Stellungnahme zur Situation von befristet angestellten und verbeamteten Wissenschaftler:innen während der Corona-Pandemie

Die Gesellschaft für Medienwissenschaft und die unterstützenden Fachgesellschaften weisen mit Nachdruck darauf hin, dass die aktuellen Belastungen durch die Corona-Pandemie gerade für die große Mehrheit der befristet beschäftigten wie auch befristet verbeamteten Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler_innen eine besondere Benachteiligung darstellen. Angesichts der Gefährdung durch das Corona-Virus musste der universitäre Betrieb in Lehre, Forschung und (Selbst-)Verwaltung auf digitale Medien und Homeoffice umgestellt werden. Die technische Infrastruktur von digitalen Geräten über Breitbandzugänge bis zu Recherchemöglichkeiten wurde und wird dafür nur sehr eingeschränkt, auch mit großen regionalen Unterschieden zur Verfügung gestellt. Der notwendige wissenschaftliche Austausch und die Vernetzung sind davon ebenso negativ betroffen wie Forschungsaufenthalte im In- und Ausland. Kranken- und Kinderbetreuungen schränken die verfügbare Arbeitszeit teils radikal ein. Eltern, Frauen* und Wissenschaftler_innen in Qualifizierungsphasen sind davon überproportional betroffen.

Die Bundesregierung hat dies teilweise erkannt: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat mit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) die Möglichkeit geschaffen, befristete Beschäftigungsverhältnisse um 6–12 Monate zu verlängern. Es ist abzusehen, dass die Belas- tungen bis mindestens Ende 2021 anhalten werden, so dass erneute Verlängerungen dringend geboten sind. Für alle diese formal möglichen Verlängerungen steht jedoch angesichts der mangelnden Grundfinanzierung der Universitäten in der großen Mehrzahl keine Finanzierung zur Verfügung. Möglichkeiten der erneuten Verlängerung von Beschäftigungsverhältnissen durch einzelne Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sind hilfreich und wir begrüßen dies ausdrücklich, jedoch stehen in der Mehrzahl der Fälle auch diese nicht zur Ver- fügung. Die Verlängerung befristeter Verbeamtungen (z.B. bei Juniorprofessuren) und von Stipendien ist zudem nicht einheitlich geregelt. Die vorgesehenen Verlängerungen finden daher in vielen Fällen schlicht nicht statt. Die Kommunikation auf Länderebene ist zudem vielfach intransparent. Viele Universitäten und Hochschulen verschließen die Augen vor den zusätzlichen Kosten und wälzen diese auf unterfinanzierte Fachbereiche bzw. Institute ab. Dort, wo Verlängerungen prinzipiell in Aussicht gestellt werden, sind oft aufwändige Antragsprozesse mit zum Teil unklaren Begründungsanforderungen vorgesehen. Die Gleichbe- handlung vor dem WissZeitVG wird damit zu einem Glücksspiel.

Aus diesem Grund appellieren wir an Bund und Länder, die Verlängerung der Befristung gemäß WissZeitVG erneut zu beschließen, klare Regelungen für die Verlängerung von 

Verbeamtungen auf Zeit zu treffen und eine finanzielle Absicherung dieser Maßnahmen zu gewährleisten. Es ist zudem bereits absehbar, dass sich die aktuelle Situation auch perspektivisch nachteilig auf einen wesentlichen Teil wissenschaftlicher Lebensläufe auswirkt: Für pan- demiebedingt verzögerte Befristungs- und Qualifikationszeiten müssen überall dort hochschul- und länderübergreifend verbindliche Ausgleichsregelungen gefunden werden, wo diese Zeiten eine Entscheidungsgrundlage bilden, etwa in Bewerbungsverfahren mit Ausschlussfristen oder bei befristeter Neueinstellung nach WissZeitVG. Wir schließen uns dabei insbesondere dem Diskussionspapier des Verbands Deutscher Kunsthistoriker an, der einen ausdifferenzierten Maßnahmenkatalog aufführt.

Ebenso appellieren wir an Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen, die sinnvollen Maßnahmen der vergangenen Monate fortzusetzen und auszubauen. So müssen Universitäten flexible Formen des mobilen Arbeitens, Forschens, Prüfens und Lehrens ermöglichen, die nicht nur zur Beschränkung von Kontakten zielführend sind, sondern Wissenschaftler_innen auch mit Blick auf die zeitlichen Mehraufwendungen und vielfältigen Arbeitsmehrbelastungen ent- gegenkommen. Angesichts des erheblichen Mehraufwands für die Lehre müssen Lehrdeputate, vor allem auf Hochdeputatsstellen, reduziert werden. Viele Bundesländer und Einrichtungen haben zudem Mittel für Hard- und Softwarebeschaffung bereitgestellt: Aber immer noch müssen die meisten Anschaffungen für die nach Zuhause verlagerten Arbeitsplätze privat von den prekär Beschäftigten vorgenommen werden. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.

Schließlich appellieren wir an alle Beteiligten in der Hochschulpolitik und im Wissenschaftsbetrieb, die Befristungs- und Beschäftigungspraxis angesichts dieser besonderen Situation grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Es ist abzusehen, dass auch mit den beschriebenen Maßnahmen die Belastungen, die die Arbeitsbedingungen und damit die Beschäftigungsaussichten von sogenannten Nachwuchswissenschaftler_innen einschränken, ungerecht verteilt bleiben werden. Die zu Recht viel kritisierte Prekarität der meisten Beschäftigungen im Wis- senschaftsbetrieb wird durch die aktuelle Situation erheblich verschärft und besonders deutlich sichtbar, aber nicht erst geschaffen.

09.03.2021, aktualisiert am 18.03.2021
Gesellschaft für Medienwissenschaft

Diese Stellungnahme unterstützen

Verband Deutscher Kunsthistoriker
Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands
Gesellschaft für Theaterwissenschaft
Deutsche Gesellschaft für Volkskunde
Kulturwissenschaftliche Gesellschaft
Deutscher Anglistenverband
Gesellschaft für Musikforschung
Fachgesellschaft Geschlechterstudien/ Gender Studies Association
Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Digital Humanities im Deutschsprachigen Raum
Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien
Deutsche Gesellschaft für Philosophie
Gesellschaft für Hochschulgermanistik im Deutschen Germanistenverband
Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (ergänzt am 18.03.2021)
Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik (ergänzt am 18.03.2021)