4. Italienkurs Musikwissenschaft:  Musik in Florenz unter den Medici

Florenz, 23.-28.02.2015

Von Friedrich Mück, Stuttgart/Trossingen – 15.04.2015 | „Florenz aus drei verschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen“ – mit diesen Worten rundete Kursleiter Univ.-Prof. Dr. Klaus Pietschmann seine Begrüßungsrede an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des unter dem Dach der Gesellschaft für Musikforschung (GfM) stattfindenden Italienkurses ab und bezog sich hierbei im Wesentlichen auf die kunst- und kulturhistorische, vor allem aber auf musikgeschichtliche Seite der Stadt Florenz. Die Bedeutung der Musikrezeption in Florenz als Bestandteil des Kursinhalts zeigte sich einerseits in der Auseinandersetzung mit florentinischem Musikrepertoire des Zeitraums Quattrocento bis Settecento anhand von Handschriften und Drucken, andererseits im Erleben des aktuellen Musikprogramms im Teatro della Pergola. An jedweder Stelle des Kurses wurde der Bezug zu den Medici als die über mehrere Jahrhunderte einflussreiche kunst- und kulturfördernde Herrscherfamilie, ohne deren Kulturpatronage eine in diesem Maße hoch elaborierte Musikkultur nicht möglich gewesen wäre, hergestellt. Zentral war die Frage nach der Instrumentalisierung von Musik im Streben der Medici nach politischer Macht und internationalem Renommee.

Alle 15 KursteilnehmerInnen, die Florenz als „Wiege der Renaissance“ (neu) entdeckten, wurden am ersten Tag bei strahlendem Sonnenschein begrüßt und bei einem Stadtrundgang mit ausgewählten Florentiner Bauwerken vertraut gemacht (Santa Maria Novella, Cattedrale di Santa Maria del Fiore, Santissima Annunziata, Palazzo Medici).

Die in der Biblioteca Nazionale zur Ansicht freigegebene Handschrift Banco Rari 229 (1492/1493), der umfangreichste Chansonnier des Quattrocento, stellte bereits einen vorläufigen Höhepunkt des Kurses dar. Die prachtvolle Handschrift, die im Wesentlichen Chansons von Agricola, Isaac, Busnois und Martini enthält, wurde von allen Beteiligten mit größter Aufmerksamkeit betrachtet. Anregung zur Diskussion bot die Frage nach der praktischen Verwendbarkeit der Handschrift: War sie eine Gebrauchshandschrift und wurde tatsächlich aus ihr musiziert? Der zumeist untextierte Notenverlauf war aus Sicht der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer zu klein, um als musikalische Vorlage dienen zu können, sei es für Sänger oder für Instrumentalisten. Ungeklärt blieb auch die Frage, wer B.R.229 in Auftrag gegeben hatte – der vermeintlich erste Besitzer der Handschrift, Alessandro Braccesi, dessen Portrait darin abgebildet ist, Matthias Corvinus, König von Ungarn, oder vielleicht doch die Medici selbst?

Im Archivio dell’Opera del Duomo waren erneut Handschriften und Drucke florentinischer Provenienz einzusehen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Handschrift I-Fd 21 gerichtet, die größtenteils Musik für die Karwoche beinhaltet (Prozessionshymnen, Motetten, Lauden). Die Werke in den überlieferten Handschriften stammen nicht aus genuin florentinischer Feder, was beispielsweise anhand der Lamentationen von Johannes de Quadris zu erkennen ist.

Die Frage, inwieweit ein Kulturaustausch von den Medici ausging, wurde noch am selben Kurstag aufgegriffen. Hierzu boten die Räumlichkeiten der außerhalb von Florenz in der toskanischen Hügellandschaft gelegene „Villa I Tatti“ besonderen Charme. „Villa I Tatti, The Harvard Center for Italian Renaissance Studies“, gewährt promovierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit, ihre Forschungsarbeit dort zu vertiefen. Hier erfuhren die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer zunächst im Rahmen eines von Frau Dr. Elisa Camporeale geleiteten Rundgangs sowohl Details über den Garten, als auch über die Innenausstattung der Räumlichkeiten in der Villa. Die terrassenförmig angelegte, von Cecil Pinsent als Nachbild eines Renaissancegartens entworfene Anlage bot an dieser Stelle eine erste günstige Gelegenheit für gelungene Gruppenfotos. Wissenswertes über die in der Villa befindlichen Bibliotheken, Archive oder Kunstsammlungen wurde genauso gespannt aufgenommen wie die danach im Konferenzsaal gehaltenen Referate: Die für den Kulturaustausch wesentliche Achse Rom-Florenz festigte sich durch die Medici-Päpste und wurde im Fallbeispiel von Leo X. (Giovanni de’ Medici) vollzogen. Letzterer engagierte international renommierte Komponisten wie Pisano, Carpentras oder Festa an die päpstliche Kapelle, die wiederum Kontakte zu florentinischen Akademikerkreisen pflegten.

Diese humanistischen Errungenschaften aufgreifend beschäftigte sich der Kurs nun mit an Florenz gebundenen musikdramatischen Idealen. Örtlichkeit hierzu bot die Università degli Studi. Während die Doktorandin Maddalena Bonecchi in ihrem Vortrag Luoghi e pratiche della monodia spirituale nella Firenze di primo Seicento beschrieb, beschäftigten sich die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer zunächst mit deren Vorläufern. Wie in den Referaten erläutert, spielen hier die Hochzeitsfeierlichkeiten von Ferdinando I. de’ Medici mit Christine de Lorraine eine wichtige Rolle. Spätestens mit der Einsichtnahme von Faksimiles und Originaldrucken der Euridice von Peri und Caccinis Le nuove Musiche, nicht nur in der Biblioteca del Conservatorio, sondern auch in der Biblioteca Nazionale, konnte der Themenwechsel von den Vorläufern zu den Anfängen der „Oper“ vollzogen werden. Betrachtet man die Kompositionen, die Marco da Gagliano in Florenz als maestro di capella der Medici schuf, so wird deutlich, dass er hinsichtlich der Implementierung musikdramatischer Formen keine Nebenrolle spielte.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit stellte für viele Beteiligte der Besuch der Biblioteca Medicea Laurenziana den Höhepunkt dieser Florenzexkursion dar. Prominente Codices waren dort für die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer zur Einsicht bereitgestellt: Codex F (Pluteus 29.1; hier als Faksimile) wird als die umfassendste Quelle von Organa, Clausulae und Conductus aus der „Notre-Dame-Schule“ beschrieben und ist das älteste Exemplar im Gesamtbestand des Magnus Liber Organi. Wie dieses Pergamentmanuskript französischer Provenienz in die Hände der Medici gelangte, ist ungewiss und kann ausgehend vom aktuellen Forschungsstand nicht hinreichend beantwortet werden. Eine plausible Erklärung hierfür wäre, dass die Handschrift ein diplomatisches Geschenk von Louis IX, König von Frankreich, an die Medici war, um mögliche politische Verbindungen zu untermauern. Des Weiteren konnten die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer Ms. Mediceo Palatino 87, den Codex Squarcialupi (Faks.) einsehen. Die mit Komponistenportraits und weiteren aufwendigen Illustrationen versehene Sammlung enthält ausschließlich weltliche Werke, wie beispielsweise Caccien oder Ballate aus dem Trecento. Ein besonderer Moment war jener, als Professor Pietschmann die Handschrift Acquisti e doni 666, den sog. Medici Codex, aufschlug und den Kursteilnehmern dessen Inhalt erläuterte. Die beträchtliche Bedeutung dieser Handschrift ist nicht nur anhand ihrer politischen Dimension zu erkennen, sondern spiegelt sich genauso im künstlerisch-kompositorischen Wert der darin enthalten Motetten, die von Komponisten wie beispielsweise Willaert, Josquin, Brumel oder Festa stammen.

Nach dem Besuch der Galleria degli Uffizi wurde am nächsten Morgen der Palazzo Pitti und das darin befindliche Museum besichtigt. Das zum Schwelgen einladende Ambiente rund um den Renaissance-Palast war dazu prädestiniert, letzte Gruppenfotos zu schießen und sich gemächlich mit dem Gedanken des Abschieds aus Florenz vertraut zu machen. Das wiederum gemeinschaftlich erlebte Konzert am frühen Abend des letzten Kurstags bot hinsichtlich der Zusammenstellung des musikalischen Gesamtkonzepts eine Kuriosität: Bach-Motetten gesungen vom schwedischen Rundfunkchor im Florentiner Teatro della Pergola – für alle Beteiligten ein einmaliges Erlebnis!

Der vierte Italienkurs der GfM, verantwortet von Frau Prof. Dr. Sabine Meine sowie Frau Prof. Dr. Christine Siegert, die auch teilnahm, und geleitet von Prof. Dr. Klaus Pietschmann, ermöglichte den TeilnehmerInnen einen einmaligen und exquisiten Zugang zu bedeutenden, in Florenz befindlichen Handschriften und gewährte den Studierenden einen vielfältige Einblicke in die florentinische Bibliotheks- und Forschungslandschaft. So ist der vierte Italienkurs zu einer lehrreichen, ereignisreichen und inspirierenden Veranstaltung geworden, an dessen Ende der Anfang eines wertvollen musikwissenschaftlichen Networkings unter den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern steht.