„La cosa è scabrosa“. Musikkulturelles Handeln auf den Opernbühnen in Wien um 1780 

Oldenburg, 03.-05.07.2015

Von Levke Höpner, Oldenburg – 10.10.2015 | Basierend auf zahlreichen gelungenen Kooperationen in der Vergangenheit veranstaltete das Institut für Musik der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg auch in diesem Jahr ein musikwissenschaftliches Symposium in Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater, bei dem mit Mozarts „Le nozze di Figaro“ eine Oper im Zentrum stand, die am Staatstheater in der aktuellen Spielzeit 2014/15 nur eine Woche zuvor Premiere gefeiert hatte. Unter dem in der Wissenschaft wohl häufig passenden Titel „La cosa è scabrosa“ („die Sache ist heikel“), der gleichzeitig ein Zitat aus dem „Figaro“ darstellt, wollte man sich anhand der Oper von Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte dem musikkulturellen Handeln auf den Opernbühnen in Wien um 1780 aus verschiedenen Perspektiven  widmen. Mit der Probebühne des Oldenburgischen Staatstheaters hatten die Organisatorinnen Melanie Unseld, Steffi Turre und Carola Bebermeier ein nicht nur zum Gegenstand passendes, sondern auch stimmungsvolles, angenehmes Ambiente gefunden. So wünschte sich denn auch Christian Firmbach, der Generalintendant des Oldenburgischen Staatstheaters, in seinen Begrüßungsworten, dass dieses Symposium die Musikwissenschaft mittels der Verbindung von Theorie und Praxis erfahrbar machen würde. Die Vorträge und Diskussionen gliederten sich dabei in die vier Sektionen (1) Neue Perspektiven auf die Musikkultur um 1800; (2) Opera buffa. Konturen eines Genres; (3) Akteurinnen und Akteure der Opera buffa sowie (4) Figaro hören, spielen, inszenieren.

In ihren „Einleitenden Gedanken zu den Verwicklungen rund um `Le nozze di Figaro´“ als Einführung in das Thema des Symposiums und zugleich ersten Beitrag zur Sektion „Neue Perspektiven auf die Musikkultur um 1800“ betonte Melanie Unseld (Oldenburg) zunächst, dass es an diesem Wochenende sehr wohl um Verwirrung, nicht aber um die Auflösung der selbigen und den damit verbundenen Gewinn von Klarheit gehen solle. Vielmehr solle Oper im 18. Jahrhundert durch das Konzept des musikkulturellen Handelns als Ereignis betrachtet werden, bei dem im Sinne einer „praxeologischen Betrachtung“ sämtliche beteiligte Akteure und Abläufe in Beziehung zueinander zu setzen seien. Daran anknüpfend wünschte sich Unseld eine neue Wahrnehmung der Bedeutung von Intertextualität, die sich anhand der Betrachtung von neuen Quellen, die über Partituren und Libretti hinausgehen, erfassen lasse. Ebendiesen Aspekt griff Tom Wappler (Oldenburg) für seinen Vortrag heraus, der am Beispiel von Salieris „Prima la musica e poi le parole“ (Wien 1786)   die Bedeutung von Intertextualität als musikkultureller Praxis vor, auf und neben der Bühne betrachtete. Er bezog sich dabei auf eine Definition von Julia Kristeva (1967) und motivierte die Zuhörer mit seinem Beispiel, das nicht nur Inter- sondern gar Metatextualität aufweist, zu Fragen, wie: „Warum verweist der Komponist an einer gewissen Stelle auf ein anderes Werk?“; „Welcher Verweis ist an wen adressiert?“ und „Nehmen wir heute vielleicht nur einen Bruchteil der beabsichtigten Verweise wahr?“. Im folgenden Vortrag analysierte Thomas Betzwieser (Frankfurt a.M.) Salieris Metamelodramma dann noch einmal hinsichtlich heute nachvollziehbarer Aspekte der Intertextualität. Zum Abschluss des Tages führte Carola Bebermeier Vortragende und Zuhörende durch die von ihr zusammen mit Studierenden der Universität Oldenburg konzipierte Ausstellung zu den Skizzenbüchern Celeste Coltellinis im Staatstheater. Am Samstag führte Susanne Rode-Breymann (Hannover) die Sektion fort, indem sie ihr Konzept des „kulturellen Handelns“ darstellte, welches durch das Einbeziehen aller am Musiktheater Beteiligten zwar einer traditionellen Hierarchisierung entgegenwirke, nicht aber – wie es oft missverstanden werde – Größe leugnen wolle. Anschließend widmete sich Anke Charton (Wien) in ihrem Vortrag Verschränkungen und Verkehrungen sozialer Ordnungskategorien im „Figaro“, bei denen sie Parallelen zu Shakespeares Komödien feststellte.

Die zweite Sektion, die sich den Umrissen des Genres Opera buffa widmete, eröffnete Michele Calella (Wien) mit seiner Betrachtung der Spielzeit 1783/84 und der „neuen“ Opera buffa in Wien. Ausgehend von der Abschaffung des Singspiels in dieser Spielzeit analysierte er anhand von Beispielen zahlreiche Charakteristika der „neuen“ Opera buffa, wie die Verwendung von Seria-Rollen, das Spiel mit Konventionen aus der Opera seria, die Entstehung der Oper aus einer Komödie sowie das Enden in einer übertriebenen Nacht- und/oder Wald-Szene. Des Weiteren lieferte Ingrid Schraffl (Wien) eine vielseitige spieltheoretische Betrachtung der Opera buffa, wobei sie sich insbesondere auf „Le nozze di Figaro“ bezog. Sie betrachtete einerseits Parodie sowie Sprach- und Wortspiele, andererseits aber auch das Rollenspiel: Der Schauspieler spiele jemand anderen, aber auch das Publikum spiele, dass es den Schauspieler für diesen Anderen halte. Auch die Rolle des Karten- und Glücksspiels für das Operngeschehen zur Zeit der Entstehung des „Figaros“ blieb nicht unerwähnt. Mit Hilfe von vier Kategorien der Spieltheorie von Roger Caillois (1958), Agon – Wettkampf, Alea – Chance, Mimicry – Verkleidung und Ilinx – Rausch, beleuchtete Schraffl verschiedene Formen des Spiels der Figuren im „Figaro“. Sie verwies außerdem auf den spieltheoretischen Begriff der Burla, der für sie das Moment des „Sich-lustig-machens“, das Karnevaleske der Opera buffa treffend beschreibt.

Die dritte Sektion war den Akteurinnen und Akteuren der Opera buffa gewidmet und wurde durch den Vortrag Daniel Brandenburgs (Bayreuth/Salzburg) zu Mozart und den „edlen Buffi“ begonnen. Brandenburg führte dabei die zur Zeit Mozarts gewünschten Eigenschaften der mit Bedacht ausgewählten Opera buffa-Sänger und -Sängerinnen unter anderem anhand von Beispielen wie etwa dem ersten Figaro-Darsteller Francesco Benucci aus. Ziel sei dabei stets die maßvoll kontrollierte Komik in Abgrenzung zum Klamauk gewesen. Thomas Seedorf (Karlsruhe) widmete sich anschließend in seinem Vortrag „Storace – Benucci – Mozart. Maßnehmen für Figaro und Susanna“ einer während dieses Symposiums häufig zitierten Phrase: „per ben vestir la virtuosa“. In dieser Metapher, die gern für die die Beschreibung des Operngeschehens im 18. Jahrhundert verwendet wird, geht es darum, dass Arien stets komponiert wurden, um die Sängerin „gut zu kleiden“, also ihre gesanglichen Vorzüge zur Geltung zu bringen. Dieses Prinzip untersuchte Seedorf hier anhand der Komposition des „Figaro“. Den Abschluss der Vorträge bildete dann Carola Bebermeier (Oldenburg), die als Beispiel für eine Akteurin um 1780 Celeste Coltellini als Primadonna der Opera buffa in Wien vorstellte und dabei sowohl auf Facetten ihrer Biographie wie auch auf ihre Rechte und Pflichten als Sängerin einging.

Beim gemeinsamen Opernbesuch am Samstagabend konnten die Teilnehmer des Symposiums ein verhältnismäßig junges Ensemble beim Spiel der zuvor thematisierten Oper „Le nozze di Figaro“ beobachten. Abgeschlossen wurde die Tagung am Sonntag dann unter dem Sektionstitel „Figaro hören, spielen, inszenieren“ mit einem Gespräch mit Vito Cristófaro (Musikalische Leitung) und Steffi Turre (Dramaturgie), die, gelenkt durch Fragen von Melanie Unseld und aus dem Plenum, vom Entstehungsprozess dieser Inszenierung des „Figaro“ berichteten.