Musik am Mittelrhein – wissenschaftliche Tagung aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft für Mittelrheinische Musikgeschichte e.V.

Mainz, 29.10.2011

Von Jonathan Gammert, Mainz – 24.01.2012 | Die Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte e.V. wurde 1961 von Adam Gottron und Franz Bösken gegründet und zählt die Erforschung der Musikgeschichte des Mittelrheingebiets, die Erhaltung und Erschließung der Musikdenkmäler dieses Raumes und die Sammlung und Edition von Dokumenten zum mittelrheinischen Musikleben zu ihren Aufgaben. Am Samstag, den 29. Oktober 2011 fand im Musikwissenschaftlichen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft die Tagung Musik am Mittelrhein statt, welche von Axel Beer (Mainz), dem ersten Vorsitzenden, geleitet wurde. Die Auswahl der Beiträge sollte – durchaus jubiläumstypisch – einen Überblick darüber geben, welche Fragen zur mittelrheinischen Musikgeschichte in der Vergangenheit bereits angegangen oder beantwortet wurden und welche nicht. Der Aspekt von Rück- und Vorschau diente als lockerer übergeordneter Rahmen für thematisch äußerst vielseitige Referate, die so – wie auch die Einführung von Axel Beer – die Gefahren ermüdend pathetischer Festworte geschickt umgingen.

Der erste Beitrag Höfische Musik am Mittelrhein – ein Überblick von Uwe Baur (Koblenz) fasste kursorisch den Forschungsstand zu Musik an Höfen der Mittelrheinregion zusammen. Der zeitliche Rahmen für die Betrachtung wurde durch die Eckdaten von 30-jährigem Krieg und Wiener Kongress abgesteckt. Einerseits wurde auf größere Höfe wie Wiesbaden, Darmstadt, Koblenz und die Bistümer Mainz und Trier eingegangen, andererseits befasste sich der Referent mit kleineren Residenzen der Region so z.B. Weilburg, Biebrich, Zweibrücken und Neuwied. Der Blick auf die Institutionen zeigte das Bild einer vielseitigen Kulturregion, die mit einigen Besonderheiten aufwartet. Die verschiedenen Hofkapellen des geographisch relativ kleinen Gebietes unterlagen in der Geschichte ausgesprochen unterschiedlichen Bedingungen, so ergaben sich z.B. durch die Erbfolge an den weltlichen Höfen im Gegensatz zu den Bistümern ganz andere Ausgangsbedingungen für die jeweiligen Ensembles. Uwe Baur benannte auch Desiderate zum Thema, er verwies beispielsweise auf das Fehlen umfassender Forschungsarbeiten zur Militärmusik der Region wie auch zu den Residenzen in Trier und Neuwied.
Der zweite Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Günther Wagner (Mainz), widmete sich unter dem Titel Friedrich Hugo von Dalberg und das Lied im 18. Jahrhundert dem Liedschaffen eines einzelnen Komponisten. Er stellte einige der ausgesprochen interessanten Kompositionen Dalbergs am Flügel vor. Der Feststellung, dem wenig beachteten Meister sei ein achtbarer Platz als Liedkomponist zuzuweisen, ist sicherlich zuzustimmen. Der Referent selbst hat mit seiner Publikation Lieder Mainzer Komponisten der Goethezeit einen wichtigen Beitrag in dieser Richtung vorgelegt. Günther Wagners Vortrag bot gleichermaßen einen Einblick in das Oeuvre eines weithin unbekannten Meisters wie auch den Versuch einer Einordnung. Der Mainzer Komponist sei in dem Spannungsfeld zwischen alltäglicher, bürgerlicher Musizierkultur einerseits und eigenständigem künstlerischen Schaffen andererseits zu verorten. Ob und inwieweit ihm eine Mittlerrolle zwischen süd- und norddeutscher Liedtradition zukomme, wurde zwar nicht beantwortet, ist aber eine Frage, der weiterhin nachgegangen werden könnte.
Klaus Pietschmann (Mainz) referierte Zum Opernrepertoire des Mainzer Nationaltheaters, welches zwischen November 1788 und Juli 1792 bestand. In diesen knapp vier Jahren fungierte die Bühne als bedeutender Umschlagplatz für französisches und italienisches Opernrepertoire und war oftmals Ausgangspunkt einer großflächigeren deutschen Rezeption. Die Mainzer Bühne besetzte somit gewissermaßen eine Nische, wobei die Zahl von Uraufführungen erstaunlich gering war, diejenige von noch sehr neuen Werken hingegen auffällig hoch. Genauer zu beleuchten seien in diesem Zusammenhang die engen Verbindungen zwischen Mainz und Wien sowie die Rolle des Mainzer Nationaltheaters für das Singspiel.
Ursula Kramer (Mainz) widmete sich unter dem Titel Wenn der Raum zum Problem wird. Theater mit Musik in Darmstadt um 1900 dem Darmstädter Theatermaler Kurt Kempin und einem Nachvollzug seiner Verbindung zu dem Projekt einer ,Erneuerung des Theaters‘ durch die Künstler der Mathildenhöhe. Im Rahmen des Vortrags wurden auch Bühnenbildentwürfe des Künstlers präsentiert, die die Referentin jüngst für die Stadt Darmstadt ersteigern konnte. Ursula Kramer führte am Beispiel der Schauspielmusik zu Goethes Faust von Eduard Lassen die ästhetische Divergenz zwischen einer zutiefst romantischen Komposition und einer modernen Ausstattung des Bühnenraums aus. Sie ging außerdem der Verbindungen von Schauspielmusik für Sprechtheater zu der Idee des Gesamtkunstwerks nach und wählte somit ein Beispiel, durch das Rückschlüsse auf wesentliche Veränderungen in der Bewertung der Schauspielmusik zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich waren.
Gabriele Krombach (Mainz) stellte die Untersuchung eines Einzelwerks vor: Vincenzo Righinis Krönungsmesse. Das Werk, komponiert aus Anlass der Krönung Leopolds II. in Frankfurt 1790, wurde auf musikalische Parameter vor der Hintergrundfolie zeittypischer Messkompositionen und seiner politischen wie religiösen Funktion hin untersucht, wobei dieses ,Typische‘ mangels vergleichbarer Kompositionen schwer zu fassen ist.
Bert Hagels (Berlin) stellte sich dem Thema Sinfonik am Mittelrhein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unter diesem Aspekt spielt wiederum ein historisch-geographisches Spezifikum der Mittelrhein-Region eine große Rolle, das jähe Ende der vormals bestehenden Kulturlandschaft durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Die politischen Hintergründe der gerade im Blick auf Mainz recht ungewöhnlich erscheinenden Repertoirebildung und ﷓pflege wurden deutlich.
Einige Betrachtungen zur Orgelmusik der letzten 50 Jahre in Rheinland-Pfalz stellte Jürgen Blume (Offenbach) vor. Anhand ausgewählter Kompositionen von Hermann Schröder, Heino Schubert, Theo Brandmüller, Burkhard Eckdorf, Jutta Bitsch und Volker David Kirchner sowie des Referenten selbst ging Jürgen Blume der Frage nach, inwieweit verbindende Momente zu finden sind. Auffällig sei dabei, dass keine wirklich avantgardistischen Werke in der Region komponiert wurden, alle wiesen einen mehr oder minder starken, jedoch stets deutlichen Traditionsbezug auf. Inwiefern man von einer regionalen Tradition sprechen könne, sei zu hinterfragen, jedoch wirkten sich gemeinsame Rahmenbedingungen durchaus auf die Kompositionen aus: so zum Beispiel das Fehlen großer Konzertorgeln im Land und die damit verbundene Konzentration auf den Aufführungsort Kirche.
Der letzte Vortrag rekurrierte am deutlichsten auf den Anlass der Tagung. Hubert Unverricht (Mainz) referierte unter dem Titel Die Breslauer Tradition in der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte und befasste sich mit Arno Schmitz, dem ersten Lehrstuhlinhaber des Mainzer musikwissenschaftlichen Instituts, und seiner Rolle für die regionale Musikforschung in Mainz. Als eine der Wurzeln der Arbeitsgemeinschaft für Mittelrheinische Musikgeschichte wurde der Weg einer Idee von Bonn und damit dem Einfluss Ludwig Schiedermairs, dem Begründer der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte, über Breslau nach Mainz nachgezeichnet. Auch wenn Arno Schmitz selbst nach seiner Breslauer Zeit keine Beiträge zu einer regionalen Musikgeschichtsforschung mehr vorlegt habe, komme ihm doch eine wesentliche Rolle in der Anbindung der Thematik an das Mainzer Institut zu.
Der Übergang zwischen dem letzten Vortrag und einer Abschlussdiskussion mit Schlusswort-Charakter gestaltete sich fließend. Hubert Unverricht verwies gegen Ende noch auf das offensichtliche Spannungsverhältnis zwischen den Gegebenheiten einer globalisierten Welt und dem, auf den ersten Blick etwas angestaubten Image regionaler Forschung. Eben hier ist das zu finden, was man von der Tagung insgesamt mitnehmen möchte: die Rückbindung der ,großen‘ Geschichte an die ,kleine‘, das Bewusstsein für und die notwendige Kenntnis über bestimmte Gegebenheiten und Spezifika. Eben hierbei stellt die regionale Forschung ein gewinnbringendes Betätigungsfeld dar, das, geringen Teilnehmerzahlen zum Trotz, nichts an Attraktivität verloren hat. Die Tagungsbeiträge sollen in Kürze in einem Sonderheft der Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft erscheinen.