschaftliche Forschungsarbeiten, aber auch Arbeiten aus anderen Forschungsbereichen mit dem Ziel präsentiert, die oben skizzierten Richtungen zusammen zu bringen und damit eine wissenschaftliche Grundlagendiskussion zu Techno anzustoßen. Die u.a. von der DFG finanzierte Tagung wurde von der Fakultät Musik der Universität der Künste Berlin veranstaltet, deren Vielfalt nicht nur eine passende Plattform für das interdisziplinäre Thema bietet, die Institution konnte damit auchinnerhalb dieser gerade für Berlin so wichtigen Musikkultur als zentraler Ort für Forschung und Diskussionen etabliert werden. Zudem bildete die Tagung den Abschluss einer in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dörte Schmidt veranstalteten gleichnamigen Ringvorlesung, die ab November 2014 an der Universität der Künste Berlin stattfand. Die zwei Konferenztage beinhalteten sowohl wissenschaftliche als auch künstlerisch-wissenschaftliche Formate und gliederten sich in vier thematisch gefasste theoretische Blöcke und zwei künstlerisch-wissenschaftliche Abendveranstaltungen.

Nach einer kurzen Eröffnung durch die Organisatoren diskutierten der Ethnologe Jochen Bonz und der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen in ihren Beiträgen Entwicklungen im Pop als Vorläufer des Techno sowie die Frage, ob Techno überhaupt unter „Pop“ subsumiert werden kann. Esfolgte ein langer Block zu Produktion und Performance, den Barbara Volkwein eröffnete und Möglichkeiten einer Werkanalyse elektronischer Clubmusik vorstellte. Martha Brech erläuterte die technologische und ästhetische Basis für „konzertanten“ Techno. Nach der Mittagspause diskutierte Kim Feser unter dem Motto „Immer auf die eins“?! Zu musikalischen Möglichkeiten von Hardware-Sequenzern den Zusammenhang der Bedienbarkeit von Sequenzern mit Stilmerkmalen im Techno. Im Anschluss erweiterte Mark J. Butler die Betrachtungen zum Umgang mit Techno-spezifischen Geräten hinsichtlich der Vorstellung von „Liveness“ in Laptop Performances. Der abschließende Vortrag von Gabriele Klein zu elektronischer Tanzmusik als „Körperereignis“ musste leider kurzfristig abgesagt werden, soll aber in die geplante Tagungs-Publikation aufgenommen werden.

Der erste Abend, eine Techno Review Lounge, wurde vom überregional tätigen Autor und Discjockey Sascha Kösch (DJ Bleed) gestaltet, der als Verfasser zahlreicher Platten-Reviews und insbesondere als Mitgründer der in Berlin ansässigen Zeitschrift de:bug. Elektronische Lebensaspekte die Techno-Szene stark mitgestaltet hat. Kösch legte Techno-Stücke auf, während zugleich seine dazu live verfassten Kommentare per Beamer projiziert wurden. In diesem Hybridformat wurde somit die Produktion von Wissen über Techno, das Sprechen und Schreiben darüber sowie die Musik selbst den Tagungsteilnehmern visuell, akustisch und ästhetisch präsentiert.

Der zweite Tag begann mit einem Panel zum Thema Archiv, Zeitzeuge, Feldforschung – Quellen und Methoden. Nach Daniel Schneiders Ausführungen über allgemeine Herausforderungen, die sich bei der Archivierung der Quellen im Genre Techno stellen, widmete sich Judith Keilbach der dominanten Rolle des Zeitzeugen in der historischen Aufarbeitung von Popmusik. Damit bereitete sie eine fundierte Basis für Luis-Manuel Garcia, der im Anschluss daran Einblicke in seine Arbeit, insbesondere die Feldforschung in der Techno-Szene gab. Im letzten Vortrag des Panels lieferte Rosa Reitsamer unter dem Titel Zur Erforschung der Praktiken im Feld der elektronischen Musik einen Überblick über die Nutzbarkeit quantitativer Methoden zur Erforschung von Techno. Der Nachmittag war dem Thema Techno-Geschichtsschreibung in Deutschland gewidmet. Matthias Pasdzierny eröffnete das Panel mit seinem Vortrag Das Nachkriegstrauma abgetanzt – Techno und die deutsche „Vergangenheitsbewältigung“, in dem er gegenwärtige historiographische Narrative zu Techno in Deutschland  historischen Quellen aus den frühen 1990er Jahren gegenüberstellte. Alexander Weheliye machte in seinem Vortrag Soundtrack ohne Soul? Germanozentrismus und Techno-Histographie auf Leerstellen im gegenwärtigen deutschen Techno-Diskurs aufmerksam, etwa mit Blick auf Genres wie Eurodance oder die Rolle afroamerikanischer Musiker/innen in der Entwicklung von Techno. Abschließend untersuchte Sean Nye die Bedeutung von Minimal Design bzw. Minimal Techno für die Berliner Republik sowie die besondere Verbindung zwischen Kalifornien und Berlin.

Die Abschlussveranstaltung der Tagung bildete am Abend eine weitere Kunst-Wissenschaft-Hybrid-Veranstaltung in Form einer Gesprächsrunde mit dem Titel Fraktus – ein deutscher Techno-Mythos. Bezugnehmend auf den Mockumentary-Film Fraktus sprachen der Musiker und Performance-Künstler Jacques Palminger und der Produzent Carsten Meyer mit dem auf Geschichtsschreibung von populärer Musik in Deutschland spezialisierten Autor und Radio-Moderator Klaus Walter über das Making-Of von Fraktus, diskutierten über die Verwendung von popkulturellen bzw. Techno-spezifischen Zeichen sowie das Zustandekommen von Style und Musik einer „erfundenen“ Proto-Techno-Band der frühen 1980er Jahre. Die Gesprächsrunde wurde von Filmausschnitten sowie Produktionsmaterial unterstützt.

Die Tagung fand in der Alten Bibliothek der Universität der Künste statt. Um allen Besuchern Platz zu bieten, wurden die Vorträge live per Beamer in einen Nebenraum übertragen, was zu zeitweise zwei voll belegten Tagungsräumen führte. Besonders sei an dieser Stelle die hohe Anzahl Studierender aller Fachrichtungen aus der Universität der Künste, aber auch aus anderen Berliner Universitäten genannt, die sich auch an den Diskussionen innerhalb der Panels aktiv und kritisch beteiligten. Dies kann zum einen auf die anschauliche Präsentationsform auch der wissenschaftlichen Inhalte, aber sicher auch auf die Aktualität und das Interesse am vielfältig beleuchteten Thema zurück geführt werden. Dies spiegelte sich während und nach der Tagung auch in einer breiten medialen Resonanz, u.a. in Beiträgen in Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk sowie Artikeln in taz, Die Welt und Zeit Online mit einer nachfolgenden regen Diskussion im Onlineforum der Zeit. Eine Publikation der Beiträge ist für Sommer 2015 im Verlag b_books vorgesehen.