Private Passion – Public Challenge. Musikinstrumente sammeln in Geschichte und Gegenwart

Nürnberg, 09.-11.05.2017

Von Sascha Wegner, Bern – 31.07.2017 | Musikinstrumenten kommt eine historische Sonderstellung zu, stellen sie doch neben Tonträgern und Noten die einzigen materiellen Objekte der an sich immateriellen Kunstform Musik dar. Der kulturgeschichtlichen Dimension des Sammelns von Musikinstrumenten widmete sich eine internationale Tagungdie von den Mitarbeitenden des DFG-Projekts „Musikinstrumente sammeln – das Beispiel Rück“ initiiert und durchgeführt wurde. Im Fokus standen einerseits das Instrument als Gegenstand des kulturellen Gedächtnisses, andererseits der internationale Vergleich von Privatsammlungen und ihren Museen. Ein dritter Komplex diskutierte privates Sammeln und die Musealisierung, während den Besonderheiten historischer Musikinstrumente im Kontext der Provenienzforschung eine abschließende Sektion gewidmet wurde.

In seiner Einführung verdeutlichte Frank P. Bär (Nürnberg) die zunehmenden Herausforderungen, welche der Übergang einer Privatsammlung in die öffentliche Hand mit sich bringt. Bär trug die wesentlichen Unterschiede zwischen privatem und öffentlichen Sammeln schematisch zusammen, wobei die Profile nicht nur bezüglich des Erwerbs, des Bewahrens und Präsentierens, sondern auch hinsichtlich der Verantwortung in Fragen der Verwaltung, Eigentumsverhältnisse, Nachhaltigkeit, Dokumentation, Bereitstellung und Lagerung, nicht zuletzt auch finanzieller Möglichkeiten und wissenschaftlicher Expertise erheblich divergieren. Das betrifft vor allem immer dringendere Fragen der Provenienz.

Die Mehrzahl der BeiträgerInnen stellte sich grundsätzlichen Fragen zum gegenwärtigen Umgang mit Sammlungen aus der Perspektive der je eigenen Institution. Die einleitenden kulturgeschichtlichen Betrachtungen von Dominik von Roth (Nürnberg) über die Sammlung Rück, Tiago de Oliveira Pinto (Weimar) über die UNESCO-Konvention zu Musik als immaterielles Kulturerbe und Monika Schmitz-Emans (Bochum) über Musik als Anlass literarischer Reflexion und Erinnerung gaben den Rahmen der Diskussion vor. Anhand der über 17.000 Dokumente zu Ankauf, Handel und Restaurierung aus der Sammlung Rück verdeutlichte von Roth die Chance, das Phänomen Musikinstrumenten-Sammlung im musealen Kontext neu zu denken und das weitverzweigte Netzwerk eines privaten Sammlers sowie die einzelnen Objekte nicht nur der Forschung, sondern auch der Öffentlichkeit digital zugänglich zu machen. Die aus den Dokumenten ablesbaren Sammlungsstrategien verdeutlichen exemplarisch das kulturgeschichtliche Spannungsfeld zwischen ästhetischer Idee, empirischer Erkenntnis und ökonomischen Bedingungen, welches Musikinstrumente zu repräsentieren vermögen.

Das Wechselverhältnis vom Immateriellen der Musik und der Materialität von Musikinstrumenten stand auch im Fokus der folgenden Beiträge. Pinto skizzierte das Panorama an Bedeutungen, welches Musikinstrumenten im Kontext der Debatten um das kulturelle Erbe zukommt. Über reine Klangerzeugung hinaus fungieren sie als Träger einer generationenübergreifenden Wissensvermittlung und Repräsentanten verschiedener musikkultureller Systeme. Das Sammeln und Bewahren erhält somit eine globale kulturgeschichtliche Bedeutung. Schmitz-Emans widmete sich dem Nachdenken über die Symbolik materieller Objekte anhand literarischer Reflexionen. In der Literatur wird die hohe kultursymbolische Bedeutung von historischen Musikinstrumenten deutlich, deren immaterielle Patina sowohl auf die Ursprünge der Musik, ja der Kultur überhaupt hindeutet (Carpentier, Los pasos perdidos, 1953), aber auch angesichts der Greuel des 20. Jahrhunderts gar das Ende aller Kultur versinnbildlicht (Grymes, Violins of Hope, 2014).

Diesen grundsätzlichen Überlegungen schlossen sich informative Beiträge zu Sammlungsgeschichten an. Florence Gétreau (Paris) sprach über „Musikinstrumente sammeln in Frankreich 1795–1995“, Josef Focht (Leipzig) über „Die erste Sammlergeneration des Leipziger Musikinstrumentenmuseums“ und Beatrix Darmstädter (Wien) über „Privatsammlungen im öffentlichen Musikinstrumentenmuseum“. Sie erinnerten daran, dass nicht nur der Bestand, sondern auch das Forschungs- sowie Ausstellungs-Profil öffentlicher Einrichtungen in hohem Maße durch die Übernahme privater Sammlungen bestimmt ist. Angesichts der heterogenen Erscheinung vieler Sammlungen verdient nicht nur die Geschichte einzelner Instrumente, sondern der Sammlungen selbst Vermittlung. Renato Meucci (Mailand) verdeutlichte am Beispiel Italiens, dass die Ambitionen dort heute hinsichtlich des Erwerbs, aber auch der Bewahrung und Präsentation von Musikinstrumenten bei privaten Sammlern deutlich höher ausfallen als in öffentlichen Institutionen. Andererseits gab Tiago de Oliveira Pinto Einblicke in ein ehrgeiziges Projekt in Bangkok, ein Museum ohne eine existierende Sammlung, die erst im Verlauf der Fertigstellung zusammengetragen werden soll. Das lebendige Musizieren bestimmt die Idee einer Einrichtung, welche das Sammeln und Bewahren der musikalischen Vielfalt im südostasiatischen Kulturraum mit einer transnationalen Perspektive für Forschung und Lehre zugänglich machen wird.

Zwei Beiträge privater Sammler, Heiko Hansjosten (Schweich/Heilbronn) und Peter Thalheimer (Ilshofen) gewährten Einblicke in gegenwärtige Motive und Herausforderungen, eine Sammlung aufzubauen und zu unterhalten. Zum Spannungsfeld zwischen verhältnismäßig hoher Investitionen und persönlicher Befriedigung gehört das Bewusstsein für eine ungewisse Zukunft. Zugleich profitieren Privatiers von einer größeren Flexibilität auf dem Markt für historische Musikinstrumente. Als akutes Problem wird auch die Konkurrenzsituation unter Privatsammlern benannt, schließlich die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Sammlungen.

Der gegenseitige Einfluss von Aufführungspraxis und Instrumentensammlungen wurde ebenfalls in Martin Kirnbauers (Basel) aufschlussreichem Beitrag deutlich. Für den Gründer der Schola Cantorum Basiliensis, Paul Sacher, war die „stilgerechte Wiederbelebung“ zugleich eine Frage des Instrumentes. Seine von ihm aufgebaute Sammlung alter Musikinstrumente geht damit deutlich über das bloße Ausstellen historischer Objekte hinaus und bildet eine integrale Voraussetzung für die historisch informierte Aufführungspraxis. Klaus Martius (Nürnberg) gab einen Einblick in die Restaurierungsmaßnahmen der Sammlung Rück. Um dem Bestreben einer „historisch getreue[n] Wiederinstandsetzung“ nachzukommen, wurde von den Rücks ein enormer Aufwand betrieben. Die mehr als drei Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit mit dem Leipziger Restaurator Otto Marx sowie mit dem Erlanger Musikwissenschaftler Rudolf Steglich ist richtungsweisendes Beispiel einer engen Zusammenarbeit von privater Sammlung, Restaurierung, Forschung und Museen.

Die Beiträge von Panagiotis Poulopoulos (München) und Gerda Ridler (Linz) diskutierten aus unterschiedlichen Perspektiven Möglichkeiten der musealen Aufbereitung von Sammlungen. Poulopoulos widmete sich der Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten von Dauerausstellungen am Beispiel der Instrumentensammlung des Deutschen Museums. Mit Blick auf die bildende Kunst ging Ridler der Frage nach, warum Sammler und Sammlerinnen moderner und zeitgenössischer Kunst auch über die Grenzen des reinen Kunstpublikums hinaus so viel Aufmerksamkeit erfahren.

Kritische Fragen, aber auch Vorschläge brachten die museologischen und musikwissenschaftlichen Beiträge von Peter van Mensch (Berlin), Franz Körndle (Augsburg) und Christina Linsenmeyer (Helsinki). Van Mensch ging auf die vielen Widersprüche und Probleme, aber auch Chancen in der Beziehung zwischen Museen und privaten Sammlern ein. Dem Gedanken des Bewahrens werden in Zukunft zunehmend Netzwerke im Sinne einer privat-öffentlichen „Erbengemeinschaft“ Rechnung tragen müssen. Körndle dagegen diskutierte die Folgen invasorischer Maßnahmen an Instrumenten im Interesse der Spielbarkeit sowie den unterschiedlichen Grad an Verantwortungsbewusstsein von privaten und öffentlichen Sammlungen. Linsenmeyer fasste die Vielfalt individueller Vorstellungen und Visionen des Sammelns zusammen und fragte, wie mit historischer Diversität im heutigen Ausstellungsbetrieb umzugehen ist. Mit zum Teil drastischen Beispielen veranschaulichte sie die akute Problematik der sich wandelnden Werte und aktuellen Aufgaben des privaten und öffentlichen Sammelns. Damit bildete das Referat die Ausgangslage für die sich anschließende Podiumsdiskussion, deren Leitung Friedemann Hellwig (Hamburg) übernahm.

Eine der aktuell wichtigsten Herausforderungen vor allem für öffentliche Sammlungen liegt in der Provenienzforschung. Das grundlegende Referat von Uwe Hartmann (Magdeburg) stellte die ethisch-moralischen Grundsätze im Umgang mit Objekten jeglicher Art heraus, die gesammelt, gehandelt, musealisiert und präsentiert werden. Die Aushandlung der Grenzen öffentlicher und privater Verantwortung zielt letztlich auf die Frage, wo sie gemeinsam wahrgenommen werden soll und kann. Markus Zepf (Leipzig) verwies auf die Bedeutung akademischer Sammlungen am Beispiel Freiburg i. Br. und Heidelberg. Dabei machte er auch die vielfältigen und wichtigen Verbindungen zu Nürnberg und dem Netzwerk um die Sammler Rück sichtbar. Linda Escherich (Nürnberg) stellte das RückPortal vor, welches das weitverzweigte Netzwerk um die Sammlung Rück virtuell abbildet. So wird es beispielsweise aufgrund jener Dokumente, die Angebot, Schätzung und Kauf von Instrumenten festhalten, möglich, einen historischen Preisspiegel nachzuzeichnen. Durch das RückPortal ist es demnach möglich, umfangreiche Informationen zu erhalten, etwa zu Fragen der Zuschreibung, der Provenienz, der Geschichten individueller Instrumente und ihres Erwerbs. Monika Löscher (Wien) erläuterte die historischen Voraussetzungen für die Errichtung der Kommission für Provenienzforschung und für das Kunstrückgabegesetz in Wien. Anhand der systematischen und proaktiven Provenienzforschung in der Sammlung alter Musikinstrumente im Kunsthistorischen Museum wurde beispielhaft deutlich, wie mit der Geschichte von Sammlungen in und aus der NS-Zeit umgegangen werden kann.

Auf die Schwierigkeiten bestimmter Provenienzen machte zuletzt Conny Restle (Berlin) aufmerksam. Am Berliner Beispiel wurde die problematische Situation hinsichtlich des Ankaufs und Fortbestandes im Berlin der Nachkriegszeit erläutert. Damit hängt die Frage zusammen, ob und inwiefern diese spezifische Situation in das bestehende Präsentations- aber auch Forschungskonzept des Museums, gerade vor dem Hintergrund einer häufig unklaren Provenienz, zu integrieren wäre.

Alle Beiträge der Tagung verdeutlichten die Dringlichkeit der Thematik und ihrer methodischen Bewältigung innerhalb, aber auch jenseits öffentlicher Ausstellungsräume. Die Sammlung Rück sowie das angegliederte Projekt des GNM erhält in diesem Kontext modellhaften Status, indem es sich den unangenehmen, gleichwohl notwendigen Fragen nicht nur stellt, sondern mit dem RückPortal aktiv an deren Lösung arbeitet. Mit der internationalen Ausrichtung der Tagung, die einen fruchtbaren Dialog zwischen Musikwissenschaftlern, Organologen, Restauratoren und Konservatoren, Kuratoren und privaten Sammlern ermöglichte, wurde ein wichtiger Weg beschritten, neue Netzwerke auch nachhaltig zu gestalten. Die von der Tagung ausgehenden Anregungen zu einer neuen Museologie der Musikinstrumentensammlungen, die einvernehmliche Ziele formulieren, nachhaltige Koalitionen bilden und Zukunftsvisionen präsentieren kann, helfen nicht zuletzt, auch die Politik und Kulturförderung für das im Grunde so selbstverständliche Thema „Musik“ zu begeistern und zu überzeugen. Eine Open-Access-Publikation der Beiträge für arthistoricum.net – ART-Books ist bereits in Planung.