Die Reichsmusikkammer. Im Zeichen der Begrenzung von Kunst

Berlin, 27-29.06.2013

Von Oliver Bordin, Münster – 15.09.2013 | Das von Albrecht Riethmüller (Berlin) geleitete Teilprojekt „Ästhetische Diversifikation als Zukunft der Musik“ im DFG-Sonderforschungsbereich Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste an der Freien Universität Berlin veranstaltete vom 27. bis 29. Juni 2013 gemeinsam mit Michael Custodis (Münster) ein Symposium, das den Einfluss der Reichsmusikkammer (RMK) auf das deutsche Musikleben zum Gegenstand hatte. Mit dieser Veranstaltung wurde eine 1999 in Toronto und 2002 in Berlin begonnene Reihe fortgesetzt, deren Ergebnisse in den Tagungsbänden „Music and Nazism: Art under Tyranny, 1933-1945“ (Laaber 2003) und „Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust“ (Stuttgart 2006) dokumentiert sind. Im Fokus der dritten Tagung standen nun sowohl Strukturen, Aufgaben und Personal der RMK, als auch Musiker und Funktionäre, deren Handeln konkrete Rückschlüsse auf die Spielräume und Grenzen von Musik im Dritten Reich erlaubt.

Im Eröffnungsvortrag des ersten Tages (27.6.) sprach Oliver Rathkolb (Wien) über ein „doppeltes Spiel“, das die Reichskulturkammer-Funktionäre zwischen radikaler Gleichschaltung und Rückbruch betrieben haben. So verfolgten diese die zweigleisige Strategie, sich einerseits als revolutionär in Szene zu setzen, andererseits durch den Rekurs auf die mittelalterliche Nikolaibruderschaft jedoch auch historisch zu legitimieren. Ausgehend von den Funktionsabläufen des Terrorstaats betonte Rathkolb hier die Rolle der Reichsmusikkammer als totalitärem Kontrollorgan. Im Anschluss rief Wilfried Gruhn(Freiburg/Br.) das Leben und Wirken des Pianisten, Ministerialbeamten und preußischen Bildungsreformers Leo Kestenberg ins Gedächtnis, der durch sein Eintreten für die Einheit von Kunst und Sozialismus sowie seine Berufungspolitik zur Zielscheibe des Kampfbundes für deutsche Kultur geworden war.

Der zweite Tag (28.6.) begann mit einem kurzen Beitrag von Michael Custodis (Münster) zu Fritz Stein und der Bedeutung von dessen RMK-Tätigkeiten für sein späteres Entnazifizierungsverfahren. Danach sprach Jürgen May (Garmisch-Partenkirchen) über das Autograph und die Rezeptionsgeschichte des Kunstliedes „Das Bächlein“ von Richard Strauss. Im Zentrum standen dabei die offensichtliche Abstimmung von Textvorlage und Musik auf den persönlichen Geschmack von Joseph Goebbels sowie die Frage, ob es sich bei der Komposition um ein authentisches Bekenntnis zur „Führertreue“ oder nicht doch um ironisierende „Camouflage“ gehandelt habe.

Gerhard Splitt (Erlangen-Nürnberg) diskutierte nachfolgend die offene Demokratiefeindlichkeit, die Strauss im Rahmen kulturpolitischer Äußerungen an den Tag gelegt hatte und konturierte im Zuge dessen das Bild eines Komponisten, Dirigenten und RMK-Präsidenten, der den NS-Machthabern angenehm auffallen wollte und vom Dritten Reich auch finanziell profitierte. Im Zeichen der Begrenzung musikalischer Kunst wirkte Strauss auf diese Weise nicht nur als Marionette, sondern auch als williger Helfer mit. Den Abschluss der Vormittagssektion bildete ein Beitrag von Andreas Domann (Köln)zum glücklosen „Führer aller schaffenden Musiker“ Paul Graener. Erfuhr Graener aufgrund seines Status als Alter Kämpfer, Vorsitzender der Fachschaft Komponisten sowie Vizepräsident der RMK zunächst die Unterstützung der Nationalsozialisten, geriet er aufgrund seiner Unfähigkeit, mit Geld umzugehen sowie einer mangelnden Begabung zu machtpolitischem Handeln rasch ins Abseits.

Zum Auftakt der von Alan E. Steinweis (Burlington, Vermont) moderierten Nachtmittagssektion bot Misha Aster (Berlin) einen Überblick über die bekannten Fakten zu Wilhelm Furtwänglers Rolle als Vizepräsident der Reichsmusikkammer. Zugleich lieferte Aster mit der Ausschaltung des Konzertveranstalters und Karajan-Förderers Rudolf Vedder ein konkretes Beispiel für einen von Furtwängler betriebenen Machtmissbrauch und beschrieb den legendären Dirigenten als Persönlichkeit, die nach Kriegsende von den politischen und ethischen Folgen ihres Handelns gezeichnet war. Anschließend stellte Susanne Schaal-Gotthardt (Frankfurt/M.) das Gedicht „Die Geflügelzucht“ vor, mit dem Paul Hindemith seiner Verärgerung über die Reichsmusikkammer privat Luft gemacht hatte. Im Zentrum von Hindemiths Kritik standen dabei vor allem der „große Vogel“ Strauss, aber auch der „Adler“ Furtwängler. Ferner erörterte Schaal-Gotthardt die Abwartehaltung Hindemiths nach der Machtergreifung und ging darauf ein, dass diese durchaus auch stillschweigendes Einverständnis implizierte. Ausgehend von einem Geheimbericht der Auslands- und Abwehrabteilung des SD sprach Oliver Bordin (Münster) dann über die „Kriegseinsätze“ prominenter Dirigenten wie Hans Knappertsbusch und Hermann Abendroth in den besetzten Gebieten. Unter dem Stichwort des „Taktstocks als Waffe“ thematisierte Bordin auch den Missbrauch Musikschaffender als kultureller Soldaten, die Sonderrolle der Berliner Philharmoniker hierbei, sowie die Bedeutung, die der Reichsmusikkammer in diesem Zusammenhang zufiel.

Als letzter Redner des zweiten Tages thematisierte Michael Wittmann (Berlin) schließlich die zwiespältige Rolle, die Emil Nikolaus von Reznicek als „wichtigem Mann hinter Strauss“ im Ständigen Rat für kompositorische Zusammenarbeit zukam. Wittmann hielt in diesem Rahmen einerseits über den Komponisten fest, er sei ein weltfremder Künstler gewesen, der Spaß daran hatte, Musikfeste zu organisieren, lieferte andererseits aber auch faszinierende Details zur Spionagetätigkeit der Reznicek-Tochter Felicitas für den britischen Geheimdienst MI6.

Zu Beginn des letzten Tages (29.6.) referierte zunächst Martin Thrun (Leipzig) über den Leiter der Musikabteilung im Propagandaministerium, Heinz Drewes, und beschrieb hierbei sehr anschaulich dessen Arbeit im Ministerium sowie den Versuch von Joseph Goebbels, mit diesem Musikamt hausintern eine Konkurrenz zur Reichsmusikkammer zu installieren. Zuletzt lieferte Friedrich Geiger (Hamburg) einen Beitrag zu Werner Egk, der als Vorsitzender der Fachschaft Komponisten zu den größten musikpolitischen Nutznießern der NS-Gewaltherrschaft zählte. Vor dem Hintergrund, dass die Förderung von Egks Musik durch die Nationalsozialisten sich nach dessen Amtsübernahme intensivierte, Egk mit der von Goebbels propagierten „Entjudung“ konform ging und sich auch für die „feldgrauen Komponisten“ engagierte, resümierte Geiger, dass die bisherige Einschätzung einer relativ geringen Bedeutung dieses prominenten RMK-Funktionärs nicht mehr zu halten sei.

Den Abschluss der Veranstaltung markierte eine von Albrecht Riethmüller geleitete Gesprächsrunde aller Teilnehmer zur Präsidentschaft von Peter Raabe an der Spitze der Reichsmusikkammer. Die Publikation der Tagungsergebnisse ist für das kommende Jahr in Vorbereitung.