Competitions in 19th-Century Music Culture / Wettbewerbe in der Musikkultur des 19. Jahrhunderts

Köln, 28.-29.06.2019

Von Christina Lena Monschau, Köln – 01.04.2020 | Musikbezogene Wettbewerbe sind nicht nur ein Phänomen unserer Zeit, sondern fanden bereits im 19. Jahrhundert weite Verbreitung. Diese in der Forschung bisher unterbelichtete Tatsache war der Ausgangspunkt einer internationalen und interdisziplinären Tagung an der Universität zu Köln. Organisiert von Carola Bebermeier, Clemens Kreutzfeldt, Christoph Müller-Oberhäuser und Jonas Traudes, bildete sie den Abschluss des DFG-Forschungsprojektes „Musikalische Preisausschreiben 1766-1870“, das seit 2016 unter der Leitung von Frank Hentschel und Andreas Domann am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität angesiedelt war. Ziel des Projekts war die Erstellung einer umfassenden Datenbank für das musikbezogene Wettbewerbswesen der Zeit zwischen 1820 und 1870. Außerdem markierte die Konferenz den Abschluss des themenverwandten Dissertationsprojektes von Müller-Oberhäuser zur Erforschung der Geschichte der Chorwettbewerbe vor dem Ersten Weltkrieg.

Nach der Begrüßung durch die Organisator*innen stand im ersten Panel „Conceptual Approaches“ die Frage im Mittelpunkt, welche Anregungen die Musikwissenschaft von den Forschungen anderer Fächer zu Konkurrenz allgemein und zu Wettbewerben im Besonderen erhalten kann. Der Historiker Ralph Jessen (Köln) fragte in seinem einleitenden Vortrag „Competition from the Perspective of Social and Cultural History: Questions and Prospects“ nach methodischen Grundlagen und sprach sich für eine auf den jeweiligen kulturellen Kontext sowie auf Praktiken, Diskurse und Institutionalisierungsformen fokussierende geschichtswissenschaftliche Erforschung von Konkurrenz und Wettbewerben aus. Als zweiter Vortrag folgte ein Einblick in die Kultur der Leistungsmessung am Ende des 19. Jahrhunderts. Aufbauend auf ihren Forschungen zum Leistungsbegriff skizzierte die Historikerin Nina Verheyen (Essen) unter dem Titel „What’s Wrong with Ambition? The Politics of Performance in Fin-de-Siècle Germany“ ein ab etwa 1880 auffallendes Interesse der kaiserzeitlichen Elitengesellschaft an der Messung menschlicher Leistungen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen. Allerdings gab es für die Leistungsorientierung seinerzeit nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik, denn die beständige Leistungsmessung konnte nicht nur anspornen, sondern auch zu Überlastung bis hin zu Zusammenbrüchen führen – und damit die Leistungsfähigkeit mindern. Der Soziologe Tobias Werron (Bielefeld) widmete sich zum Abschluss der ersten Panels in seinem Vortrag „Competition in the Arts. Sociological Remarks“ der Frage, wie der Wettbewerb in den Künsten aus soziologischer Perspektive zu fassen sei. Nach einer Evaluation soziologischer Theorien von Howard Becker, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann machte er einige Vorschläge, inwiefern auch für die Soziologie Musikwettbewerbe im Vergleich mit anderen Formen des Wettbewerbs neue Fragen aufwerfen können.

Ein zentraler Fokus der Tagung lag auf der Vorstellung der im Rahmen des Projekts „Musikalische Preisausschreiben“ erarbeiteten und 2019 fertiggestellten Datenbank, die Einträge zu über 1300 musikbezogenen Preisausschreiben bietet und ab sofort der Öffentlichkeit zugänglich ist. Für die Datenbank wurde erstmals ein umfangreiches Korpus zeitgenössischer Musikperiodika in Bezug auf Musikwettbewerbe ausgewertet. Im Rahmen des Datenbankpräsentation wurde anhand ausgewählter Beispiele deutlich, welche große Relevanz die Wettbewerbe für eine kulturwissenschaftliche Betrachtung der Musik des 19. Jahrhunderts, für Rückschlüsse auf die Soziologie des ästhetischen Urteils und für Forschungen zu damaligen musikalischen Praktiken, Musik- und Textinhalten sowie Werken und Objekten haben.

Im zweiten Panel „Institutional Forces“ ging es um die Vielfalt der im 19. Jahrhundert ausgerichteten Wettbewerbsformate. Zunächst bot Signe Rotter-Broman (Berlin) mit der Untersuchung zu „Competition Cultures at the World Exhibitions of the Nineteenth Century“ einen Einblick in die Musikpraktiken während der Weltausstellungen von 1851-1900. Anknüpfend an die Zeremonien um die Medaillen- und Diplomvergabe skizzierte Rotter-Broman, was die Erlangung solcher Auszeichnungen für die Besitzer über die Weltausstellung hinaus bedeutete. Der anschließende Beitrag von Annkatrin Babbe (Bremen) zu „Musical Competitions as Opportunities for Professionalization? Female Violinists at the Conservatory of the ,Gesellschaft der Musikfreunde‘ in Vienna“ ermöglichte den Blick auf die Situation von Musikerinnen an Konservatorien. Dabei nahm Babbe exemplarisch auf die besonders im Wien der 1870er-Jahre wachsende Zahl von Geigerinnen im öffentlichen Musikleben Bezug. Im Rahmen ihres Vortrags stellte sie Möglichkeiten vor, wie sich die Musikerinnen sowohl während der Ausbildung als auch im öffentlichen Musikleben präsentieren und auszeichnen konnten. Dabei legte sie besonderes Gewicht auf die seit 1869 im Rahmen der Konservatoriumsausbildung in Wien veranstalteten Preiskonkurse. Carola Bebermeier entführte dann mit ihrer Präsentation „In Search of Italian Chamber Music. ,Concorso-Basevi‘ as a Promoter of National Music Culture“ in das Italien des 19. Jahrhunderts, welches in seiner Wettbewerbskultur – wie auch in anderen musikalischen Belangen – von seinen Nachbarländern abwich. So verwies Bebermeier darauf, dass es keinen Hinweis auf Instrumental- und Vokalwettbewerbe gebe, dafür aber eine Vielzahl an Kompositionswettbewerben zu verzeichnen sei. Genauer widmete sie sich dem durch den Komponisten, Librettisten und Mediziner Abramo Basevi ins Leben gerufenen Concorso. Zum Abschluss des zweiten Panels referierte Chris Price (Canterbury) über „Catch and Glee Club Prizes in the Long Nineteenth Century“. Im Zentrum standen somit Kompositionswettbewerbe, die gezielt der Erhaltung und Förderung dieses als „quintessentially English“ angesehenen Genres dienen sollten. Price schilderte, wie die Besorgnis um den Erhalt dieser nationalen Tradition in der Gründung besagter „compositional competitions“ und der Gründung des London Noblemenʼs and Gentlemenʼs Catch Club mündete.

Am Abend fand zur Abrundung des ersten Tages in der Kölner Trinitatiskirche ein Gesprächskonzert statt. Unter dem Titel „Vom ,Sängerkrieg‘ der Männerchöre“ luden das Ensemble Vocapella Limburg (Leitung: Tristan Meister) und Christoph Müller-Oberhäuser (Köln) zu einer Reise in die Geschichte der Chorwettbewerbe ein. Während in der ersten Hälfte des Konzertes die Entwicklung des Formats musikalisch nachgezeichnet wurde, standen in der zweiten Konzerthälfte Themen wie „Männlichkeit“ und „Nationalismus“ sowie die schon damals weit verbreitete Wettbewerbskritik im Vordergrund.

Der zweite Tag der Konferenz begann mit einem Panel zur nationalen Dimension des Wettbewerbswesens durch Krisztina Lajosi-Moores (Amsterdam) mit „Competing for the Nation“. Sie zeigte, wie die Musik sich als Repräsentantin des Charakters der eigenen Nation, als Sinnbild für deren kulturelle Emanzipation und als politische Repräsentation erwies – etwa durch die zunehmend einbezogene Publikumsmeinung als mögliche Parallele zur Demokratisierung sowie die Entwicklung hin zu einem Miteinander in Gleichwertigkeit, trotz der Unterschiedlichkeit und trotz des kulturellen Transfers zwischen den Kulturen und Gesellschaftsklassen in Hinblick auf ein werdendes Europa. Anschließend bereicherte Jeroen van Gessel (Groningen) mit seinem Beitrag „Competing with the Entire Musical World: Ambitions, Policies, and Results in the Composition Contests of the Dutch Society for the Promotion of Music (1829-1879)“ das Untersuchungsfeld mit einem Blick in die Niederlande. Gessel setzte an der Idee an, die den Kompositionswettbewerben der 1829 gegründeten Niederländischen Gesellschaft zur Förderung der Musik (Maatschappij tot bevordering der toonkunst) zu Grunde lag. Hier konnte ein institutionsgeschichtlicher Blick aus einer ideologiekritischen Position hinter die Kulissen der Wettbewerbe geworfen werden. Mit „,Lʼarte elevata al suo vero splendore‘. Musical Competitions in Naples in the Second Half of the Nineteenth Century and the Role of the Circolo Bonamici“ statuierte Lucio Tufano (Palermo) ein weiteres Exempel für Musikwettbewerbe in Italien. Er konzentrierte sich dabei auf das damalige Musikzentrum Neapel und die dafür wesentliche Rolle des Bonamici-Zirkels, durch dessen Musikwettbewerbe Neapel wieder Dreh- und Angelpunkt für Musiker und Komponisten werden sollte. Auch hier ließen die Forschungsergebnisse die Vermutung zu, dass politische Umstände zu dem Versuch geführt haben könnten, die lokale Tradition zu verteidigen und die Identität der Stadt überregional zu stärken.

Das letzte Panel begann mit „Style categories, character designations and expressive qualities in the task descriptions of 19th century musical competitions“, womit Frank Hentschel (Köln) in Anlehnung an sein Gebiet der Emotionsforschung auf die Frage nach expressiven Kategorien in den meist kurzgefassten Aufgabenstellungen der Wettbewerbe einging. Er diskutierte die darin anzutreffende Charakterisierung und die expressiven Qualitäten der Musik. Dabei stellten sich eine dominante Unterscheidung zwischen ernster und heiterer Musik sowie konkrete Vorgaben der Stilhöhe heraus; teilweise in Zusammenhang mit der ländlichen oder städtischen Herkunft der Teilnehmer*innen stehend. Die Fallstudie „Musical Competitions in Antebellum New York City“ von Clemens Kreutzfeldt (Wien) stellte einen Exkurs in die Musikwelt Amerikas ab 1855 dar, zum Beginn der Musikwettbewerbe durch die New Yorker Musical Review and Gazette – eine Brücke schlagende Reflexion über den daran exemplarisch darstellbaren Musikmarkt New Yorks jener Zeit, der sich in einem regen Spannungsfeld zwischen kommerziellen und europäisch beeinflussten kulturpolitischen Ambitionen bewegte. Sophie-Anne Leterrier (Arras) widmete sich nachfolgend mit „Musical Societies in Roubaix in the 1890s: Refusing Musical Competition, Promoting Social Revolution“ damaligen Positionen gegen den Geist der Rivalität. Sie wählte das Roubaix der 1890er Jahre und den Chor „Parti ouvrier de France“ als Exempel für einen Musikverein, welcher sich sträubte, zum Werkzeug der Politik zu werden, indem eigene Chortreffen oder differierende Stile und Darbietungsformen sowie abweichendes Repertoire gewählt wurden. Jonas Traudes (Köln) rundete die Tagung mit einem Beispiel aus Frankreich ab. Er beleuchtete die Diskussionen um die Verknüpfung von Musikwettbewerben und dem Staat als Einflussnehmer im 19. Jahrhundert, wobei dieser nicht nur fördernd, sondern auch bevormundend und kontrollierend auf die Wettbewerbe einwirkte. Traudes beschrieb etwa die verbreitete Skepsis über die vom Staat ausgewählten Jurymitglieder und Ungereimtheiten, an denen sich grundlegende Konflikte in der damaligen Pariser Musikwelt und Gesellschaft erkennen ließen.

Im Zuge der Vorträge internationaler Musikwissenschaftler*innen, Historiker*innen und Soziolog*innen ließ sich ein Eindruck von der heterogenen Musiklandschaft samt ihrer künstlerischen Praktiken im Spannungsfeld zwischen kulturellem Transfer und nationaler Repräsentation gewinnen. Die konstruktiven Diskussionen sowie der musikalische Nachvollzug am Abend des ersten Vortragstages intensivierten die Erkenntnisse über die komplexe Verzahnung ästhetischer, gesellschaftlicher, politischer sowie ökonomischer Interessen nicht nur innerhalb der Wettbewerbe, sondern auch in starker Wirkungskraft nach außen, weit über die Grenzen der Nationen hinaus. Wiederkehrende Auffälligkeiten in den Einzeluntersuchungen deuten hin auf eine allgemeine Tendenz jener Zeit, eine grundsätzliche Mentalität des Menschen sowie die untrennbare Verknüpfung zwischen politischem, gesellschaftlichem und kulturellem Wandel. Das Ergebnis ist neben der vielversprechenden gegenseitigen Anregung der zahlreichen Forschungsansätze natürlich die frei zugängliche Datenbank, welche hoffentlich weiteren vertiefenden Arbeiten dienen wird.