Gaspar van Weerbeke: Works and Contexts
Salzburg, 29.06.-01.07.2017
Von Mirijam Beier, Alina Kirchner und Jan-Felix Wall, Salzburg – 19.12.2017 | Der franko-flämische Komponist Gaspar van Weerbeke (ca. 1470 – ca. 1517) stand im Zentrum einer internationalen Tagung, die im Rahmen des FWF Forschungsprojekts „The Gaspar van Weerbeke Edition“ unter der Leitung von Andrea Lindmayr-Brandl und den Mitarbeitern Paul Kolb sowie Agnese Pavanello (Schola Cantorum Basiliensis) veranstaltet wurde. Der Anlass dazu war ein doppelter: Zum einen feierte man ein 500-jähriges Jubiläum – das letzte bekannte Dokument zu Gaspar van Weerbeke stammt aus dem Jahr 1517 –, zum anderen den Abschluss der Edition, deren Beginn auf einen Vertrag mit Corpus Mensurabilis Musicae bereits aus dem Jahr 1951 zurückgeht. Zur Eröffnung der Tagung waren nicht nur der Gründungsvater der Ausgabe anwesend, Prof. Dr. Gerhard Croll, der kürzlich seinen neunzigsten Geburtstag feiern konnte, sondern auch alle anderen Mitglieder des Herausgebergremiums.
Die Konferenz bot ein vielseitiges Programm von klassischen Fragen um Zuschreibung und Personalstil, über Lebenswirklichkeiten von Künstlern der Renaissance, bis hin zur Diskursivierung von Autorschaft(en). Auch abseits des akademischen Programmes bot die Veranstaltung verschiedene Highlights, etwa das gemeinsame Singen nach Faksimiletexten oder den sehr lebendigen Austausch im abschließenden Rekonstruktions-Workshop. Auch der Umstand, dass praktisch keine Aufnahmen von Weerbekes Musik existieren, wurde elegant gelöst, indem für Hörbeispiele ein vierköpfiges Vokalensemble zur Verfügung stand, das als Rahmenprogramm auch ein Konzert in der Salzburger Franziskanerkirche gestaltete.
Eingeleitet durch eine Keynote von Klaus Pietschmann (Universität Mainz), der sieben Gründe für Gaspars Migration nach Italien diskutierte, beschäftigte sich der erste Teil der Tagung vornehmlich mit biographischen Aspekten. Paul A. Merkley von der University of Ottawa, Sean Gallagher vom New England Conservatory, Grantley McDonald von der Universität Wien und Jeannette Jones von der Boston University präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse zu Weerbekes Lebensstationen Mailand, Rom und dem franko-flämischen Raum. Eine Sektion zu Gaspars Missa O venus bant diente sozusagen als Vorbereitung zum Abendprogramm.
Die Keynote von Fabrice Fitch (Royal Northern College of Music, Manchester), die einen Überblick zum kompositorischen Schaffen und dessen Rezeptionsgeschichte im Vergleich mit zeitgenössischen Komponisten gab, eröffnete den zweiten Konferenztag, an dem musikalisch-stilistische Fragestellungen im Vordergrund standen. Drei Vorträge befassten sich mit dem problematischen weltlichen Werk (Carlo Bosi, Universität Salzburg; Eric Jas, Universiteit Utrecht; David Fallows, University of Manchester), das Motetten- und Messenwerk stand im Zentrum von Beiträgen des Gaspar-Teams Andrea Lindmayr-Brandl, Agnese Pavanello und Paul Kolb, dem eine neue Zuschreibung einer bislang anonymen Messe gelungen ist. Besonders eindrücklich war die Aufführung der Gasparschen Komposition Stabat mater im Rahmen des Vortrags von Wofgang Fuhrmann (Mainz). Sie fand aus akustischen Gründen im offenen Flur der Abteilung statt und brachte die gesamte Universität zum Klingen.
Die Tagung schloss mit einem „Reconstruction Workshop“, eingeleitet von einem Vortrag von Richard Freedman (Haverford College). Schon im Vorfeld wurden von Teilnehmern der Tagung Rekonstruktionen der fehlenden Bassstimme zweier Chansons Gaspar van Weerbekes eingereicht, die als Grundlage der Diskussion dienten. Fragen der Satztechnik, des Personalstils sowie der klanglichen Disposition wurden lebhaft diskutiert. Das Vokalensemble ermöglichte zudem, dass die verschiedenen Rekonstruktionsvorschläge auch klingend einander gegenübergestellt und und mit dem Ohr geprüft werden konnten. Das Ergebnis wird im letzten Band der „Gaspar van Weerbeke Edition“ erscheinen und auf der Homepage der Ausgabe dokumentiert.
Die erste Konferenz zu diesem Komponisten der Renaissance überhaupt fasste die bisherige Forschung zusammen und eröffnete neue Perspektiven für die Zukunft. Mit dem Abschluss der Gesamtausgabe wird der Gaspar-Forschung eine hervorragende Grundlage zur Verfügung gestellt, sodass die von dieser Tagung ausgehenden Impulse unmittelbar aufgenommen und weitergeführt werden können.