Beethovenrezeption in Mittel- und Osteuropa
Leipzig, 22.-26.10.2014
Von Stephan Wünsche, Leipzig – 07.09.2015 | Das Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig lud vom 22. bis 26. Oktober 2014 zu einer internationalen musikwissenschaftlichen Konferenz unter dem Titel Beethovenrezeption in Mittel- und Osteuropa. Die Referentinnen und Referenten waren angereist aus Deutschland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, der Ukraine, Ungarn und Weißrussland. Die Arbeitsgemeinschaft für die Musikgeschichte in Mittel- und Osteuropa, der die meisten Vortragenden angehören, setzte mit dieser Konferenz eine Tradition rezeptionsgeschichtlicher Studien fort: Schon 1996 hatte es eine Tagung zur Mozartrezeption in Mittel- und Osteuropa gegeben; jüngere Leipziger Tagungen zu Robert Schumann und Richard Wagner enthielten ebenfalls Panels zu deren Rezeption gerade im östlichen Europa. Nun also Beethoven: Der Einfluss seiner Werke auf spätere Komponistengenerationen, seine Mythologisierung als Genie und Held sowie seine Vereinnahmung als Humanist und Personifikation des Fortschritts sind zwar schon Gegenstand vieler Tagungen und Studien gewesen. Mittel- und Osteuropa spielten aber bislang nur selten eine Rolle. Diese Lücke vollständig zu schließen, konnte selbstverständlich nicht Ziel der dreitägigen Leipziger Konferenz sein. Wohl aber erbrachte sie zahlreiche Fortschritte in Einzelaspekten und machte nachdrücklich auf Desiderate zukünftiger Arbeiten aufmerksam.
Am Donnerstagvormittag begann die Reihe der wissenschaftlichen Beiträge mit Klaus-Peter Kochs „Versuch einer Systematisierung von Beethovens Beziehungen zum östlichen Europa“. Koch verschaffte dem Publikum einerseits einen Überblick über Beethovens Reisen innerhalb des Habsburgerreiches und darüber hinaus, andererseits über seine durch Briefe und Widmungen belegten Kontaktpersonen im östlichen Europa. Primož Kuret berichtete von Beethovens Ehrenmitgliedschaft in der Philharmonischen Gesellschaft in Ljubljana, einer Vorgängerorganisation der heutigen Slowenischen Philharmonie. Mit der Beethovenrezeption in Danzig befassten sich Danuta Popinigis und Jerzy M. Michalak. Sie konnten dort insgesamt 25 öffentliche Konzerte mit Musik Beethovens zu dessen Lebzeiten nachweisen. Der Beitrag von Milada Jonášová widmete sich der in Prag komponierten und in Leipzig uraufgeführten Szene und Arie „Ah perfido!“. Hartmut Krones betonte zum Abschluss des ersten Vortragsblocks die Wahrnehmung Ludwig van Beethovens als ‚rhetorisch‘ vorgehender Komponist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Der Donnerstagnachmittag brachte zwei Beiträge zur Beethovenrezeption im 20. Jahrhundert, nämlich bei Béla Bartók (László Vikárius) sowie bei Schönberg und der Zweiten Wiener Schule (Peter Andraschke). Beethoven war, so Andraschke, „einer der wichtigen Komponisten, auf den sich Schönberg und seine Schüler beriefen, um ihre Werke in die Tradition der abendländischen, insbesondere der deutschen Musik zu stellen“. Lenka Křupková und Jana Lengová stellten in ihren Beiträgen lokale Beethoventraditionen in Olmütz und Pressburg vor, Lengová mit Schwerpunkten auf dem Pressburger Kirchenmusikverein zu St. Martin sowie auf liturgischen Aufführungen der Missa solemnis.
Den Auftakt zum zweiten Konferenztag bildeten Einzeluntersuchungen zur Ausstrahlung von Beethovens Werken auf dem Gebiet des heutigen Serbiens, Rumäniens und der Ukraine. Marijana Kokanović Marković stellte Jovanka Stojković ins Zentrum ihres Referats, die erste serbische Pianistin, die Beethovens Sonaten zur Aufführung brachte. Florinela Popa untersuchte anhand von zwei Beispielen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft die ideologische Vereinnahmung von Beethovens Werken in Rumänien. Olena Kononova, Elena Zinkevych und Luba Kyyanovska beleuchteten verschiedene Facetten der Beethovenrezeption in der Ukraine, wobei besonders Kyynanovskas Spurensuche zu Beethoven in der ukrainischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts interessante Denkanstöße gab.
Der Freitagnachmittag war Polen gewidmet: Irena Poniatowska sprach über die Beethovenrezeption in Warschau und Magdalena Chrenkoff über das von Elżbieta Penderecka initiierte jährliche Beethoven-Osterfestival, das seit 1997 nach Beginn in Krakau nun in Warschau stattfindet. Julia Gołębiowska setzte einen Schwerpunkt auf Beethovens Streichquartette im polnischen Musikleben des 19. Jahrhunderts und Andrzej Wolański auf die Fidelio-Aufführungen in der Breslauer Oper vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Am Samstag ging es mit einem Beitrag von Magda Dziadek über das Beethovenjahr 1927 in Polen weiter, bevor Weißrussland und Russland ins Visier genommen wurden. Galina Tsmyg systematisierte Haltungen zu Beethoven in Weißrussland bis in die jüngste Vergangenheit, Wladimir Gurewitsch berichtete über den „unendlichen Weg zur Anerkennung“ des Fidelio in Russland und Marina Raku schließlich untersuchte die russischen Beethovenjubiläen 1920 und 1927. Die Konferenz schloss mit zwei Beiträgen, die noch einmal große räumliche und zeitliche Abstände überbrückten und Zusammenfassungen wagten: Michal Heinemann sprach über den Topos der „Kreutzersonate“ bei Leo Tolstoi, Leoš Janáček und Margriet de Moor; Helmut Loos setzte mit seinen Überlegungen zu Beethoven und dem Fortschrittsgedanken einen kritischen Schlusspunkt.
Abgerundet wurde das Tagungsprogramm mit zwei abendlichen Konzerten in der Grieg-Begegnungsstätte sowie in der Leipziger Hochschule für Musik und Theater. Ein Tagungsband befindet sich in Vorbereitung.