„Le sinfonie di Luigi Boccherini nel contesto della musica strumentale italiana tra Sette e Ottocento"

Ferrara, 05.-07.12.2012

Von Stephanie Klauk, Rom – 21.01.2013 | An der Università degli Studi di Ferrara fand vom 5. bis zum 7. Dezember 2012 eine internationale Tagung zu den Sinfonien von Luigi Boccherini im Kontext der italienischen Instrumentalmusik zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert statt. Sie wurde ausgerichtet von den Universitäten Pavia, Ferrara, Milano und Catania in Zusammenarbeit mit dem Conservatorio „Frescobaldi" di Ferrara, dem Centro Studi Luigi Boccherini, Lucca, und der Asociación Luigi Boccherini, Madrid.

Die Bedeutung Boccherinis für die klassische Instrumentalmusik Europas rückte in den letzten Jahren in der musikwissenschaftlichen Forschung in den Vordergrund. Rezipiert wurden dabei vornehmlich seine Kammermusik bzw. seine Streichquartette und -quintette, während das sinfonische Œuvre weitgehend unbekannt geblieben ist. Diese Forschungslücke zu schließen, war das erklärte Ziel des Veranstalters Marco Mangani, der in- und ausländische Experten zum Thema versammelte.
Im Eröffnungsvortrag sprach Neal Zaslaw (Cornell University) einige grundlegende Probleme der Sinfonie im 18. Jahrhundert im Allgemeinen und die Schwierigkeiten bei der historischen Einordnung des sinfonischen Œuvres von Boccherini im Besonderen an („The Symphonies of Boccherini: Generic and Historiographical Puzzles"). Die grundsätzliche Frage nach der Eigenständigkeit von Sinfonien warf er anhand von Mozarts Beispiel auf, der einige seiner Opernouvertüren als Sinfoniesätze wiederverwendete, aber bisweilen auch das umgekehrte Prozedere wählte. Bei Boccherini zeigt sich diese Problematik in der Bearbeitung von Kammermusikwerken. So entstand seine Sinfonie G 523 in C-Dur als Bearbeitung des Streichquintetts, op. 10/4, dessen thematisches Material wiederum der Sinfonie C-Dur, op. 7 (G 491), entstammt. Die Wiederverwendung von Teilen des ersten Satzes als Finale ist eine für Boccherini auch in seinen Sinfonien gängige Praxis, die mit dem Begriff der „zyklischen Form" unzureichend beschrieben sei. Insgesamt scheint die Rezeption seiner Sinfonien fast nicht existent zu sein, obwohl 21 davon bereits zu seinen Lebzeiten gedruckt wurden.
Im ersten von vier thematischen Blöcken („Contesti") griff Germán Labrador (Universidad Autónoma de Madrid) das Problem der Rezeption auf und lieferte einen Überblick über das unvollständige Bild der Gattung Sinfonie und ihre Kontextualisierung im zeitgenössischen Spanien („Luigi Boccherini's Symphonies in the Spanish Enlightenment Context"). Er konstatierte verschiedene Aufführungsorte bzw. -kontexte, wie sie am Ende des 18. Jahrhunderts auch in Italien vorherrschten. Beispielsweise wurden in Madrid musikalische Academie u.a. im Teatro del Príncipe und im Theater Caños del Peral abgehalten, wobei in ersterem zumeist spanische und in letzterem italienische Kompositionen zur Aufführung kamen, darunter mit Sicherheit auch Boccherinis zweite Sinfonie, C-Dur. Der Beitrag von Paolo Giorgi (Università di Pavia-Cremona): „Le sinfonie di Alessandro Rolla: diffusione e peculiarità di un repertorio negletto", wurde in Abwesenheit vom Sektionsleiter Pietro Zappalà (Università di Pavia-Cremona e coordinatore nazionale del PRIN 2009) verlesen. Der Verfasser machte darin auf das vergleichsweise unbekannte Sinfonienrepertoire Rollas aufmerksam, der zu Lebzeiten immerhin in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Erwähnung fand. Charakteristischerweise für den Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert finden sich unter seinen Sinfonien sowohl dreiteilige als auch mit einer Einleitung versehene einsätzige Formen.
Die zweite Sektion widmete sich den Quellen der Sinfonien Boccherinis („Esegesi delle fonti boccheriniane") unter verschiedenen Gesichtspunkten. So konnte Loukia Drosopoulou (Cardiff University) in ihrem Beitrag „Performance Parts and Copyists in Manuscript Sources of Luigi Boccherini's Symphonies" insgesamt drei verschiedene Kopisten identifizieren und den bisherigen „Anonymous 1" mit Francisco Font (Madrid) in Verbindung bringen. Einen Einblick in die Arbeit an der Revision des Werkkatalogs von Yves Gérard – aktuelles Projekt des Centro Studi Luigi Boccherini (Gérard 2), zu welchem am Vormittag des 7. Dezember ein Workshop stattfand – gab Federica Rovelli (Humboldt Stiftung – Beethoven-Haus, Bonn) mit ihrem Vortrag zu den musikalischen Incipits der existierenden Werkverzeichnisse („Gli incipit musicali dei cataloghi boccheriniani"). Nach einführenden methodologischen Überlegungen und Vergleichen mit den Incipit-Verzeichnissen Mozarts und Beethovens zeigte sie anhand konkreter Beispiele, dass Unterschiede zwischen den Katalogen auf verschiedenen Ebenen wie Spieltechnik, Tonhöhe, Notendauer usw. zu finden sind.
Einen eigenen thematischen Block bildete ein runder Tisch mit dem Titel „Apporti strumentali nell'opera italiana tra Sette e Ottocento". Unter der Leitung von Paolo Fabbri (Università di Ferrara) referierten außerdem Andrea Chegai (Università di Siena) und Alessandro Roccatagliati (Università di Ferrara) zur Rolle der Instrumentalmusik in der italienischen Oper am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Fabbri sprach sich für eine Relativierung der bezüglich von Form und kompositionstechnischem Anspruch vermeintlichen Dichotomie von Opernouvertüre und Konzertsinfonie aus, die er anhand von frühen Sinfonien Rossinis (Bologna 1808/09) plausibel machte. Unter Bezugnahme auf Galeazzi und mit Hervorhebung verschiedener Berührungspunkte und Wechselbeziehungen zwischen Opern- und Instrumentalmusik plädierte auch Chegai für eine gattungsunabhängige Betrachtung musikwissenschaftlich relevanter Phänomene. Mit Hilfe konkreter Klangbeispiele (Händel, Pergolesi, Vivaldi) zielte er vor allem darauf ab, dass Instrumentalmusik-Partien in Arien den Textinhalt nicht nur in Unterstützung oder Vorbereitung zum Gesangspart verdeutlichen, sondern diese Funktion auch allein und im Gegensatz zu einer nichtssagenden vokalen Linie erfüllen können. Roccatagliati stellte Gemeinsamkeiten zwischen Opern- und Instrumentalmusik vor allem mit Blick auf die Kontextualisierung der Begriffe „fraseologia" und „periodicità" her (Reicha). Er zog mehrere Beispiele zur Veranschaulichung heran (Donizetti, Verdi), die auch eine diesbezügliche Regularität in der Orchesterbehandlung aufweisen.
Die abschließende Sektion beschäftigte sich mit konkreten Analyse- und Interpretationsfragen („Questioni di analisi e interpretazione"). Tagungsveranstalter Marco Mangani (Università di Ferrara) erläuterte in seinem Beitrag die verschiedenen Möglichkeiten, die von Boccherini für Selbstzitate genutzt wurden („Una comédie humaine musicale: nuove osservazioni sulle autocitazioni boccheriniane"). Sie erscheinen sowohl als Bezug zwischen verschiedenen Sinfonien (beispielsweise 37/4 und 41) als auch zwischen den Sätzen einer Sinfonie, wo sie weiterhin klassifiziert werden können in ein Selbstzitat in Form einer „ripetizione" oder eines „dislocamento". Unter dem Titel „Proiezioni figurative e aspetti formali nelle sinfonie di Boccherini" beschrieb Matteo Giuggioli (Centre d'Études Supérieures de la Renaissance, Tours) verschiedene Topoi in der zeitgenössischen Instrumentalmusik und versuchte konkret, denjenigen des „amoroso" bei Boccherini nachzuweisen, beispielsweise in der Sinfonie D-Dur, op. 12/1, 3. Satz: Minué amoroso. Elisabeth Le Guin (University of California at Los Angeles) widmete sich im abschließenden Beitrag der Tagung dem Thema „Haunted Houses in Boccherini's Symphonies". Ausgehend vom Konzept eines „virtual sonic space" bezog sich Le Guin zunächst auf einige Beispiele aus den Sinfonien Boccherinis, in welchen Luigi della Croce („Le 33 sinfonie di Boccherini") „Fragmente" des Himmels-Topos erkennt. Dem konkreten Sinn von „haunt" ging sie anhand von Boccherinis Sinfonie d-Moll, op. 12/4, nach, die ausdrücklich auf den Furientanz aus Glucks Festin de Pierre Bezug nimmt.
Für die musikalische Abrundung des Kongresses sorgte am Abend des 5. Dezember ein Konzert der „Classe di Musica d'insieme per strumenti ad arco" des Conservatorio di Ferrara im Palazzo Bonacossi. Zur Aufführung kamen das Quintett in D-Dur, op. 19/6 für Flöte und Streicher, und das Streichquintett in C-Dur, op. 10/4. Die Publikation der Beiträge ist für die Ausgabe 6/2013 der musikwissenschaftlichen Zeitschrift «Boccherini Online» (www.boccherinionline.it) vorgesehen, die vom Centro Studi Luigi Boccherini herausgegeben wird.