La Ricerca musicale in Germania e in Italia – temi e tendenze attuali

Loveno di Menaggio, 04.-05.11.2016

Von Klaus Pietschmann, Mainz – 09.11.2016 | Auf Anregung der Villa Vigoni (deutsch-italienisches Zentrum für europäische Exzellenz) fand in deren Räumen in Loveno di Menaggio am Comer See am 4. und 5. November der von der DFG finanzierte Workshop „Musikforschung in Deutschland und in Italien: aktuelle Themen und Tendenzen“ statt. Er hatte das Ziel, den musikwissenschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern anzuregen und über die Förderprogramme der Villa Vigoni zu informieren (zu den entsprechenden Ausschreibungen vgl. www.villavigoni.it). In Kurzreferaten berichteten Fachvertreterinnen und Fachvertreter von italienischen und deutschen Universitäten und Musikhochschulen über aktuelle Forschungsvorhaben, die vor allem auch mit Hinblick auf mögliche Vertiefungen im Rahmen von Tagungen oder gemeinsamen Forschungsprojekten umfänglich diskutiert wurden.

Nach der Begrüßung durch Klaus Pietschmann (Universität Mainz) und Viola Usselmann (wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Villa Vigoni) eröffnete der (wegen Erkrankung des Referenten verlesene) Beitrag von Sergio Durante (Università degli Studi di Padova) „Attualità della musicologia nelle tradizioni culturali di Germania ed Italia“ den Workshop. Ein Abbau, wie er in der italienischen Musikwissenschaft nach Jahrzehnten des Aufschwungs derzeit bevorsteht, sei, so Durante, in Deutschland angesichts der stärkeren Verankerung der Musik innerhalb der nationalen Kultur kaum denkbar. Gleichzeitig verwies er kritisch auf die erhebliche Beeinflussung der Fachkultur in beiden Ländern durch die US-amerikanische Musikwissenschaft und regte abschließend an, über neue Formen der Divulgation von Forschungsergebnissen nachzudenken. In der Diskussion wurde v.a. dieser letzte Aspekt aufgegriffen, dabei vonseiten der italienischen Teilnehmer die bessere Breitenvermittlung musikwissenschaftlicher Inhalte in Deutschland in entsprechenden Publikationsreihen konstatiert, die Notwendigkeit einer angemessenen Einbringung des Faches in interdisziplinäre Diskurse betont und an das hohe Vermittlungspotential kommentierter Konzerte erinnert.

Es folgte eine Vorstellung der Aktivitäten der musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom durch Sabine Ehrmann-Herfort (DHI Rom), die neben Digitalisierungsprojekten und Stiftungen (wie etwa den Fondo Rostirolla), den Publikationsreihen Analecta Musicologica und Concentus Musicus sowie Einzelprojekten der Mitarbeiter insbesondere die Einbindung in das vom Leibniz-Institut für europäische Geschichte Mainz koordinierte Verbundprojekt „Repräsentationen des Friedens im vormodernen Europa“ betreffen, in dessen Rahmen im Mai 2017 ein Symposium zur Friedensrepräsentation in der italienischen Kantate geplant ist. Sie informierte ferner über die Stipendienangebote der Abteilung, deren erstaunlich geringer Nachfrage von deutscher Seite ein großes, wenn auch nur unter Einbindung deutscher Partner zu befriedigendes Interesse seitens des italienischen Wissenschaftsnachwuchses gegenübersteht.

Raffaele Mellace (Università di Genova) berichtete in seinem Beitrag „Lingue e culture, musicali e musicologiche, attraverso le Alpi: il caso Hasse“ über seine 2015 im Ortus-Verlag erschienene Monographie Johann Adolf Hasse, die sowohl aufgrund des Gegenstands als auch der von Juliane Riepe besorgten Übersetzung ins Deutsche exemplarisch für den deutsch-italienischen Wissenschaftsaustausch steht. Die Diskussion fokussierte den wissenschaftlichen Übersetzungsvorgang, der neben dem rein sprachlichen primär auch einen (wissenschafts)kulturellen Transfer umfasst.

Der zweite Tag begann mit einem Block zum Musiktheater. Zunächst sprach Arnold Jacobshagen (Musikhochschule Köln) über „Opernforschung an und für Musikhochschulen? Deutsch-italienische Perspektiven und Desiderata“ und konzentrierte sich dabei ausgehend von einem Überblick über die institutionelle Verankerung der Musikwissenschaft an deutschen Musikhochschulen auf die Frage nach Rolle von Artistic Research, deren methodische Ausrichtung in Italien und Deutschland im internationalen Vergleich allenfalls ansatzweise bestimmt ist. In der Diskussion wurde auf entsprechende Defizite auch in der Förderpolitik der DFG hingewiesen, die im Gegensatz etwa zum österreichischen FWF keine Projekte aus diesem Bereich unterstützt.

Alessandro Roccatagliati (Università degli Studi di Ferrara) ging in seinem Beitrag „Opera, l'ultima riforma: il testo visivo inventato“ auf die Folgen des autoritativen Anspruchs heutiger Opernregisseure für den Spielbetrieb und die daraus erwachsene Schere zwischen der Opernforschung und der theatralen Praxis ein. Die von ihm geforderte, methodologisch fundierte Klärung des Verhältnisses zwischen den Fronten wurde in der Diskussion mit dem vorausgegangenen Vortrag in Verbindung gebracht und als potentieller Gegenstand eines Artitistic Research-Projekts gekennzeichnet.

Über „Grenzüberschreitungen: vokale Experimente im italienischen Musiktheater in den sechziger Jahren“ sprach Michela Garda (Università degli Studi di Pavia/Cremona) und erläuterte methodische, von Gumbrecht und Fischer-Lichte angeregte Herangehensweisen an das fragliche Repertoire, die sich auf umfangreiche, bislang nur unzureichend ausgewertete Nachlässe etwa in der Paul Sacher-Stiftung stützen können und in naher Zukunft im Rahmen eines auch musikethnologisch ausgerichteten Symposiums zur weiblichen Singstimme in Cremona erprobt werden sollen. In der Diskussion wurde über die besonderen Herausforderungen gesprochen, die die Tonaufzeichnungen aus dieser Zeit mit sich bringen.

In seinem Beitrag „Voci oltre il confine di genere“ ging Marco Beghelli (Università di Bologna) ausgehend von der Arbeit an dem von ihm begründeten Archivio del Canto (http://archiviodelcanto.dar.unibo.it) auf der Grundlage mehrerer beeindruckender Fallbeispiele auf Sängerinnen des 19. und 20. Jahrhundert ein, die aufgrund ihrer vokalen Charakteristiken mit Männerstimmen assoziiert wurden, und verwies auf die offene Frage, ob und in welchen Zusammenhängen Kastraten das ihnen durchaus zur Verfügung stehende tenorale Brustregister einsetzten. Diskutiert wurden Bezugspunkte des Referats zur deutschen Genderforschung und speziell den Arbeiten Rebecca Grotjahns.

Auf ein geplantes Forschungsprojekt ging Kordula Knaus (Universität Bayreuth) in ihrem Beitrag „Europäisierung der opera buffa im 18. Jahrhundert. Gegenwärtige Forschungen zu Quellen und Verbreitung einer neuen Gattung“ ein. Neben Überlegungen zur Überlieferungssituation konzentrierte sie sich dabei auf die Transformation des Genres in der Mitte des 18. Jahrhunderts und die vielfältigen Spielarten von Fassungsproblematiken. Ihre Vorschläge zu Kooperationsmöglichkeiten mit italienischen Instituten waren sodann der Hauptgegenstand der Diskussion.

Bereits seit einigen Jahren etabliert und international vernetzt ist das Datenbankprojekt zur italienischen Kantate CLORI (http://cantataitaliana.it), das Teresa Gialdroni (Università Tor Vergata Roma) in ihrem Beitrag „La cantata italiana in Germania: fonti e ricezione attraverso nuovi strumenti informatici“ vorstellte. Dabei konzentrierte sie sich auf den erheblichen Forschungsbedarf bezogen auf Kantaten in deutschen Quellen, der, wie sich in der Diskussion zeigte, neuerdings auch auf deutscher Seite erkannt wurde und Anlass zur Kooperation böte.

Der Gegenstand des Referats von Vincenzo Borghetti (Università degli Studi di Verona) war „La ricerca musicologica sul Rinascimento in Italia: geografia e ideologia“. Demnach bildete die Renaissanceforschung a priori und in Anknüpfung an deutsche Vorbilder einen Schwerpunkt der italienischen Musikwissenschaft, die dabei auch von der breiten Verfügbarkeit der Quellen profitieren konnte. Aufgrund der nationalen bzw. regionalen Ausrichtung der italienischen Musikhistoriographie und Wissenschaftsfinanzierung standen jedoch stets italienische Themen und Komponisten (Frottola, Madrigal, Palestrina u.a.) im Zentrum von Forschung und Lehre – eine v.a. in der älteren deutschen Musikwissenschaft ebenfalls anzutreffende Tendenz, wie in der Diskussion herausgestellt wurde.

Gesa zur Nieden (Universität Mainz) stellte die von ihr geleiteten Forschungsprojekte MUSICI und MusMig in ihrem Referat „Frühneuzeitliche Musikermobilitäten. Konstrukte, Konzepte und Kompositionen“ vor. Methodisch breit aufgestellt und unter Einbeziehung von Ansätzen aus den kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen wurden hier auf der Grundlage von materialreichen Regionalstudien ältere Konstruktionen (wie etwa der Nationalstildiskurs) kritisch hinterfragt und neue Konzepte zur Beschreibung räumlicher, sozialer wie auch stilistischer Mobilität erprobt. Am Beispiel einer 1664 in Glückstadt gedruckten Hochzeitsmusik wurden die Ansätze konkretisiert. In der Diskussion wurde neben diesem Beispiel insbesondere auch die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Komponisten und (Instrumental-)Musikern hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Mobilität betont.

Auf den neu eingerichteten Studiengang „Strumenti musicali, strumentazioni e strumenti scientifici e tecnici“ am Cremoneser Dipartimento di Musicologia e Beni Culturali der Universität Pavia ging Angela Romagnoli (Università degli Studi di Pavia/Cremona) in ihrem Beitrag „Il "violino di burro": la ricostruzione del 'suono storico' tra organologia, scienze dure e ricerca musicologica“ ein. Die Einbeziehung mehrerer Cremoneser Institutionen erwies sich als komplex, garantiert aber eine seltene Bandbreite der wissenschaftlichen Ausbildung auf dem Sektor des Musikinstrumentenbaus in technischer und historischer Dimension. Angegliedert werden interdisziplinäre Forschungen im Austausch zwischen Musikwissenschaft und den Natur- und Neurowissenschaften, deren Potential und generelle Notwendigkeit auch in der Diskussion herausgestellt wurde.

Aus der Erfahrung ihrer früheren Leitung des Deutschen Studienzentrums in Venedig berichtete Sabine Meine (Universität Detmold) im ersten Teil ihres Referats „Vernetzung mit Italien. Erfahrungen und Strategien“ und empfahl, angesichts knapper werdender Ressourcen bewährte Instrumente des DAAD oder der Villa Vigoni intensiver zu nutzen. Im zweiten Teil regte sie ein größer angelegtes Forschungsvorhaben zum Thema „Stammbücher als Schlüssel kultureller Netzwerke der Moderne“ an, das v.a. unter Bezugnahme auf die Salonkultur und ihre Vorläufer lebhaft diskutiert wurde.

Hieran knüpfte das Referat „’Arrivederci domani al pranzo musicale...’ I Mylius-Vigoni – Una famiglia italo-tedesca e la sua ‘memoria’ musicale“ von Viola Usselmann (Villa Vigoni) unmittelbar an, in dem ausgehend von Materialien aus dem in der Villa verwahrten Familienarchiv der Mylius-Vigoni deren kulturelle Mittlerrolle auch auf dem Feld der Musik vor allem für das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert beleuchtet wurde und dabei Gäste- sowie Stammbücher, u.a. mit Einträgen von Johannes Brahms, eine zentrale Rolle spielten. In der Diskussion wurde an musikerbezogene Gedenksteine im Park der Villa als Bestandteil der musikalischen Gedächtniskultur erinnert und angeregt, diese Untersuchung im Sinne des Vorschlags von Sabine Meine auch auf andere Familien an der Schnittstelle zwischen Italien und Deutschland auszuweiten.

Die letzten drei Referate waren dem Themenfeld Musik in Faschismus und Nationalsozialismus gewidmet. Einen Überblick über die neuere musikwissenschaftliche Faschismusforschung bot Guido Salvetti (Conservatorio di Milano / SIdM) in seinem Referat „Il duplice volto musicale del fascismo istituzione e del fascismo movimento“ und betonte in diesem Zusammenhang die spezifische Verknüpfung von Traditionsverbundenheit und Fortschrittlichkeit der faschistischen Musikpolitik, die im fundamentalen Gegensatz zum NS stand. Seine Überlegungen leiteten unmittelbar über zu der Vorstellung des in Kürze auslaufenden DFG-Projekts „Deutsch-italienische Musikbeziehungen unter Hitler und Mussolini“ von Friedrich Geiger (Universität Hamburg). Am Beispiel der Zensurpraxis verwies er auf die strukturellen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen beiden Regimen und betonte, dass weitere relevante Themenfelder wie etwa Italien als Exilland deutscher Musiker oder die Rolle des Jazz in beiden Ländern im Projektrahmen nicht mehr behandelt werden könnten und sich (auch auf der Grundlage der erstellten Quellendatenbank) für weitere Kooperationsprojekte eignen würden. Einen konkreten Fall behandelte Mila de Santis (Università degli Studi di Firenze) in ihrem Referat „Dallapiccola nel ventennio fascista: alcune (ri)considerazioni“ und erläuterte am Beispiel von Dallapiccolas Canti di prigionia die ambivalente Haltung des Komponisten gegenüber dem Faschismus, die sich auch im jüngeren Forschungsdiskurs niederschlägt: Nachdem die ältere Forschung die Haltung des Komponisten als zwiespältig, insgesamt aber gemäßigt gekennzeichnet hatte, neigten jüngere Untersuchungen zu einer dezidierten Klassifizierung etwa des Volo di notte als faschistisch. Am Ende stand der Hinweis auf die Widersprüchlichkeit und gleichzeitige Präsenz gegensätzlicher politischer Tendenzen in den Äußerungen Dallapiccolas und anderer Zeitgenossen, die bei einer Beurteilung in Rechnung zu stellen sind. In der Diskussion wurde das Problem der persönlichen Betroffenheit der unterschiedlichen Forschergenerationen angesprochen, die den Umgang mit dem Gegenstand bis in die Gegenwart hinein prägt.

Ein weiteres, wegen Erkrankung nur schriftlich vorliegendes Referat von Luca Aversano (Università degli Studi Roma Tre) „Musicisti italiani in Germania nella seconda metà del XIX secolo: vecchi clichés e nuovi modelli“ konnte aus Zeitgründen leider nicht mehr verlesen und diskutiert werden. Eine kurze Abschlussdiskussion beschloss den intensiven Workshop. Der zweitägige Austausch in den reizvollen Räumlichkeiten der Villa Vigoni wurde von allen Beteiligten als ausgesprochen belebend und fruchtbar empfunden, und es bestand Einigkeit über den unbedingten Wunsch, solche Treffen mit gewisser Regelmäßigkeit an anderen Orten in Deutschland und Italien durchzuführen.