„Italien am Rhein“: Tagung am Heimatort des Stifters in Koblenz

von Claus Ambrosius (Koblenz)

Zahlreiche Veröffentlichungen belegen die detaillierte Kennerschaft über die Musikgeschichte des nördlichen Rheinland-Pfalz, die der Musiklehrer und Musikwissenschaftler Uwe Baur (1938-2018) über Jahrzehnte seines Wirkens, auch in der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte, zusammentragen und publiziert hat. Mit seinem Nachlass wurde die Dr. Uwe Baur und Jutta Truber-Baur Musikstiftung gegründet, die 2022 ihre Arbeit aufnahm und seitdem bereits mehrere Konzertprojekte und CD-Aufnahmen im erweiterten Rhein-Main-Gebiet unterstützt hat.

Mit besonderem Interesse wurde die erste von der Stiftung selbst getragene Veranstaltung am Heimatort ihres Stifters erwartet: Im September 2024 lud sie zur zweitägigen Tagung des Instituts für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Koblenz und des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in den historischen Saal des Koblenzer Rathauses ein.

Komplettiert wurde die Tagung von einem Konzert mit Lesung, das als musikalische Zeitreise die Welt jener Akademien wiederbelebte, die Kurfürst Clemens Wenzeslaus zwischen 1770 und 1792 in seinen diversen Schlössern in und um Koblenz veranstaltet hat. Drei Absolventen der Mainzer Musikhochschule, die Sopranistin Hanna Kim Koo, die Mezzosopranistin Shai Terry und der Tenor David Jakob Schläger, interpretierten zur Klavierbegleitung von Christian Rohrbach sieben Arien von großen italienischen Komponisten der Mozartzeit wie Giuseppe Sarti, Domenico Cimarosa oder Francesco Bianchi, die seinerzeit in Koblenz erklungen waren. Der Koblenzer Hofkapellmeister Pompeo Sales war mit einem Duett aus seiner Oper Il Re pastore vertreten, die 1770 in Koblenz-Ehrenbreitstein ihre Uraufführung erlebte. Zwischen den Arien las Claudia Eder, langjährige Doyenne der Mainzer Gesangsausbildung, aus den Briefen der Prinzessin Kunigunde von Sachsen, die als Schwester des Kurfürsten für ein Vierteljahrhundert in Koblenz lebte.

Auch thematisch war Koblenz Dreh- und Angelpunkt der Tagung, ausgehend von der Residenzstadt Koblenz als Sitz des letzten Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus, der der Musik im höfischen Leben große Bedeutung beimaß. Kurz nach der Eröffnung des bis heute erhaltenen Theaters 1787 sollte sich das Musikleben grundlegend ändern, was unter anderem 1808 durch die Gründung des bis heute die größte sinfonische Konzertreihe der Stadt veranstaltenden Musik-Instituts Koblenz markiert ist. In diesen und weiteren Stationen beleuchtete die Tagung den Wandel vom höfischen zum bürgerlichen Musikleben – jeweils mit fokussiertem Blick auf die Rezeption italienischer Musik.

Karl Böhmer (Mainz) gab einen Einblick in die italienischen Arien und Ensembles, die in den Hof-Musikakademien des letzten Kurfürsten von Trier, Clemens Wenzeslaus von Sachsen, zwischen 1783 und 1792 aufgeführt wurden. Sie sind in den 128 Konzertprogrammen verzeichnet, die sich im Landeshauptarchiv Koblenz erhalten haben. Diese Dokumente sind im Umfeld des späten 18. Jahrhunderts einzigartig, denn sie spiegeln mustergültig den typischen Aufbau damaliger Akademien aus Sinfonien, Solokonzerten und Kammermusik, Arien, Vokalensembles und Kantaten wider. Darüber hinaus lassen sie durch die Angabe des Komponisten und des Textanfangs die Identifizierung fast aller gesungenen Vokalwerke zu. Insgesamt bestand das dokumentierte Repertoire aus mehr als 260 Arien und Ensembles von 55 Komponisten. Die Spanne reicht von den berühmtesten Rondòs und Arien der 1770er und 1780er Jahre von Komponisten wie Anfossi, Sacchini, Sarti und Cimarosa bis hin zu Auftragswerken für Koblenz von Sales, Righini, Chiavacci u.a.

In seinem Beitrag „Vincenzo Righini am kurtrierischen Hof in Koblenz 1787-1792“ zeigte Fabian Kolb (Frankfurt a.M.) die enge Verbindung des Mainzer Hofkapellmeisters italienischer Herkunft und Prägung Righini nach Koblenz auf, die parallel mit dessen Berufung von Wien an den Rhein 1787 einsetzte und am Hof von Koblenz zu einer bemerkenswerten Rezeption seiner Werke führte. Während es in Mainz keine Tradition der italienischen Oper gab, fand Righini in Kurfürst Clemens Wenzeslaus einen Liebhaber italienischer Vokalmusik, wenngleich dieser unter Verweis auf seinen geistlichen Stand in Koblenz einen Gesinnungswandel vollzogen hatte, aber andererseits bei Righini eine Oper in Auftrag gab: Alcide al bivio von 1790 mit ihrem finalen Sieg der Tugend, klassifiziert als „Kantate“. In den Koblenzer Akademien standen in den fraglichen Jahren zahlreiche Nummern Righinis auf dem Programm – zum einen als Wiederaufnahmen aus Righinis Wiener und Prager Werken zu identifizieren, zum anderen Neukompositionen im Auftrag von Kurfürst Clemens, zugeschnitten auf die Fähigkeiten von dessen sängerischem Personal.

Klaus Pietschmann (Mainz) widmete sich in seinem Referat “Von München über Koblenz nach Wien: Der Komponist Balthasar Buchwieser zwischen italienischer und deutscher Oper“ dem aus München stammenden Komponisten, der 1785 als Sänger und Organist an den Koblenzer Hof gelangte, aber 1806 seiner Tochter nach Wien folgte, die dort als gefeierte Sopranistin ein Engagement am Theater an der Wien erhalten hatte. Im Zentrum der Ausführungen stand der ungewöhnliche Fall zweier gänzlich voneinander unabhängiger Opern mit dem Titel „Numa Pompilius“, die Buchwieser 1790 für Koblenz und 1808 für Wien komponierte. Während die frühere Version, von der sich nur das Libretto erhalten hat, offenbar mehr den Charakter einer Schauspielmusik hatte, bildete die Wiener Vertonung eines Textes von Anton Joseph von Guttenberg, deren verschollen geglaubte Musik Pietschmann als handschriftlichen Klavierauszug in der Florentiner Konservatoriumsbibliothek ausfindig machen konnte, ein virtuoses, stark von italienischen Vorbildern geprägtes Spektakelstück, das allerdings sehr rasch wieder vom Spielplan verschwand.

Am zweiten Tagungstag stand das 19. Jahrhundert im Zentrum des Interesses, in dessen ersten Jahrzehnten in Koblenz mehrere Strömungen nebeneinander herliefen: Das Nachleben der italienischen Opern des 18. Jahrhunderts und der französischen Opern der Besatzungszeit, der beginnende Beethovenkult bürgerlicher Kreise (Beethovens Jugendfreund Franz Wegeler lebte als Medizinalrat in Koblenz) und die Anfänge der Rheinromantik, die der Germanist Nicolai Glasenapp (Koblenz) in seinem Vortrag ”Rheinromantik – Genese und Kontinuität eines Kulturmusters” mit vielen Verweisen auf ältere Reisebeschreibungen etwa von Sterne und Goethe untersuchte, womit er den folgenden musikwissenschaftlichen Vorträgen eine wichtige Facette hinzufügte.

Anschließend widmete sich Robert Abels (Koblenz) in seinem Vortrag „Die ‚Epoche Beethoven und Rossini‘: Deutsche und italienische Musik in den frühen Konzertprogrammen des Koblenzer Musik-Instituts“ einer Institution, die seit ihrer Gründung im Jahr 1808 ein wichtiger Bestandteil des Koblenzer Musiklebens ist. Ein handschriftliches Repertoireverzeichnis der Jahre 1819–1847 (bereits auf dilibri einsehbar) und 158 gedruckte Konzertprogramme von 1809/1810, 1816 und 1819­–1835, die demnächst publiziert werden sollen, ermöglichen einen detaillierten Einblick in die Programmgestaltung im Spannungsfeld von Kunstanspruch und Pragmatismus zwischen nahezu vollständigen, ungekürzten Aufführungen auf der einen und auf einzelne Nummern oder Akte beschränkten Wiedergaben auf der anderen Seite.

Ursula Kramer (Mainz) zeigte in ihrem Beitrag „Rossini-Fieber am Mittelrhein? Zur Rekonstruktion des Koblenzer Stadttheater-Spielplans in den 1820er und 1830er Jahren“ auf, wie grundlegend defizitär Forschungen zu weniger institutionalisierten Theaterformen wie Wanderbühnen und Stadttheatern im Vergleich zu Hoftheatern nach wie vor sind. Das hängt vor allem mit der schwierigen Quellenlage zusammen (kaum erhaltene Theaterzettel). Die einzige, gleichermaßen mühsame wie erfolgversprechende Option zur Rekonstruktion des (Opern-)Spielplans besteht in der systematischen Auswertung der Tagespresse, die die Aufführungen immerhin ankündigte. Für die 1820er und 30er Jahre (exemplarisch ausgewertet für die Jahre 1823 und 1836) zeigt sich eine Entwicklung hin zu größerem Anteil an Opern, wobei das französische Repertoire für Koblenz prägend blieb (von der Opéra comique bis zur Grand Opéra), während insbesondere italienische Titel (Rossini, Bellini) an Gastengagements von italienischen Sängerinnen gebunden waren.

Den Abschluss der Tagung bildete der Beitrag von Patrick Marx (Mainz), der sich mit dem Konzert auf Schloss Stolzenfels anlässlich der Rheinreise von Queen Victoria im August 1845 befasste. Die Vorstellung der beteiligten Sängerinnen und Sänger und die Rekonstruktion der bei diesem Anlass erklingenden Werke machte deutlich, dass es Giacomo Meyerbeer, Hofkapellmeister von König Friedrich Wilhelm IV, als Leiter des Konzerts gelang, ein hochkarätiges Ensemble mit entsprechendem Programm zusammenzustellen. An erster Stelle ist hier die Beteiligung von Jenny Lind und Pauline Viardot-Garcia zu nennen. Aber auch der seinerzeit berühmte Geiger Henri Vieuxtemps war mit von der Partie. Das Programm setzte sich in erster Linie aus italienischen und deutschen Kompositionen zusammen, eine Ausnahme bilden Meyerbeers „Mère Grand“ und eine Auswahl an schwedischen Liedern, die von Jenny Lind vorgetragen wurden.

Aus allen Vorträgen lässt sich die Bedeutung ermessen, die die (Residenz-)Stadt Koblenz in der Musikpflege ihrer Zeit innehatte und die sich punktuell immer wieder mit großen Musikzentren des ausgehenden höfischen Zeitalters wie Mannheim, Wien, Dresden und München vergleichen lässt. Zentrale, in und für Koblenz entstandene Kompositionen dieser Zeit sind noch erhalten und harren der ihnen gebührenden Wahrnehmung – oder gar ihrer Wiederentdeckung und Neubelegung, möglicherweise gar am Ort ihrer einstigen Erstaufführung. Der Dr. Uwe Baur und Jutta Truber-Baur-Musikstiftung stehen also potenziell noch viele lohnenswerte Exkurse in die Heimatregion ihres Stifters ins Haus, der – was sich bei Betrachtung seiner publizierten Forschungen fast aller bei der Tagung berührten Themen – von dieser ersten Veranstaltung „seiner“ Stiftung in Koblenz mit größter Sicherheit mehr als zufrieden gewesen wäre.

Tagungsbericht

„Italien am Rhein“: Tagung am Heimatort des Stifters in Koblenz

veranstaltet durch:
Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Koblenz, Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Koblenz, Historischer Rathaussaal

20.09.2024

bis 21.09.2024