Italia e Germania. Musicologie allo specchio dalle origini al tempo di internet

Rom, 25.-26.01.2019

Von Giuseppina Crescenzo, Frankfurt am Main – 22.09.2019 | Der Kongress fand auf Initiative des Istituto Italiano di Studi Germanici (IISG) in Zusammenarbeit mit der Universität Roma Tre im Rahmen eines von Luca Aversano geleiteten Forschungsprojekts in der Villa Sciarra-Wurts auf dem Gianicolo statt. Aus interdisziplinärer Sicht standen die wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland zur Debatte, aus denen seit den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die nationalen Musikwissenschaften erwachsen sind. Lehrende und Studierende italienischer und deutscher Universitäten, Musikhochschulen und weiterer Institute zeichneten zum einen geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen nach, die zur epistemologischen Verfasstheit der deutschen und italienischen Musikwissenschaft beigetragen haben. Zum anderen bewerteten sie die longue durèe einer entsprechenden, seit dem 18. Jahrhundert bis in unser digitales Zeitalter nachwirkenden Matrix im Kontext des akademischen Fächerkanons.

Nach Begrüßung durch Roberta Ascarelli (Presidentin des IISG) und Luca Aversano als Projektverantwortlichem eröffnete letzterer mit einem Vortrag zum Thema „Le radici germaniche della musicologia italiana: miti e stereotipi“ die von Markus Engelhardt (DHI Rom), geleitete erste Sektion. Aversano illustrierte die Anfänge und die Spezifika des deutschen Einflusses auf die Entwicklung der italienischen Musikforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei er die Beziehung beider Musikwissenschaften im Lichte eines weitestgehend dialektischen Verhältnisses nationaler Prägungen charakterisierte.

Ludovica Malknecht (Università Europea di Roma) ging in ihrem Beitrag „Musica, popolo e Zeitgeist: rappresentazioni culturali in Luigi Torchi e Thomas Mann“ den nationalen Symbolen in den musikgeschichtlichen und literarischen Narrativen bei Luigi Torchi und Thomas Mann nach, wobei sie den Fokus einerseits auf Torchis Robert Schumann e le sue „Scene tratte dal Faust di Goethe“ (1895), andererseits auf Manns Zauberberg (1924) legte. Als aufschlussreich erwies sich der Vergleich beider Texte vor allem mit Blick auf die Beziehung zwischen der Idee des Volks und der künstlerischen und musikalischen Produktion unter der Vorgabe des spezifischen Zeitgeistes.

Mit der Rezeption Theodor W. Adornos in der Philosophie Giovanni Pianas (1940-2019) und Elio Matassis (1945-2013) befasste sich Giovanni Guanti (Università Roma Tre) in seinem Vortrag „Due casi esemplari dell’oltre – Adorno in Italia: Giovanni Piana ed Elio Matassi“. Piana kann dabei ebenso als reichlich anachronistischer Sachwalter des Hegelschen Erbes gelesen werden wie als dessen philosophische und musikologische Weiterführung, Nachfolge und zeitgemäße Interpretation. Bei Matassi hingegen überwiegt neben der offen kritischen Haltung gegenüber Adorno dessen geistreiche Revision und Umdeutung unter der Prämisse eines neuen Ideals des bewussten Musikhörens und der musikalischen Unterweisung.

Über „Le fonti musicali italiane in Germania: percorsi di ricerca“ sprach Bianca Maria Antolini (Accademia di Santa Cecilia di Roma). Sie ging auf wichtige Sammlungen italienischer Musik in Deutschland ein und auf die in Rom tätigen Musiksammler August Kestner, Ludwig Landsberg und Fortunato Santini. Deren Sammlungen befinden sich heute in Hannover, Berlin und Münster und sind reich an Drucken und Manuskripten aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Die für sie grundlegenden Motive und Ziele zu rekonstruieren, kann laut Antolini wesentlich zur Definition von Forschungsanliegen zur Musikhistoriografie des 19. Jahhrunderts beitragen, deren Selbstverständnis vor allem in der Sicherung von Quellen und ihrer Exegese als essentiellem Bestandteil von Geschichtsschreibung zu sehen sei. Über das Zusammentragen von Quellen hinaus seien die Sammler an deren Ausführung und Übertragung in wissenschaftlich-kritischen Ausgaben interessiert gewesen, was den Dialog zwischen der italienischen und deutschen Musikwissenschaft in hohem Maße angeregt habe.

Musikgeschichtsschreibung bildete den roten Faden der den zweiten Kongresstag eröffnenden, von Antonio Rostagno geleiteten Sektion, die Sabine Meine (Universität Paderborn) mit einem Beitrag über „Vecchi e nuovi maestri. Trasfigurazioni del Rinascimento nella vita musicale romana del tardo XIX secolo e il loro influsso sulla storiografia musicale del tempo“ eröffnete. Für die deutsche Künstlerkolonie in Rom, so zeigten ihre Forschungen zum Musiksalon der Nadine Helbig, seien die Namen Bach und Palestrina von zentraler Bedeutung gewesen, Sie hätten aber in nicht geringerem Maße überhaupt die kulturellen Austauschbeziehungen zwischen Italien und Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt. Beide Länder hätten in deren Zeichen zu einer explizit übernationalen gemeinsamen Teilnahme an einer musikalischen, poetischen, religiösen und vergangenheitsorientierten „Aristokratie des Geistes“ zusammengefunden – und dies wenigstens bis 1870/71 im Widerspruch zu einer klaren Entzweiung der beiden Kulturen.

Giuseppina Crescenzo (Goethe-Universität Frankfurt am Main) reflektierte in ihrem Beitag „La ‘Neapolitanische Schule’ agli albori della musicologia tedesca: da August Wilhelm Ambros a Hermann Abert“ die internationale Debatte zu den „Schulen“ der europäischen Musik sowie zu deren Potential mit Blick auf eine nationale und städtische Musikidentität. Dabei ging sie auch der Frage nach, inwieweit die Anfänge der Musikwissenschaft mit der Schaffung eines „neapolitanischen“ Schulbegriffs zusammenhängen. Sie zeichnete die historische Entwicklung nach, innerhalb derer die im frühen 19. Jahrhundert entstehende deutsche Musikwissenschaft zu diesen Zusammenhängen beigetragen hat.

Wie die vielfältigen Beziehungen zwischen der deutschen und italienischen Musiktheorie in der Musikgeschichtsschreibung von Carl Dahlhaus wirkten, interessierte Carolin Krahn (Universität Wien) in ihrem Beitrag „Creare rapporti, tracciare confini: la teoria musicale tra Germania e Italia nella storiografia di Carl Dahlhaus“. Krahn ging dabei verschiedenen Argumentationsstrategien nach und zeigte auch widersprüchliche Analysen in den Schriften des deutschen Musikologen auf, der einerseits der Meinung war, dass seit den Zeiten eines Tartini und Padre Martini die italienische Musiktheorie keinen Einfluss nördlich der Alpen gehabt habe, der jedoch andererseits die Bedeutung eines Diruta, Banchieri oder Zacconi für Johann Joseph Fux unterstrichen und Zarlino als Inbegriff einer international ausstrahlenden Musikautorität italienischer Provenienz anerkannt habe.

Zum Thema „Percezione e fortuna del Lied romantico nella musicologia italiana“ würdigte Matteo Giuggioli (Goethe-Universität Frankfurt am Main) die italienischen Studien der 1960er Jahre zum Lied der deutschen Romantik. Die Resonanz des deutschen Kunstliedes in der italienischen Musikwissenschaft nach 1960 sei, so Giuggioli, beachtlich gewesen und diese habe hierzu auch äußerst ideenreiche und orginielle musikhistorigrafische und analytische Forschungsbeiträge geliefert.

Sabine Ehrmann-Herfort (DHI Rom) ließ zu Beginn der Nachmittagssitzung die Geschichte der Musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom als internationale Plattform für musikwissenschaftliche Forschung Revue passieren („La Sezione Storia della Musica dell’Istituto Storico Germanico di Roma – un ponte tra la musicologia italiana e tedesca“). Seit ihrer Gründung 1960, so Ehrmann-Herfort, verstehe sich diese Arbeitsstelle mit ihrer für die internationale Italienforschung einzigartigen Bibliothek als Schnittstelle zwischen den Wissenschaftskulturen. Ihre Geschichte habe sich quasi parallel zur italienischen Musikwissenschaft entwickelt; sie habe ihre Forschungsfelder im Rahmen eines dynamischen, international und interdisziplinär geprägten Austauschs zwischen italienischer und deutscher Musikwissenschaft auf- und ausgebaut. Von besonderer Bedeutung sei ihr Beitrag zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Pietro Cavallotti (Università degli Studi di Torino) befasste sich in „La Scuola di Darmstadt nelle intersezioni tra musicologia tedesca e italiana“ mit der Wirkung der seriellen Musik der Darmstädter Schule in Italien. Im Mittelpunkt standen die Adorno-Rezeption bei Mario Bortolotto und die Revisionen des Bildes vom Serialismus, wie sie das deutsch-italienische Projekt von Gianmario Borio und Hermann Danuser geleistet habe.

Giada Viviani (Università Roma Tre) beschloss die Sektion mit einem Überblick aus deutsch-italienischer Perspektive zum Status quo der Disziplin. Ihr Beitrag „Orizzonti italo-tedeschi nella ricerca digitale. Storia e prospettive“ widmete sich der Rolle der digitalen Technologien in der musikwissenschaftlichen Forschung und in den entsprechenden aktuellen Debatten auf europäischer Ebene.

Wie sich auch noch einmal in der Schlussdiskussion bestätigte, erwies sich der Gedankenaustausch im Istituto Italiano di Studi Germanici di Villa Sciarra als äußerst stimulierend und der Vorschlag Luca Aversanos, zur Intensivierung des deutsch-italienischen Forschungsdialogs die Publikation eines Tagungsberichts in Angriff zu nehmen, fand allgemein großen Zuspruch.