Schrift, Klang und Performanz. Forschungsperspektiven zur italienischen Oper des langen 18. Jahrhunderts

Mainz, 10.-11.05.2013

Von Berthold Over, Mainz – 06.10.2013 | Die vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Mainz und dem an der Universität Wien beheimateten FWF-Forschungsprojekt „Opera buffa in Wien (1763-1782)“ veranstaltete Tagung „Schrift, Klang und Performanz. Forschungsperspektiven zur italienischen Oper des langen 18. Jahrhunderts“ verfolgte das Ziel, aktuelle Forschungsprojekte der Opernforschung zu präsentieren und ein Forum zum gegenseitigen Austausch von Problemen, Fragestellungen und Resultaten zu bieten.

Nach einer Begrüßung von Klaus Pietschmann (Mainz) und einer Einführung von Michele Calella (Wien) widmeten sich die ersten beiden Sektionen terminologischen Fragen sowie der Editionspraxis des Opernrepertoires. Sabine Ehrmann-Herfort (Rom) untersuchte in ihrem Vortrag „Seit wann ist eine Oper eine Oper? Terminologische Untersuchungen zum Opernbegriff“ die Entstehung des Begriffs Oper, der anscheinend aus der Umgangssprache in die Fachterminologie gelangt ist. Christine Siegert (Berlin) („Zwischen Domestizierung und Dokumentation. Editorische Perspektiven auf die italienische Oper des 18. Jahrhunderts“) thematisierte das Problem der in der Opernpraxis des 18. Jahrhunderts begründeten textlich-musikalisch divergierenden Opernfassungen und ihre adäquate Darstellung in der editorischen Praxis. Sie präsentierte ein Projekt, das zur Lösung dieses Problems eine datenbankgestützte Anwendung entwickelt hat, mit der es möglich ist, verschiedene Fassungen einer Oper zu rekonstruieren und bereitzustellen. Giovanni Polin stellte in seinem Vortrag „www.variantiallopera.it: tra (buoni) propositi, funzioni, edizioni e potenzialità“ die Internet-Seite www.variantiallopera.it vor, die Libretti und Partituren von 34 Opern von Goldoni, Metastasio, Jommelli und Pergolesi zur Verfügung stellt und die Quellen und Varianten eingehend beschreibt. Die Problematik der oftmals nur rudimentär überlieferten frühen Opern Christoph Willibald Glucks stellte Tanja Gölz (Mainz) anhand der im Entstehen begriffenen Edition des Demofoonte dar („Die unvollständige Überlieferung von Glucks frühen Opern als Herausforderung für Edition und Praxis“). Yuliya Shein (Mainz) bot einen Einblick in die Erarbeitung des neuen Gluck-Werkverzeichnisses, das als Online-Werkverzeichnis neue Wege beschreitet („‚Gluck WV-online‘. Entstehung eines digitalen Werkverzeichnisses. Werkstattbericht“).

Die dritte Sektion beschäftigte sich hauptsächlich mit ikonographischen Quellen zur Opernpflege und mit der Opernpraxis in Osteuropa. Tobias Weißmann (Berlin) deutete in seinem Beitrag „‚La contesa de’ numi‘. Die Feste der Kardinäle Melchior de Polignac und Pietro Ottoboni zur Geburt des französischen Dauphins 1729“ durch eine ikonographische Analyse der vorhandenen Bildquellen die Intentionen der Kardinäle de Polignac und Ottoboni und kam zum Ergebnis, dass sich das französische Königtum durch Topoi und Referenzen als Schutzmacht des Papstes inszenierte. Diana Blichmann (Rom) untersuchte in ihrem Vortrag „‚Metastasio in scena‘. Dekorationsentwürfe für die ‚Clemenza di Tito‘ (Lissabon 1755 – Turin 1760) und ihr Bedeutungswandel“ Bühnenbildentwürfe zu Metastasio-Opern und versuchte stilistische und funktionelle Einordnungen. Ein Digitalisierungsprojekt zweier wichtiger Musiksammlungen römischer Adelshäuser (Massimo, Pamphilj) nahm Roland Pfeifer (Rom) („‚Opera manuscripts in Rome – and elsewere‘. Erfahrungsbericht und Ausblick nach Europa“) zum Anlass, über die Funktion adliger Musiksammlungen nachzudenken und die Rolle der für die Distribution von Musik bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bedeutsamen Copisterie zu beleuchten. Mit dem Vortrag von Marc Niuno (Prag) richtete sich der Fokus auf Osteuropa, wobei Niuno das Theater im Palast des Grafen Thun in Prag (1778-1783) behandelte („L’opera italiana nel Teatro del Conte Thun a Praga“) und insbesondere den musikalischen Austausch zwischen Prag und Dresden herausstellte. Alina Żórawska-Witkowska (Warschau) („I profitti musicologici dalle ricerche dei libretti“) nahm Warschauer Libretti des Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart (1789) und von La buona figliola von Niccolò Piccinni (1782) als Basis zur Rekonstruktion der Warschauer Versionen der beiden Opern. Mozarts Oper wurde nach ihren Ergebnissen trotz des Engagements eines Großteils der Sänger der Uraufführung in einer (dem damaligen Usus entsprechenden) starken Überarbeitung gegeben, La buona figliola in einer polnischen Übersetzung, die zu lokalpatriotisch und ideengeschichtlich begründeten Verschiebungen und Anpassungen des Inhalts führte.

Die vierte Sektion widmete sich vor allem der Oper in Wien und Mainz. Andrea Sommer-Mathis und Danièle Lipp (Wien) berichteten von ihren Ergebnissen zur Frühzeit des Kärntnertortheaters („Theater- und musikwissenschaftliche Forschungen zur italienischen Oper am Wiener Kärntnertortheater (1728-48)“), das Opern unter dem Titel „Intermezzi musicali“ aufführte, um ein bestehendes Opernprivileg zu umgehen. 1728 ist der seltene Fall der Einrichtung einer Gesangsschule am Theater bekannt. Ingrid Schraffl (Wien) berichtete über „Das Projekt ‚Opera buffa in Wien‘ (1763-1782)“ und stellte insbesondere die Bearbeitungspraxis heraus, die sich auf lokale Vorlieben und auf Sängerwünsche zurückführen lässt. Panja Mücke (Marburg) sprach über „Opern für das ‚neue Rom‘: Caldaras Kompositionen für Kaiser Karl VI.“ und stellte als erstes Zwischenergebnis ihres Projekts die musikalischen Partikularitäten der Musik am Hof Karls VI. und die Drammi per musica als Kommunikationsinstrument im Rahmen der Imagepflege der Habsburger heraus. Martina Grempler (Wien) („Institutionsgeschichte und Lokalforschung. Über Sinnhaftigkeit des Altmodischen“) problematisierte die oftmals gering geschätzte Lokalforschung. Klaus Pietschmann (Mainz) untersuchte das Mainzer Nationaltheater und hob seine Rolle als Umschlagplatz von bearbeiteten Opernpartituren hervor („Italienische Repertoireanteile an deutschsprachigen Bühnen des ausgehenden 18. Jahrhunderts: Das Beispiel des Mainzer Nationaltheaters (1788-1792“). Als Forschungsdesiderate formulierte er die Aufarbeitung der Vernetzung des Opernensembles mit dem Mainzer Verlag Schott, die offenbar zur Verbreitung des Mainzer Opernrepertoires beitrug, sowie die Untersuchung der offenbar relativ erfolgreichen Bearbeitungspraxis.

Insgesamt brachte die Tagung verschiedenste Forschungsansätze zusammen, die zum einen die große Bandbreite der aktuellen Opernforschung aufzeigten und zum anderen verschiedenste Möglichkeiten der Vernetzung boten. Die lebhaften Diskussionen trugen zur guten Arbeitsatmosphäre der Tagung bei und zeugten von einem starken Interesse an den präsentierten Themen.