„Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen – Gattungen, Werke, Kontexte“

Lübeck, 25.-27.11.2011

Von Andrea Hammes, Lübeck – 22.02.2012 | Vor 250 Jahren wurde in Lübeck der Komponist Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen geboren. Zur Würdigung des Jubiläums fand an der Musikhochschule Lübeck vom 25. bis 27. November 2011 eine unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann (Berlin, ehemals Lübeck) und PD Dr. Christiane Wiesenfeldt (Hamburg) stehende internationale Tagung statt. Der Fokus der Veranstaltung wurde dabei, dem Veranstaltungsort Musikhochschule angemessen, weniger auf biographische Details aus dem Leben des späteren dänischen Hofkapellmeisters, als vielmehr auf seine Werke gerichtet. Die Referate beschäftigten sich demnach mit den verschiedenen von Kunzen bedienten musikalischen Gattungen und einzelnen Beispielwerken, stellten aber immer wieder auch die Frage nach den Gründen für den ausgebliebenen Nachruhm dieses originellen und technisch ausgesprochen versierten Komponisten.

Der Freitagabend war als informative Veranstaltung für die interessierte Öffentlichkeit konzipiert: Neben einem von Melanie Wald-Fuhrmann moderierten Gesprächskonzert mit Studierenden der Hochschule und einer von einer Lübecker Schulklasse erarbeiteten Ausstellung sollten zwei einführende Vorträge von Prof. Dr. Heinrich W. Schwab (Kopenhagen) und Arndt Schnoor (Lübeck) ein breiteres Publikum mit der Figur Kunzens und seinem Nachleben vertraut machen.

Während Prof. Dr. Arnfried Edler (Hannover) zu Beginn des ersten Tagungstages Kunzens Klaviermusik vorstellte und dabei besonders auf die herausragende c-Moll-Sonate einging, schlug schon der zweite Vortrag den Bogen zur großformatigen Orchestermusik: Prof. Dr. Siegfried Oechsle (Kiel) stellte Kunzens g-Moll Sinfonie in den übergreifenden Gattungskontext der g-Moll-Sinfonien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auf Grundlage der Ouvertüren Kunzens fragte PD Dr. Stefan Keym (Leipzig) anhand zeitgenössischer theoretischer Traktate nach einem möglichen musikalischen Kulturtransfer vom süd- in den norddeutschen Raum. Der Beitrag F. L. Ae. Kunzen’s incidental music for the Danish stage. Innovations and transnational inspirations von Dr. Jens Hesselager (Kopenhagen) gab einen Überblick über Kunzens noch kaum aufgearbeitete Schauspielmusiken. Dazu schlug Hesselager eine grundlegende Dreiteilung in Chormusik, Hybrid- und Schauspielmusiken mit neuen Trends (etwa dem Orientalismus) vor.

Prof. Dr. Cristina Urchueguía (Bern) und Melanie Wald-Fuhrmann widmeten sich schließlich zwei vokalen Gattungen: Urchueguía stellte am Beispiel von Kunzens Singspiel „Die Weinlese“ vor allem anhand der Unterschiede der Textbücher der zwei Fassungen (1808 und 1813) den neuen Typus eines postrevolutionären „Singspiels der modernen Ökonomie“ zur Debatte. Die Kernzeit von Kunzens Liedschaffen stellen die Jahre 1786–1794 dar. Wald-Fuhrmann verstand ihr aufschlussreiches Referat als Überblick über Kunzens Schaffen in diesem Gebiet. Neben einer Tendenz zur Dramatisierung des Lyrischen und einer Wendung zum Enzyklopädischen (Veröffentlichung von Sammlungen) verwies sie besonders auf Kunzens gleichsam „doppeltes Liedideal“ der Volksweisen und lyrischen Gesänge.

Neben einer Einführung in die Thematik der spezifisch für Frauen geschriebenen Kompositionen des 18. Jahrhunderts – die Kunzen mit zwei in Kopenhagen veröffentlichten Sammlungen bediente – nahm PD Dr. Wolfgang Fuhrmann (Wien) in seinem Vortrag besonders Kunzens „Musikalische Neujahrsgabe für das schöne Geschlecht“ in den Blick und versuchte anhand des Poco adagio in F-Dur den für solche Kompositionen recht typischen ästhetischen Parametern Einfachheit und Empfindsamkeit auf die Spur zu kommen.

In den ersten Vorträgen des letzten Symposiumstages wurde Kunzens Chormusik gewürdigt. Prof. Dr. Joachim Kremer (Stuttgart) erläuterte anhand der „Kantate zum Jahrhundertwechsel“ den vollzogenen Wechsel der Funeral- zur Gedenkmusik. Neue Fragen nach typischen Klagetopoi am Ende des 18. Jahrhunderts seien wegen dieses Wandels anhand von weiterführenden Vergleichen herauszuarbeiten. Kunzens Oratorium „Lazarus oder die Feier der Auferstehung“ wurde von Prof. Dr. Andreas Waczkat (Göttingen) schließlich im Kontext von August Hermann Niemeyers zeitgenössischen drei Kategorien religiösen Textschreibens als vermischtes religiöses Singspiel eingeordnet.

Im letzten Vortrag weitete Christiane Wiesenfeldt abschließend den Blick über den reinen Werkhorizont hinaus und stellte mögliche Gründe für die mangelnde Rezeption des „zwischen die Maschen der Musikgeschichtsschreibung“ gefallenen Kunzen im 19. Jahrhundert vor.

Die Referate boten in ihrem breiten Spektrum mit der Fokussierung auf je eine Gattung einen guten Überblick über das gesamte Schaffen eines fast vergessenen Komponisten. Sie zeigten aber auch die Schwierigkeiten fehlender Grundlagenforschung und nur mangelhafter Quellenerschließung auf: Oft konnten wegen nicht vorhandener Noten und Aufnahmen die konkreten Werke Kunzens nur oberflächlich besprochen werden.

Die zeitnahe Veröffentlichung der Beiträge in einem Tagungsbericht ist geplant. Am 15. März sendet SWR2 ab 15.05 Uhr einen einstündigen Bericht über die Tagung (weitere Informationen unter www.kunzen2011.de).