Die ungeliebte Kunst? Musik und Reformation in Zürich

Zürich, 25.-26.05.2018

Von Esma Cerkovnik, Zürich – 03.01.2019 | Im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Zürcher Reformation, die zwischen Ende 2017 und Anfang 2019 mit verschiedenen Veranstaltungen begangen werden, waren zwei Tage auch der Rolle der Musik gewidmet. Sie boten ein Symposium, ein Wandelkonzert sowie einen um vokale und instrumentale Interludien angereicherten Orgelspaziergang. Gastgeber waren das Musikwissenschaftliche Institut der Universität und das Forum Alte Musik Zürich.

Nach einer Begrüßung durch den Institutsdirektor Laurenz Lütteken gab Tagungsorganisator Michael Meyer einen konzisen Überblick der Zusammenhänge zwischen Musik und Reformation in Zürich und eine kurze Skizze der Konzeption der Tagung. Ausgehend von der Reformationszeit war sie als chronologischer Streifzug durch die Geschichte der Musikauffassung und -praxis im reformierten Zürich bis ins ausgehende 19. Jahrhundert angelegt. Auf diese Weise wurde ein Bogen gespannt, der sich vom Verbot liturgischer Musik bis zu deren Wiedereinführung erstreckte. In ihrem eröffnenden Beitrag mit dem Titel Kein „geschrey vor den Menschen“? – Reformatorische und humanistische Musikauffassungen in Zürich und Basel bot Inga Mai Groote (Zürich) einen Einblick in die Gedankenwelt Zwinglis, seiner Zeitgenossen und Nachfolger in Zürich und Basel und plädierte entgegen dem Klischee von der ‚ungeliebten Kunst‘ für eine differenzierte Sicht, und zwar auch anhand bisher kaum oder wenig beachteter Quellen für die gelehrt-humanistische Auseinandersetzung mit Musik. Ein Versuch einer Neuinterpretation der Bedeutung der Musik bei Zwingli wurde sodann im Beitrag Der Gesang des Herzens – die mystischen Wurzeln des evangelisch-reformierten Gottesdienstverständnisses von Therese Bruggisser-Lanker (Zürich) unternommen, und zwar mit Verweis auf den spezifischen Kontext der mystischen Tradition etwa Heinrich Seuses.

Mit konkreten musikalischen Tätigkeiten im reformierten Teil der Schweiz beschäftigte sich Christoph Riedo (Basel) in seinem Referat mit dem Titel Vom Psalmsingen im engsten Kreise zum Musizieren auf der Bühne – Die Entstehung des öffentlichen Konzerts in den reformierten Orten der Alten Eidgenossenschaft. Er gab einen auf ikonographischen und schriftlichen Quellen basierenden Überblick über die Musikpraxis in den reformierten Collegia Musica und zeichnete dabei die allmähliche Etablierung eines ‚weltlichen‘ Konzertwesens nach, das seinerseits für die Musikgeschichte in der reformierten Schweiz von entscheidender Bedeutung war. Beschlossen wurde der erste Symposiumstag mit einem Vortrag Laurenz Lüttekens über „Das größte musikalische Kunstwerk aller Zeiten und Völker“. Nägeli, Zürich und Bach. Er unterzog Hans Georg Nägelis 1818 erschienenen Aufruf zur Subskription einer Druckausgabe von Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe einer Relektüre und gelangte durch eine geistesgeschichtliche Kontextualisierung zu einer Neuinterpretation des von Nägeli auf Bach applizierten Begriffs des ‚Absoluten‘ jenseits der damals verbreiteten kunstreligiösen Auffassungen.

Den zweiten Symposiumstag eröffnete Bernhard Hangartner (Zürich) mit seinem Referat Steiner / Bachofen / Schmidlin / Egli – Haus-, Stadt- und Kirchenmusik am Ende des 17. und im Laufe des 18. Jahrhunderts. Er beleuchtete die sozialgeschichtliche Dimension des Zürcher Musiklebens und verwies insbesondere auf die bisher zu Unrecht marginalisierte Bedeutung des Musikunterrichts in Schulen für die geistliche Musikpraxis, die damals nach wie vor im privaten bzw. halböffentlichen Rahmen und nicht in der Kirche zu suchen war. In seinem Beitrag Die Epiphanie der Kirchenorgel im zwinglianischen Zürich zeichnete Michael Meyer Zwinglis Orgelverbot und seine Überwindung im 19. Jahrhundert anhand von Diskussionen um die Orgelfrage nach, die in diversen Quellen überliefert sind. Der Vortrag skizzierte das soziokulturelle Klima zur Zeit der Wiedereinführung der Orgel und verwies im Zusammenhang mit den zahlreich überlieferten Rechtfertigungsschriften der Wiedereinführung des liturgischen Orgelspiels auf kunstreligiöse Strömungen.

Über Heinrich Natters Zwingli-Denkmal vor der Zürcher Wasserkirche und über die Musik anlässlich des Fests seiner Errichtung im Jahr 1885 referierte Louis Delpech (Zürich). In seinem Vortrag mit dem Titel „Zwingli, sprich“: Gustav Weber und seine Festkantate von 1885 gab er am Beispiel der vom damaligen Grossmünsterorganisten auf einen Text Conrad Ferdinand Meyers komponierten und kaum bekannten Kantate einen eindrucksvollen Einblick in die öffentliche Geschichts- und Erinnerungskultur im Zürich des späten 19. Jahrhunderts. Der letzte Symposiumsbeitrag über „nur das anerkannt Beste...“ – Der Einzug des reformierten Chorgesangs in die Zürcher Kirchen im 19. Jahrhundert stammte von Emanuel Signer (Cambridge) und betrat ein von der Forschung bislang vernachlässigtes Terrain. Signer zeigte etwa am Beispiel des reformierten Pfarrers Johann Peter Lange, wie die Einführung von Chormusik im Gottesdienst theologisch als Ausdruck des christlichen Gemeinschaftsideals legitimiert wurde und erläuterte daneben auch sozialgeschichtliche Aspekte im Zusammenhang mit den sich formierenden Kirchengesangsvereinen.

Die beiden flankierenden musikalischen Veranstaltungen spiegelten die Konzeption des Symposiums: Am Abend des 25. Mai präsentierte das Forum Alte Musik Zürich unter dem Motto Zwinglis Instrumente – ein Haus voller Musik in vier Räumen des Kulturhauses Helferei ein gänzlich der Musik um 1500 gewidmetes Wandelkonzert des Ensemble Leones. Am Nachmittag des 26. Mai wurde im Rahmen des mittlerweile traditionsreichen Zürcher Orgelspaziergangs in vier Zürcher Kirchen (Grossmünster, St. Peter, Augustinerkirche und Fraumünster) Musik aus dem 16. bis 19. Jahrhundert geboten, wobei auch Turicensia wie die erwähnte Zwingli-Kantate Gustav Webers erklangen. Moderiert wurde der Spaziergang von Michael Meyer. Die Publikation der Symposiumsbeiträge ist in Vorbereitung.