Analiza dzieła muzycznego. Historia – theoria – praxis / Musical Analysis. Historia – Theoria – Praxis

Wrocław, 12.-13.12.2017

Von Gesine Schröder, Leipzig / Wien – 20.02.2018 | Der fünften Ausgabe der alle zwei Jahre an der Musikakademie „Karol Lipiński“ in Wrocław stattfindenden Konferenzserie zur musikalischen Analyse, organisiert von Anna Granat-Janki, der Inhaberin des dortigen Lehrstuhls für Musiktheorie und schlesische Musikkultur, waren ein Konzert und eine Ausstellung beigegeben. Anlässlich von Karol Szymanowskis 80. Todestag widmeten diese sich dessen Werk und Leben. Studierende und Lehrende der Musikakademie spielten und sangen in beachtlicher Qualität zwischen 1900 und 1929 entstandene Werke für Klavier solo, für Geige und Klavier, Klavierlieder und einen Chorzyklus, die nebenbei auch zu semiotischen Anstrengungen einluden. Damit ist ein zentrales Interesse der neueren polnischen Musiktheorie angedeutet: Intertextuelle und transmediale Studien liegen seit Längerem in ihrem Hauptinteresse. Zahlreiche Forscherinnen und Forscher aus Polen nahmen an der Konferenz teil, hinzu kamen Vortragende aus Belgien, Brasilien, Deutschland, Litauen, Österreich, der Slowakei, Ungarn und den Vereinigten Staaten. Was bewirkt die Übertragung von Musik in ein anderes künstlerisches Medium und umgekehrt? Wie funktionieren intersemiotische Übersetzungen eines visuellen Zeichensystems in ein akustisches? Interdiskurse und die Theorie der Topics wurden bemüht. Um musikalische Bedeutung zu konstruieren, griffen die Vortragenden vorzugsweise zu semiotischen Analysewerkzeugen.

Einem Exempel für Transmedialisierung widmete sich die Hauptrednerin der Konferenz Siglind Bruhn (Ann Arbor / Waldkirch). Sie sprach über die musikalische Ekphrasis eines Gemäldes von Paul Gauguin durch den polnisch-französischen Komponisten Alexandre Tansman. Von der Uraufführung des wundersam orchestrierten siebenminütigen Orchesterwerks von 1960 hat sich in der Sammlung von Tansmans Tochter ein Mitschnitt erhalten, aus welchem Auszüge zu hören waren. Die reduzierte rot-weiß-dunkelgrüne Farbigkeit von Gauguins Gemälde transformierte der Komponist in orchestrale Mischfarben. Gauguin macht auf der explizit inhaltlichen Ebene das Widerspiel von innen und außen zum Thema. Von den Nonnen seitlich links und im Vordergrund des Bildes sieht man die Rücken und die Hauben über ihren Köpfen. Sie blicken nach innen, und was sie dort sehen, kehrt das Gemälde in einer Arena nach außen. Musikalisch ließ das Gesehene sich aber ins Innere zurückleiten. Der Abstand zwischen dem Betrachter vor und im Bild selber lässt sich musikalisch auslöschen – das mag Tansman herausgefordert haben.

Mark Reybrouck (Leuven) und Susanne Kogler (Graz) stellten die Bedeutung des Hörens für die musikalische Analyse heraus. Während Reybrouck ein semiotisches Modell von Realzeitanalysen präsentierte, welches die reiche sinnliche Erfahrung mit den Prinzipien der kognitiven Ökonomie zusammenbringen soll, hob Kogler den Bedarf hervor, insbesondere in Musik der Gegenwart das Hören, das hier für einen nicht rationalen Zugang steht, zum Mittel der Analyse zu machen, statt über das hier zuverlässigere und ökonomischere Partiturlesen Skalen, Reihen und andere strukturierte Materialien zu extrahieren. Hörend sind diese ja kaum gleich schnell wie lesend zu erfassen, selbst von denen nicht, die in der Disziplin, dem Hochschulfach Höranalyse, trainiert sind. Die sensuelle ästhetische Erfahrung, die mit einer Höranalyse fassbar werde, sei mit der – lesbaren – rationalen Strukturierung aber ins Verhältnis zu setzen, wie Kogler mit dem Hinweis unter anderem auf Werke der in Graz lebenden polnischen Komponistin Joanna Wozny zeigte. Mehr methodologisch war der Vortrag von Małgorzata Pawłowska (Krakau). Sie diskutierte unterschiedliche narratologische Ansätze und stellte es als Gefahr dar, dass bei der Betrachtung der Geschichte musikalischer Formen nunmehr ein diffuses Verständnis von Narratologie um sich greife. Jedwede Untersuchung musikalischer Entwicklungen im Zeitverlauf und die Suche nach deren Bedeutung werde allzu flink als narratologisch ausgegeben. Konkreten musikalischen Gegenständen wandte sich die Dirigentin und Musiktheoretikerin Iwona Sowińska-Fruhtrunk (Krakau) zu. Mithilfe von Deleuzes Konzepten der Differenz und Wiederholung untersuchte sie frei atonale und zwölftönige Werke Schönbergs (hier die Erwartung und die Orchestervariationen op. 31). Schönbergs eigene Äußerungen zur Prozesshaftigkeit und seine Idiosynkrasie gegenüber Wiederholungen brachte Sowińska-Fruhtrunk mit der zu Deleuzes Begriff der Sensation passenden Dichte und Gedrängtheit dieser Stücke zusammen.

Für auswärtige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestand die Gelegenheit, etwas über ein außerhalb Polens kaum bekanntes Repertoire zu erfahren. Den 175. Geburtstag der polnischen Dichterin Maria Konopnicka nahm Agnieszka Zwierzycka (Breslau) zum Anlass, Vertonungen aus dem Fin de Siècle vergleichend zu analysieren. Tomasz Kienik (Breslau), der sich bei der Breslauer Konferenzserie regelmäßig dem Werk Bolesław Szabelskis widmet, eines Komponisten, der Jahrzehnte lang in Kattowitz wirkte, behandelte diesmal Szabelskis 1943 entstandene Orgelsonate, deren Harmonie und Textur er mit beeindruckender Sensibilität für handwerkliche Details analysierte. Wie stets bei Breslauer Konferenzen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer davon profitieren, dass die Lehrenden des Instituts für Komposition, Dirigieren, Musiktheorie und Musiktherapie, welches die Konferenz ausgerichtete, sich zahlreich und mit einem internen Wissen um kompositorische Verfahren beteiligten. Seit je spielt die Musik lebender Komponisten und Komponistinnen für die polnische Musiktheorie eine wichtige Rolle. So informierte Katarzyna Bartos (Breslau) über das Konzept von Ökomusik, welches Grażyna Pstrokońska-Nawratil verfolgt, eine Komponistin hauptsächlich elektroakustischer Musik, die in Wrocław geboren wurde, unter anderem bei Messiaen und Boulez studierte und lange an der Musikakademie in Poznań lehrte. Es geht der Komponistin dabei um eine von der Natur – Vögeln, Wasser und dem Kosmos – inspirierte menschenfreundliche Musik, die es schon immer gegeben habe und die Bartos an mehreren Stücken Pstrokońskas exemplifizierte. Eine Sinfonietta für Streichorchester von Paweł Łukaszewski, einem gebürtigen Schlesier, der heute an der Warschauer Musikakademie lehrt, behandelte ein Vortrag von Iwona Świdnicka (Warschau). Anna Granat-Janki (Wrocław) sprach darüber, wie die Breslauer Komponistin Agata Zubel mit ihren musikalischen Erfindungen die Grenzen der Gattungen erweitert, verschiebt oder überschreitet. Die Gefährdung eines Gelingens der Kommunikation zwischen dem Werk und dem Publikum sieht Granat-Janki dadurch gebannt, dass Zubel in ihre Anti-Genres Wohlbekanntes einmontiere. Dass aus der Musikgeschichte ihres Landes auch Persönlichkeiten nicht ausgeklammert werden, die seit Langem anderswo leben, zeigte der Vortrag von Ilona Dulisz (Olsztyn) über die stilistischen Eigenarten einer Luther-Kantate des 1934 in Ostpreußen geborenen, lange in Düsseldorf tätig gewesenen und 2017 mit einen Ehrendoktortitel der Universität Ermland-Masuren gewürdigten Oskar Gottlieb Blarr.

Zu Ligeti waren kenntnisreiche Vorträge zu hören. Ewa Schreiber (Posen) sprach über dessen Schriften. Sie hob die Bedeutung visueller und taktiler Metaphern für Ligetis Musikdenken hervor. Kindheitserinnerungen des Komponisten, untermischt mit Märchen und Träumen lasse Ligeti oft an die Stelle von Beschreibungen der eigenen Musik über Fachtermini treten. Lóránt Péteri (Budapest) zeigte, dass Ligetis Bezugnahme in dem Horntrio auf Beethovens Les Adieux-Klaviersonate op. 81 durch den intertextuellen Rekurs auf Mahlers 9. Symphonie gefiltert ist, so dass das Werk zusammen mit den Referenzen an osteuropäische Folklore zu einem nostalgischen Abschied von der zentraleuropäischen Vielvölkerkultur gerät.

Weitere Vorträge der Konferenz waren Bachs Klavierübungen und ihrer Vorgeschichte gewidmet (Tomasz Górny, Warschau), den im Archiv der ehemals lutherischen Kirche im heute slowakischen Leutschau verwahrten Manuskripten aus der Ära Dittersdorfs, Haydns und Beethovens, welche einen Blick auf das Repertoire und Aufführungspraktiken der Jahre um 1800 der untergegangenen deutsch-tschechischen Musikkultur jenes Ortes erlauben (Janka Petőczová, Bratislava). Die Musiktherapeutin Klaudia Kukiełczyńska-Krawczyk (Wrocław) berichtete von einer Selbststudie zum gefühlsmäßigen Hören von Beethovens sogenannter Mondscheinsonate und der Egmont-Ouvertüre. Das Fortleben des nach der Darstellung von Andrzej Tuchowski (Zielona Góra) von Chopin erfundenen Umschlags von einem lyrischen in einen ekstatischen Tonfall wies der Referent an den Kulminationspunkten der Klavierkonzerte Griegs, Tschaikowskis und Rachmaninows nach. Ricardo Nogueira de Castro Monteiro (Cariri, Brasilien) fragte sich, in welche Richtung die unterschiedliche Begleitung des Gesangs – einmal mit Klavier, einmal mit größerem Orchester – die Semantik von Rachmaninows Vokalise op. 34, Nr. 14, zu treiben vermag. Befremdlich war, dass der Referent nicht auf eine Soziologie der musikalischen Gattungen rekurrierte. Katarzyna Szymańska-Stułka (Warschau) näherte sich Anton Weberns „Klangraum“ mit dem zeitgenössischen Konzept der still gestellten Zeit (oder der Zeit jenseits der Zeit) an. Über musikalische Recyclings sprach die Berichterstatterin anhand von Transformationen der Musik von Josquin Desprez, Mozart und Massenet durch Georg Friedrich Haas und Johannes Schöllhorn. Statt um künstlerische Aneignung der Vorlagen aus der Vergangenheit durch die Gegenwart gehe es hier um Realisierungen von Ideen, für die zur Zeit ihrer Konzeption der glückliche Augenblick ausblieb. Dario Martinellis (Kaunas) Ausführungen über die Beziehung zwischen Musik und Technik gewannen durch die witzige Vortragsart. Martinelli stellte der Musik und der Technik als weiblichen Objekten der Beziehung durchweg männliche Akteure gegenüber.

Bewundernswert ist, dass die Mitglieder der Wrocławer Musikakademie gemeinsam sozusagen alle Jahre wieder im Wechsel mit einer Konferenz zur schlesischen Musikkultur eine solche Veranstaltung zur musikalischen Analyse auf die Beine stellen und wie viele Mitglieder aus unterschiedlichen Instituten der Akademie sich an den Veranstaltungen aktiv beteiligen. Als Mitglied einer deutschen Musikhochschule kann man nur staunen, was diese relativ kleine Musikakademie an musikologischer, musiktheoretischer und künstlerischer Forschung und organisatorisch zuwege bringt. Allein der Akquirierung der Gelder für die Unterbringung der auswärtigen Vortragenden und für die Übersetzung sämtlicher Materialien des Konferenzheftes ins Englische bzw. aus dem Englischen ins Polnische darf man Respekt zollen. Nicht zuletzt: die gemeinsamen Mittagessen und das Buffet vor dem Konzert, die logistische Unterstützung durch die Herren der Studiotechnik und die perfekte Organisation durch die Magister- und Doktoratskandidatinnen und -kandidaten des Lehrstuhls: davon kann man schön träumen. Offenbar werden die Kräfte der Akademiemitglieder nicht durch überbordende Lehr- und Verwaltungsaufgaben verschlissen. Lehre mit Forschung zu verbinden, scheint zu gelingen. Und man lässt sie sich etwas kosten.