„Intermedialität von Bild und Musik"

Mainz, 26.-28.04.2012

Von Monique Hoffmann, Mainz – 11.06.2012 | Die enge Verwandtschaft zwischen Musik und Bildkunst bei gleichzeitiger grundsätzlicher Differenz war spätestens seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert Anlass einer vielfältigen kunsttheoretischen wie künstlerischen Auseinandersetzung. Das dreitägige Symposium unter dem Titel „Intermedialität von Bild und Musik" verfolgte – als Kooperation zwischen dem Musikwissenschaftlichen Institut und dem Institut für Kunstgeschichte der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität in Zusammenarbeit mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz – nicht nur die Absicht einer Diskussion der vielschichtigen Thematik, die über die jeweilige Fachrichtung hinausgehen sollte, sondern auch dezidiert die Intention einer Verflechtung. Die Themen des Symposiums, in zwei Sektionen gegliedert, behandelten im ersten Teil die Intermedialität von Bild und Musik in der Frühen Neuzeit, bevor im zweiten Teil der Blick auf die Moderne und Gegenwart gelenkt wurde. Gemäß dem interdisziplinären Charakter der Tagung wurden die thematischen Inhalte zu etwa gleichen Teilen von Kunsthistorikern und Musikwissenschaftlern diskutiert, wobei jedem Vortrag eine Response aus Sicht der jeweils anderen Disziplin nachgestellt war.

Die Eingangs-Statements der Veranstalter Klaus Pietschmann, Elisabeth Oy-Marra, Martin Zenck und Gregor Wedekind stellten den abgesteckten Rahmen vor und führten einige grundlegende Fragestellungen vor Augen. So war eine Problematik, die auch im Laufe der Veranstaltung wiederholt hervorgehoben wurde, die Selbstbegründbarkeit des einzelnen Mediums. So wurde etwa in die frühneuzeitliche Paragone-Debatte eine Auseinandersetzung mit der Musik einbezogen und dabei die Möglichkeit von deren produktiver Teilhabe an einer Selbstvergewisserung der Malerei erörtert. Einige weitere Fragestellungen galten der Aktualität verwendeter Begrifflichkeiten, der Generierung neuer Termini, den Möglichkeiten struktureller Konvergenzen oder eines Tertium Comparationis für eine fruchtbare Diskussion im Bereich eines „Dazwischen".

In einem ersten Vortrag veranschaulichte Elisabeth Oy-Marra (Mainz) die Anzeichen einer Tendenz, Musik im Bild vorstellbar zu machen, an mehreren Beispielen der Malerei des späten 16. und 17. Jahrhunderts. Ausgehend v.a. von der „Lautenspielerin" von Oratio Gentileschi (ca. 1617) und Caravaggios „Lautenspieler" (1595/96) – möglicherweise ein Vorbild für Gentileschis Gemälde – wurden Strategien der Simulation des Hörens als Synergien von Auge und Ohr im Rahmen einer Positionsbestimmung der beiden Sinne und ihrer Bedeutung im Kontext der Zeit beleuchtet. Hier spielt die Frage nach den Darstellungsmöglichkeiten von Tönen in Bildern sowie der Visualisierung der Sinne allgemein – etwa in den verbreiteten „5-Sinne-Zyklen" eine Rolle. Die Respondentin Melanie Wald-Fuhrmann (Berlin) stellte darüber hinaus Aspekte affektiver Beteiligung, das den Bildern inhärente Spiel mit dem Hören und der Stille sowie speziell bei Gentileschi die Freisetzung von Imaginationskräften der Musik abseits der Bedeutsamkeit eines Musiknotats durch einen introspektiven Blick heraus. Musiknotate standen danach im Zentrum des Vortrags von Klaus Pietschmann (Mainz) bzw. seiner Respondentin Claudia Bertling Biaggini (Zürich). In welcher Weise die Musiknotate als integrale Bildbestandteile mit dem Bild (und seinen anderen Bestandteilen) interagieren, welche Bedeutung der Darstellung einer Komposition zukommt, beispielsweise als Handlungsanweisung zur praktischen bzw. imaginierten Aktualisierung der dargestellten Musik oder als semantische Verschränkung, wurde einerseits am besonderen Fall von Carpaccios „Vision des Hl. Antonius" (als Reaktion auf die Diskussionen an der venezianischen Scuola di San Giorgio degli Schiavoni zur gottesdienstlichen Musikpraxis), andererseits anhand der sog. Bildmotetten – als zeitspezifisches Phänomen der Gegenreformation – nachvollzogen. Diese Stiche des späteren 16. Jahrhunderts, die biblische Themen mit Musikbezug beinhalten, wie auch die „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" von Caravaggio wurden ferner als Modelle zur Veranschaulichung der performativen Einbringung von Notaten in das Bildgeschehen (z.B. durch musizierende Engel) interpretiert. Andrea Gottdang (Salzburg) widmete sich zusammen mit Thorsten Hindrichs (Mainz) dem sog. Bußpsalmenkodex (auch Mielich-Kodex). Diese prachtvolle Handschrift aus dem Besitz Albrechts V. von Bayern entstand in der Zeit von etwa 1558 bis 1570 als intermediales Projekt von Orlando di Lasso und Hans Mielich. Nach Erläuterung der allgemeinen Seitenanordnung mit den unterschiedlichen Zeichensystemen des Bildes, der Schrift, der Notation und der Verteilung der Notenfelder bzw. der Miniaturen innerhalb eines Folios wurden verbindende Elemente von Bild zu (Noten-)Text diskutiert sowie eine den Noten immanente übergeordnete Symbolhaftigkeit herausgestellt. Daraus resultierte eine andere, neue Funktion der Musik, nämlich die eines allegorischen Sachverhalts, der über den konkreten textlichen und bildlichen Kontext hinausweist.
In seinem Abendvortrag „Imaginarien der Evokation – Gemalte Musik" behandelte Klaus Krüger (Berlin) anhand von venezianischen Männerbildnissen der Renaissance die mediale Differenz zwischen Musik und Malerei. Hier stand die Frage im Vordergrund, wie es der Malerei gelingt, im Hinblick auf die Flüchtigkeit, die Immaterialität, die der Musik a priori innewohnen, Klang auszudrücken bzw. visuell zu evozieren. Ferner sei eine imaginäre Potenzialität von Affekten darstellbar geworden, eine geistige Partizipation, die dem Betrachter suggeriert wird und sich in der stummen Vorstellung des Gesangs kondensiert.
Katelijne Schiltz (München) nahm Rätselkompositionen in den Blick und interpretierte u.a. Adam Gumpelzhaimers Kreuzkanon „Crux Christi" (1595) und Ulrich Brätels Zirkelkomposition „Ecce quam bonum" als „Augenmusik", die – musikalischen Kalligrammen gleich – in optisch wie musikalisch ansprechender Form weniger die Intention einer Aufführung, sondern vielmehr die eines „silent reading", zum Ziele eines progressiven Erkenntnisgewinns verfolgten. Matthias Müller (Mainz) wies in seiner Response auf die Chiffrenhaftigkeit der Notation hin, die durch die Räumlichkeit der bildlichen Darstellung noch verstärkt wird und durch ihre Visualität und Ikonizität den Charakter eines Erinnerungsbildes erhält. Im darauf folgenden Referat widmete sich Nicole Schwindt (Trossingen) den visuellen Komponenten der Aufführungspraxis, der Sichtbarkeit bzw. optischen Präsentation sowie der Körpersprache von Musikern, die sich regelrecht zu einem Bildtopos entwickelten und die Haltung und Mimik im Sinne einer Beziehung zwischen Ausführendem und Rezipienten verstanden. Björn Tammen betonte darauf die sensorischen Interferenzen sowie die Sinnesqualität des „tactus", die bei diesem Bildtopos zutage treten und akzentuierte, dass bei der Konzipierung der Musik die habituelle Dimension berücksichtigt worden sei. Dietrich Erben (München) zeigte anhand von Bildbeispielen aus dem 18. Jahrhundert (beispielsweise der „Auffindung des Moses" von Giambattista Tiepolo), wie sich in der Malerei des 18. Jahrhunderts ein Kanon an klassischer Malkunst, eine Verfügbarkeit von bestimmten Bildtopoi entwickelt hat, auf welche in der Folge rekurriert wurde und die aktualisiert und in neue Kontexte überführt werden konnten. In diesem Übergang von der frühneuzeitlichen Mimesis mit ihren Überbietungsstrategien hin zu einem Repertoiregedanken, der "rappresentazione" kanonisierter ikonographischer und musikalischer Traditionen/Vorbilder, die sich primär als Ein- und Aufarbeitung versteht, sah er eine wichtige Parallele zu der gleichzeitigen Ausprägung eines musikalischen Kanons älterer Musik, wie er in den Concerts spirituels oder der Academy of ancient Music praktiziert wurde. Inga Mai Groote (Zürich) präzisierte diese Darstellung einer Intermedialität in der Analogie der Kanonisierungsformen noch durch weitere Beispiele, etwa durch zeitgenössische Bewertungslisten, die repräsentativ die Bekanntheit von Malern und Musikern veranschaulichen sollten.

Den Anfang der zweiten Sektion „Intermedialität von Bild und Musik in der Moderne und Gegenwart" machten Karl Schawelka (Weimar) und Martin Kaltenecker (Paris), die die Malerei der Romantik und ihre Beziehungen zur Musik in den Blick nahmen. Besonders interessierten hier die Versuche zur Wiederherstellung der einstigen Bedeutsamkeit von Bild- und musikalischen Werken: eine „Reauratisierung" sollte den Verlust polysensorieller Erfahrungen (als Folge u.a. der neuen Praxis der schweigenden Kunstbetrachtung um 1800) und des ursprünglichen Funktionszusammenhangs im Zuge der Musealisierungstendenzen der Säkularisierung kompensieren. Arne Stollberg (Bern) führte in seinem Beitrag zu Liszts „Hunnenschlacht" vor Augen, wie mit kompositionstechnischen Mitteln versucht wird, der bildlichen Darstellung gerecht zu werden, und durch die Semantisierung musikalischer Strukturen eine implizite Visualität in der symphonischen Programmmusik stattfindet. So dient eine Bildidee (hier speziell die Lichtphänomene in Kaulbachs Gemälde) als Anregung für die musikalische Verarbeitung durch Motivtransformationen und nicht durch synästhetische oder tonmalerische Mittel. Christine Tauber (München) ging in ihrer Response auf den Maler Wilhelm von Kaulbach ein, der vergleichbare Verfahren wie etwa vielfältige stilistische Übernahmen anwandte. Im nächsten Vortrag sprach Friedemann Kreuder (Mainz) über zeitgenössische „Parsifal"-Inszenierungen, wobei er die Verwandlungsmusik im ersten Akt als Schauspielmusik charakterisierte, die mit Brückners Wandeldekoration in eine intermediale Wechselbeziehung eintritt. Stephan Mösch (Bayreuth) verwies in diesem Zusammenhang auf die Vermischung von programmmusikalischen und architektonischen Elementen – wobei hier die Idee von Theaterbildern als Akten (nicht als Werken) im Vordergrund stand. Kerstin Thomas (Mainz) widmete sich in ihrem Vortrag der Farbe und Stimmung in den Bildern von Paul Cézanne. Ausgehend von seinem Spätwerk, in dem das Motiv des Mont Sainte-Victoire immer wiederkehrt, stellte Thomas die Möglichkeit eines intermedialen Vergleichs zur Musik als sinnvolles Mittel dar, um die paradoxale zeitliche Struktur und Rezeptionshaltung in Cézannes Werken näher zu bestimmen. Ihre Respondentin Gesa zur Nieden (Mainz) nahm Henri Bergsons Zeitbegriff als Ansatz, um die Relation zu zeitgenössischen Verfahrensweisen in der Musik bei Claude Debussy (hier Nr. 9 aus dem ersten Buch der „Préludes": „La sérénade interrompue") herzustellen.

In einem Gesprächskonzert mit dem Titel „Caprichos Goyescos", das im Rahmen des Symposiums stattfand, trug Jürgen Ruck (Hochschule für Musik, Würzburg) neue Kompositionen für Gitarre verschiedener lebender Komponisten nach Goyas gleichnamigen Radierungen (1793–99) vor. In den Kommentaren von Hansjörg Ewert (Institut für Musikforschung, Würzburg) wurden Fragen zum intermedialen Bezugsgeflecht im Netzwerk der Caprichos Goyescos beleuchtet und durch die Betrachtung der a priori intermedial intendierten Kompositionen neue Aspekte im Hinblick auf das Tagungsthema eröffnet.

Im Zentrum des Interesses von Oliver Wieners (Würzburg) und Konstantin Voigts (Würzburg) Koreferat standen die Orchesterprélude „Photoptosis" von Bernd Alois Zimmermann, die, angeregt durch Yves Kleins monumentale monochrome Ausgestaltung im Foyer des Gelsenkirchener Musiktheaters, die enorme Flächigkeit in das Prinzip der Zeitdehnung und der Schichtung überträgt sowie allgemein auf ein breites Assoziationsfeld zu Kleins Werk referiert. Martin Zenck (Würzburg/Mainz) beschäftigte sich mit Paul Klees Konzeption des – in theoretischen Schriften artikulierten – „bildnerischen Denkens" in Verbindung mit dem musikalischen Denken bei Pierre Boulez. Mittels Boulez' Buch „Le pays fertile. Paul Klee" (1989) wurde auf die musikalischen Konsequenzen verwiesen, die sich in einer Auseinandersetzung mit Klees bildnerisch-musikalischem Denken manifestieren und die dezidiert nicht Abbildungs- oder Übersetzungsverhältnisse einzelner Werke bezeichnen, sondern Ansätze für das eigene musikalische Denken und Komponieren generieren. Gregor Wedekind (Mainz) betonte in seiner Response, dass Klees Formenlehre unablösbar mit seinem bildnerischen Werk verbunden und nicht – Kontrapunktlehren gleich – als Regelwerk zu verstehen sei. Eine spezifische Form von Intermedialität, nämlich eine Determinierung der Malerei durch musikalische Mittel, sah er in Klees Gemälde „Ad Parnassum" realisiert. Im letzten Vortrag sprach Kerstin Skrobanek (Ludwigshafen) über „event-scores" – in sogenannten „Fluxkits" enthaltene, auf Papierkarten beschriftete Anleitungen für (vergängliche) Performances – als Paradigma der Intermedia-Produktion in den 60er Jahren. Fluxus-Künstler wie George Brecht oder Robert Watts verfolgten damit eine Abschaffung des auratischen Kunstwerks, des Kunstwerks als Preziose. Die Respondentin Marion Saxer (Lübeck) formulierte die These eines mit den „event-scores" einhergehenden intermedialen Transfers des Werkcharakters durch eine radikale Negation des traditionellen musikalischen Werkbegriffs bei gleichzeitiger Schaffung autarker Werke der bildenden Kunst. Den Ausklang der Tagung bildeten Schlussstatements von Heiko Damm, Dieter Mersch, Laurenz Lütteken und Matteo Nanni. Eine Veröffentlichung der Symposiumsbeiträge ist geplant.