„Alles dort morsch, treulos. Und so roh.“ Richard und Cosima Wagners Blick auf Wien

Wien, 16.-18.10.2014

Von Eva Rieger, Vaduz – 04.11.2014 | Vom 16. bis 18. Oktober 2014 fand in Wien eine Konferenz statt „zur Genese und Struktur des frühen Wagnerismus“ unter dem Titel „Alles dort morsch, treulos. Und so roh. Richard und Cosima Wagners Blick auf Wien“. Veranstaltet wurde sie vom Institut für Zeitgeschichte der Universität und der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, dem Jüdischen Museum sowie der Staatsoper Wien innerhalb ihres Forschungsprojekts „Eine politische Geschichte der Oper in Wien 1869-1955“. Ein brisantes Thema, zumal es innerhalb der deutschen Musikwissenschaft immer noch Streit darüber gibt, ob man den glühenden Antisemiten Wagner als Wegbereiter der NS-Ideologie sehen könne.Hannes Heer, der die Ausstellungen „Verstummte Stimmen“ in mehreren Städten und Staatsopern, zuletzt in Bayreuth, kuratiert und die Konferenz konzipiert hatte, erläuterte in seinem Eingangsvortrag, wie Wagner seine z. T. schlechten Erfahrungen in Wien (Obstruktion des Tristan-Projekts 1861-63, Verschiebung der Meistersinger-Aufführung 1868/69 und der Kritiken von Eduard Hanslick) verzerrte, eine jüdische Verschwörung konstruierte und daraufhin 1869 eine verschärfte Neuauflage seines Aufsatzes „Das Judentum in der Musik“ herausgab. Clemens Höslinger („Jüdisches und Antijüdisches an der Wiener Hofoper“) sprach vom „Gebrauchs-Antisemitismus“, der nach einer Phase der Toleranz ein Eindringen antisemitischer Agitation in das Opernhaus ermöglichte. Überhaupt wurde deutlich, wie sich der Judenhass nach 1870 in derösterreichischen Hauptstadt breitmachte.

Drei Vorträge stellten Person und Werk Eduard Hanslicks in den Vordergrund. Hans-Joachim Hinrichsen („Ästhetische Grundsätze oder persönliches Ressentiment? Eduard Hanslick contra Richard Wagner“) fragte, ob Wagners Feindseligkeit gegenüber Wien von seinem schwierigen Verhältnis zu dem Musikkritiker abhing und machte deutlich, wie harsch und ungerecht Wagner dessen Beurteilungen bewertete („er erklärt meine Musik für null und nichtig“). Dabei befasste sich Hanslick ausführlich und ernsthaft mit dem Werk des Komponisten. Wolfgang Fuhrmann („Der Kritiker und seine Schrift, ‚Vom Musikalisch-Schönen’ als Vorlage für die Figur des Beckmesser?“) bejahte die Vermutung, dass die Figur des Beckmesser eine Zeichnung Hanslicks ist, plädierte aber dafür, ihn zugleich als würdigen Vertreter der pedantischenMeistersinger wahrzunehmen. Richard Klein („Das Wahre an Eduard Hanslick heute“) würdigte ihn als bedeutendsten Musikkritiker des 19. Jahrhunderts und zeigte auf, wie er an ästhetische Kernfragen rührte. Er sah in seinen Schriften Elemente einer performativen Kultur, die für die heutige Musikwissenschaft noch Relevanz hätten. 

Fritz Trümpi („Die Wiener Presse und ihr Verhältnis zu Wagner“) zeigte anhand ausgewählter Zeitungen, wie diese bis 1870 gegen Wagner polemisierten („Halbmensch, oberflächlicher Schwätzer – in seiner Musik macht sich die Barberei breit“) und mehrheitlich gegen ihn eingestellt waren. Dies schlug um 1870 mit dem Erstarken deutsch-nationaler Kräfte ins Gegenteil um, bis hin zu affirmativen Besprechungen seiner Hetzschrift über das „Judentum in der Musik“. Marion Löffelhardt („Der erste ‚Richard Wagner Verein‘ in Wien und der Wiener ‚Akademische Wagner-Verein‘“) zeigte, wie die Wagner-Begeisterung in Wien organisierte Formen annahm: Während der erste Wagnerverein sich auf die finanzielle Unterstützung des Baus des Bayreuther Festspielhauses konzentrierte, widmete sich der Akademische Richard Wagner-Verein der Lektüre und der Verbreitung des Wagnerschen Gedankens. Dabei gab es eine beträchtliche Zahl jüdischer Mitglieder, die sich von Wagners Rassismus nicht abstoßen ließen. In Graz erfuhr die Hetze gegen Juden und Slawen im späten 19. Jahrhundert eine besondere Schärfe, wie der Historiker Oliver Rathkolb erläuterte („Graz als ,Epizentrum’ des Wagnerismus“). Die Schriften von Gobineau und Chamberlain trugen dazu bei; man empfand sich als Bollwerk der deutschen Kultur, und diese Überzeugung währte bis zum 2. Weltkrieg. Carolin Bahr ging mit ihrer Analyse früher Lohengrin-Inszenierungen in Wien detailliert mit den Strichen und Verstümmelungen um, wobei sie die Ursachen hierfür nannte – zuweilen waren es politische Gründe (Staatsbesuch aus Ungarn), z. T. auch Rücksicht auf die Sänger (ungewohnte Form des Wagner-Gesangs), die zu Kürzungen führten. Barbara Boisits („Der Wagnerianer Guido Adler“) erläuterte, wie der jüdische Musikwissenschaftler in Wagners Bann geriet und als junger Mann in Bayreuth 1876 von dessen Musik begeistert war, aber später den Bayreuther Elitarismus kritisierte. 1904 nahm er Wagner in seinem Wagnerbuch vor dem extremen Nationalismus in Schutz. Werner Hanak-Lettner („Deutschnationale Wiener Juden in der Zeit der Monarchie“)  zeigte die Probleme der deutschnationalen Juden auf, deren Bemühungen um Inklusion zur Einbahnstraße gerieten, da sie nie Anerkennung erfuhren und ausgegrenzt wurden. Hermann Grampp („Wien. Eine frühe Hauptstadt es europäischen Wagnerismus?“)  untersuchte die Fremdenliste der Besucher Bayreuths, was zwar für sein Thema wenig ergiebig war, aber interessante Ergebnisse bei der Analyse der Herkunft der Festspielbesucher aufwies. Gerhard Scheit („Wagners Antisemitismus bei Gustav Mahler und Otto Weininger“) überzeugte mit seiner fulminanten These, wonach Mahler sich von antisemitischen Anwürfen in seiner Musik befreite, indem er sie in seinen Scherzi persiflierte – ein Ansatz, der zum Weiterdenken führte. Hannes Heer („,Die semitische Falle.’ Cosima Wagner und Gustav Mahler“) beleuchtete Cosimas von Wagner übernommenen Antisemitismus, der sich auch gegen die Besetzung jüdischer Künstler ausgesprochen hatte. Daher provozierten die Wagner-Familie und Chamberlain bei der Wiener Erstaufführung von Siegfried Wagners Der Bärenhäuter 1899 gegen den „Semiten“ Mahler einen scharfen Konflikt. Sven Fritz („Houston Stewart Chamberlain als Mittler zwischen Wahnfried und den Wiener Wagnervereinen“) referierte darüber, wie Chamberlain zur Zentralfigur des völkisch-antisemitischen Lagers wurde und  in Wien eine verhängnisvolle Wirkung entfaltete.

Die personalisierte Linie von Richard Wagners nationalistischen und rassistischen Überzeugungen über Cosima Wagner, Houston Stewart Chamberlain und Siegfried Wagner bis hin zur nationalsozialistischen Ideologie, die nachhaltig bestätigt wurde, aber von etlichen Historikern und Musikologen noch immer ignoriert oder bestritten wird, blieb das bedrückende Ergebnis einer faszinierenden und mit vielen neuen Ansichten bestückten Konferenz. Eine Veröffentlichung der Vorträge wird derzeit vorbereitet.