Troja-Kolloquium für Renaissancemusik: Vokalpolyphonie zwischen Alter und Neuer Welt

Mainz, 25.-26.06.2015

Von Laura Sonnabend, Mainz/Wiesbaden – 10.07.2015 | Als eine der im deutschsprachigen Raum ersten Tagungen zur Renaissancemusik in Lateinamerika fand am 25. und 26. Juni 2015 das diesjährige Symposium troja an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz statt. Organisiert und geleitet von Prof. Dr. Klaus Pietschmann (Mainz) in Verbindung mit Prof. Dr. Cristina Urchueguía (Bern) widmeten sich die Referenten und Teilnehmer dem Thema „Vokalpolyphonie zwischen Alter und Neuer Welt. Musikalische Austauschprozesse zwischen Europa und Lateinamerika im 16. und 17. Jahrhundert“.

Anhand des Codex Valdés zeigte Prof. Dr. Klaus Pietschmann in seiner Begrüßung die Vielschichtigkeit des Themengebietes im politischen und kulturellen Austausch; er thematisierte Forschungen zu Überlieferung und Provenienz sowie aktuelle Bestrebungen und Schwierigkeiten in der Erfassung musikalischer Quellen Lateinamerikas. Wie es gute Tradition des troja-Symposiums ist, eröffnete ein Abendvortrag einer verwandten universitären Disziplin die Veranstaltung – und so weitete Prof. Dr. Renate Pieper (Graz) den Blick auf „Amerika in Europa - Europa in Amerika“ aus wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive. Sie thematisierte detailliert die verschiedenen Begrifflichkeiten, mit denen die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika charakterisiert werden: vom „Transfer“ über den „Austausch (cultural exchange)“ oder die „histoire croisée“ bis hin zur Bezeichnung als „Verflechtung“ bzw. „entanglement“. Anhand zahlreicher Beispiele aus Kunsthandwerk und Technik verdeutlichte sie die außermusikalischen, jedoch umfassend kulturellen und wirtschaftlichen Prozesse.

Wie sich die lateinamerikanische Musikforschung von ihrer ganz eigenen Vision einer europäischen Musikgeschichte abgrenzt und weiterentwickelt, stellte Prof. Dr. Cristina Urchueguía (Bern) in ihrem Vortrag dar. Wen und weshalb lateinamerikanische Vokalpolyphonie interessiert, wurde in ihrem Forschungspanorama deutlich, zudem die inhaltlichen und methodischen Herangehensweisen lateinamerikanischer sowie US-amerikanischer und europäischer Forscher. Tendenziell zeigt sich zurzeit ein wachsendes Forschungsinteresse an diesem Thema (nun auch vor allem außerhalb des hispanophonen Raums), wobei oftmals immer noch Hispanoamerika und Brasilien getrennt betrachtet werden – was rein politisch, jedoch nicht wissenschaftlich begründet ist. Möglichkeiten und Grenzen einer Historiographie der kirchlichen Musik in Brasilien zeigte Dr. Christian Storch (Florianópolis/Bad Liebenstein) in seinem Vortrag auf. Geben Kirchengebäude und historische Reiseberichte einige wenige Anhaltspunkte, so weisen doch Quellen zur Mission der Jesuiten (zur Musik im Gottesdienst und zu Prozessionen, bei denen durchaus indigene Elemente integriert wurden) ein breiteres Spektrum auf und machen den „Transfer vokalpolyphoner Musik aus Portugal nach Brasilien im 16. Jahrhundert“ deutlich und greifbar. Ein Wissens- und Kulturtransfer fand hier zum Beispiel anhand von Chorbüchern aus Portugal, durch die Anstellung von Kirchenmusikern in Brasilien und die Übertragung des europäischen Prinzips der Kapellen statt.

Krankheitsbedingt musste der Vortrag Gustavo Mauleón Rodriguez‘ (Mexico City) zu „New Spain culture and musical symbolism: several programmes and different readings (16th to 18th centuries)“ entfallen; das Referat von Omar Morales Abril (Mexico City) wurde in Abwesenheit übersetzt und gelesen von Prof. Dr. Cristina Urchueguía. Es widmete sich speziellen Chorbüchern aus den Kathedralen in Guatemala und Mexiko City; in ihnen zeigt sich ein besonderes Festhalten an einem Repertoire, das interessanterweise Kompositionen vor- und nachtridentinischer Tradition und zudem Werke regionaler, spanischer und allgemein europäischer Komponisten vereint. Neben der Übertragung des Modells Sevilla fand gleichermaßen ein reger Austausch zwischen den verschiedenen lateinamerikanischen Städten statt, wodurch teilweise eine Homogenität entstand. Der Referent forderte einen breiteren Blick für die Renaissanceforschung sowie eine Weiterentwicklung weg von der wenig hilfreichen Einteilung nach heutigen lateinamerikanischen Staaten bzw. Forschung innerhalb nationaler Grenzen.

Musik als ein zentrales Mittel der Mission, auch zum vereinfachten Lernen geistlicher Texte und mit der Möglichkeit, innerhalb eines Liedes zwischen verschiedenen Sprachen zu wechseln, war Thema des Vortrages von Dr. Daniele Filippi (Basel/Mailand) – ausgehend von dem Diktum des ersten Bischofs von Neuspanien Juan de Zumárraga: „More than for the preaching, [the natives] convert for the music.“ Auch Dr. Jutta Toelle (Frankfurt a.M.) beschäftigte sich mit der Idee von „Mission durch Musik“: Anhand zahlreicher Ausschnitte aus Berichten europäischer Missionare, die zum Beispiel die „natürliche Begabung“ der Indigenen betonten oder Erfolge und Misserfolge der Missionsvorhaben bekanntgaben, bot sich den Zuhörern ein vielseitiges Quellenpanorama dar. Erleichtert wurde die Mission unter anderem durch Choräle christlichen Inhalts in der Landessprache (wie beispielsweise Nahuatl). Mit den Ursprüngen der Sarabande beschäftigte sich der Vortrag von Dr. Hanna Walsdorf (Leipzig): Neben den diversen Vermutungen zum spanischen, lateinamerikanischen oder orientalischen Ursprung des Tanzes hob sie den Einfluss aus Afrika hervor, da sich der Name Zarabanda sich aus der Verehrung der Kongolesischen Gottheit nsala-banda ableitet. In Europa zuerst aufgrund der Obszönität in Texten und Tänzen verboten, verbreitete sich die Sarabande in einer quasi „domestizierten“ Instrumentalvariante, in der sie als eine der Entwicklungslinien unter anderem nach Lateinamerika zurückwirkte.

Die Schlussworte des Symposiums betonten die Notwendigkeit einer unvoreingenommenen Perspektive einer mitteleuropäischen Lateinamerika-Forschung bzw. den fruchtbaren und offenen „Blick von außen“ auf die Iberische Halbinsel und Lateinamerika, wodurch wie aus einem „dritten Raum“ heraus Grenzen überwunden werden könnten. In ihrer Begeisterung für das Thema konnte die Tagung einen „neuen, frischen Beitrag“ leisten; anzustreben ist es, in Zukunft auch über analytische Herangehensweisen die Voraussetzungen für stilistische Vergleiche zu schaffen und anhand der Forschungen zur Renaissancemusik zwischen Europa und Lateinamerika interdisziplinär kulturelle und politische Verflechtungen zu betrachten.

Mit einem außergewöhnlichen Gesprächskonzert wurde das Symposium abends in der Hochschule für Musik beschlossen: In einer originellen Auswahl unternahm Guy Bovet mit seinen Zuhörern eine musikalische Reise durch Südamerika, ließ das Publikum teilweise aktiv teilnehmen (bei dem Choral Todo el mundo en general) und kostete die Möglichkeiten des Nachbaus einer spanischen Barock-Orgel der Hochschule voll aus. Eine Publikation der Beiträge ist im zukünftig als open access Online-Publikation erscheinenden Jahrbuch für Renaissancemusik troja vorgesehen.