3. Italienkurs Musikwissenschaft: Musik und Medien in Mailand

Mailand, 16.-22.03.2014

Von Michaela Kaufmann, Frankfurt – 17.04.2014 | Der „mito“ um das Teatro alla Scala, die Anekdoten und Gerüchte rund um die darin agierenden Protagonisten beherrschen gemeinhin den Eindruck von der Musikstadt Mailand. Genauso wie der Besucher der Stadt durch die Nachbarschaft der zentralen Sehenswürdigkeiten – der Dom und die Scala sind praktischerweise durch die 1867 eröffnete Galleria Vittorio Emanuele II in drei Minuten zu erreichen – sich scheinbar schnell einen Überblick verschaffen kann, wird der Blick des Musikinteressierten allzu leicht eingeengt. Paolo Contes „Molto lontano“ schärft den Blick auf Mailands verborgene Seiten und kann als unterschwelliges Motto für die Beschäftigung mit der Musikgeschichte der Stadt im Rahmen des einwöchigen Seminars bezeichnet werden.

Der diesjährige, von der Gesellschaft für Musikforschung unterstützte Italienkurs Musikwissenschaft – nach Rom und Venedig der dritte seiner Art – präsentierte denn auch ein sehr breit gefächertes Spektrum an Themen. Er wurde geleitet von Jutta Toelle (Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt/M.) unter Mitarbeit von Christine Siegert (Universität der Künste, Berlin). Die zwölf ausgewählten Teilnehmer, Studierende verschiedener deutscher Hochschulen und Universitäten, beschäftigten sich mit Themen von der Spätantike bis ins mittlere 20. Jahrhundert; der Kurs fand in den bequemen und überaus zentralen Räumlichkeiten des Goethe-Instituts Mailand statt, dem für seine Gastfreundschaft und die technische Unterstützung besonders gedankt sei.

Mit besonderem Augenmerk beleuchteten die Vorträge die mediale Vermittlung von Musik – seien es die Tradierung des Canto Ambrosiano in Handschriften mit eigenem Zuschnitt hinsichtlich der Notation und des Gebrauchs oder die Vermarktungsstrategien des Hauses Ricordi bei den dort unter Vertrag genommenen Komponisten.

Die ersten beiden Kurstage nahmen das Mittelalter und die Frühe Neuzeit in den Blick. Der Beitrag zur Sonderstellung des Canto Ambrosiano und zu den Strategien des Mailänder Domkapitels zur Bewahrung von ambrosianischem Ritus und Liturgie wurde ergänzt durch den Ambrosius-Spezialisten Angelo Rusconi (Res musica, Mailand), der zum einen in einem vertiefenden Referat und zum anderen während des gemeinsamen Besuches in der Biblioteca del Capitolo Metropolitano Einblicke in diese einzigartige und lebendige Praxis gewährte. Der Diskussion über die repräsentativen und sozialpolitischen Funktionen der Musik in der italienischen Festkultur unter den Sforza folgten Vorträge zu Aspekten der Mailänder Musikgeschichte um 1600, so zur Mailänder Lautenschule um Francesco da Milano, zum Streichinstrumentenbau und G. P. Cimas Rolle bei der Verwendung der Violine in der Instrumentalmusik sowie zu den musizierenden Nonnen in Santa Radegonda und San Maurizio, incl. eines Besuches in dieser Kirche San Maurizio, dem einzigen in der Stadt erhaltenen ehemaligen Benediktinerinnenkloster. Marina Toffetti (Università di Padova) führte als Gastreferentin mit einem Beitrag zu Giulio Cesare Ardemanios Werk – einem Mailänder Komponisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts – in die reiche Überlieferung von devotionalen Kompositionen ein und stellte ihre Edition von Ardemanios Azione teatrale in onore di San Carlo Borromeo (1628, Edition: Edizioni ETS 2012) vor. Die Besichtigung von im Seminar angesprochenen Schauplätzen und Institutionen wie des Domarchivs und der zahlreichen Kirchen (Dom, Sant’Ambrogio u.a.) boten zudem die Möglichkeit, die Diskussionen vor Ort weiterzuführen.

Am dritten Kursvormittag wurde ein Schlaglicht auf die Instrumentalmusik und Oper im 18. Jahrhundert geworfen: Die Diversität wurde im Beitrag zum Regio Ducal Teatro als Wirkungsstätte für G. B. Sammartini, W. A. Mozart und J. Chr. Bach exemplarisch ausgeführt.

Dem 19. und 20. Jahrhundert widmeten sich die letzten zwei Tage des Kurses. Ins 19. Jahrhundert führte der Beitrag zur Entwicklung einer professionellen musikalischen Ausbildung ein: Die Gründung und der Aufbau des Conservatorio di Milano ab 1808 veränderte in Italien die Ausbildung von Musikern, Sängern und Komponisten grundlegend und wirkte bspw. bei der Ausbildung von Sängern geradezu schulbildend. Bianca de Marios (Università di Siena) Gastvortrag zu den Bemühungen der Società del Quartetto um die in Italien weniger stark vertretene Instrumentalmusik vervollständigte den Überblick über die zentralen Diskussionen im 19. Jahrhundert. Die Vorträge zur Opernindustrie suchten die engen Verknüpfungen zwischen dem Teatro alla Scala, den dort tätigen Komponisten und den drei rivalisierenden Musikverlagen (Ricordi, Lucca und Sonzogno) freizulegen; ergänzt wurde dieser inhaltliche Block um einen Besuch im Museo Teatrale della Scala sowie im Ricordi-Archiv in der Biblioteca Braidense, wo die Kursteilnehmer u.a. Einblick in die frisch restaurierte autographe Partitur von La Bohème erhielten. Siel Agugliaro (Università di Siena) als Gastreferent bot mit seinem Vortrag zum Publikum der Scala nach 1945 einen Ansatz, die Herausbildung des „mito della Scala“ nachzuvollziehen. Mit Nicola Scaldaferris (Università di Milano) Vortrag zum Studio di Fonologia Musicale um Luciano Berio und Bruno Maderna wurde ein weiterer Blick ins 20. Jahrhundert geworfen; eine Rekonstruktion des Studios wurde von den Kursteilnehmern im Musikinstrumentenmuseum im Castello Sforzesco bewundert.

Flankiert wurde das Seminar von einem Besuch beim deutschen Generalkonsul vor Ort, Peter Dettmar, dessen großzügige Einladung zu einem Klavierabend der Kurs dankend annahm; das Konzert in den Räumen der exklusiven Società del Giardino im Palazzo Spinola bot den seltenen Zutritt zum beeindruckenden Renaissance-Bau. Außerhalb des eigentlichen Kursprogramms fand sich ausreichend Zeit, um nicht berücksichtigte Museen, Kirchen oder Stadtteile zu erkunden, ausgestattet mit kompetenten Tipps der Kursleiterin. Dem Mailänder Italienkurs gelang damit eine ausgewogene Mischung zwischen inhaltlicher Arbeit in den Seminarteilen, ausführlichen Besichtigungen und dem (für viele der Teilnehmer) ersten Kennenlernen einer Stadt, deren Fassaden sich nicht unmittelbar durchschauen lassen.