Aufklärung! Musik und Geschlecht im 18. Jahrhundert

Hamburg, 24.-27.05.2018

Von Jonas Spieker, Detmold/Paderborn – 31.08.2018 | Unter dem Titel „Aufklärung! Musik und Geschlecht im 18. Jahrhundert“ veranstaltete die Fachgruppe Frauen- und Genderstudien der Gesellschaft für Musikforschung ein internationales Symposium am Institut für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg. Die Tagung widmete sich einem Themenfeld, das in der deutschsprachigen Genderforschung bisher weniger prominent vertreten ist. Aus diesem Grund bot das Programm ganz bewusst eine große inhaltliche Bandbreite – „Aufklärung!“ wollte sich somit auch als Aufforderung zur Vernetzung verstanden wissen, wie die Initiatorinnen der Tagung, Katharina Hottmann (Hamburg) und Cornelia Bartsch (Oldenburg), in ihrer Begrüßung betonten.

Das erste Panel „Körper, Komposition und Ästhetik“ eröffnete Susan Wollenberg (Oxford). Sie beschäftigte sich mit der Frage, ob und inwiefern Komponistinnen des 18. Jahrhunderts und ihren Werken ein „Classical style“ zugesprochen werden kann. Aufgrund der kompositorischen Qualität dreier Fallbeispiele bejahte sie die Frage – unter der Voraussetzung eines an Stilfragen orientierten Verständnisses des Begriffs, das stets auch die musikkulturellen Handlungsräume von Frauen im 18. Jahrhundert mit einbezieht. Reich an Anregungen war danach Cornelia Bartschs Vortrag über die Rolle von Frauen als „Kippfiguren“ bei der Genese musikalischer Wissensordnungen im 18. Jahrhundert. Der metaphorische Bezug auf den weiblichen Körper fungiert in den Diskursen um den Vorrang der Melodie vor der Harmonie, etwa bei Rousseau oder Herder, als ästhetisches Legitimationsargument. Die Frau wird so zwar Teil der Narrative, doch bleibt ihr durch dieses Vorgelagert-Sein eine wirkliche Teilhabe letztlich verwehrt. Dem vielschichtigen Verhältnis von Emotionen- und Geschlechtergeschichte im Zeitalter der Spätaufklärung widmete sich die Historikerin Claudia Opitz-Belakhal (Basel) in der ersten Keynote des Symposiums. An Selbstzeugnissen und den Diskursen über Emotionen, Geschlecht und Liebe zeigte sie, dass es sich beim emotionalen Stil des 18. Jahrhunderts eher um ein epochen- als ein geschlechterspezifisches Konstrukt handelte. Eine geschlechtsbezogene Zuschreibung von Emotionalität sei vielmehr Ergebnis eines Prozesses, der wesentlich erst im 19. Jahrhundert zu verorten ist.

Den Auftakt zum zweiten Themenfeld „Galanterie und Empfindsamkeit“ machte ein Referat Martin Loesers (Greifswald), verlesen von Birgit Kiupel, über den Einfluss des bürgerlichen Galanterie-Ideals auf das Verhältnis der Geschlechter. Die in diesem Kontext verhandelten Frauentypen der „galante femme“ und der „coquette“ lassen sich wiederum auch als Modelle in den zeitgenössischen Diskussionen über Musik nachweisen. Ivana Rentsch (Hamburg) zeigte, wie der Galanteriebegriff von einem philosophisch begründeten Kommunikationsmodell hin zum oberflächlichen Modewort im Deutschland des 18. Jahrhunderts eine Abwertung erfuhr. Die damit einhergehende Verengung des Galanten auf die Frau spiegelt sich auch innerhalb eines ästhetischen Paradigmenwechsels in der Musik. Unter besonderer Berücksichtigung sich verändernder Aufführungskulturen zeichnete Katharina Hottmann gattungs- und mentalitätsgeschichtliche Transformationsprozesse nach, indem sie die Rolle von geschlechtsbezogenen und erotisierenden Darstellungen von Kindern im Lied des 18. Jahrhunderts untersuchte. Dabei konzentrierte sie sich besonders auf anakreontische Lieder, die wiederum einen Programmschwerpunkt in dem Konzert bildeten, das den ersten Konferenztag beschloss: Dort wurden längst vergessene Lieder, unter anderem von Johann Valentin Görner, Adolph Carl Kuntzen und Knuth Lambo durch Studierende der Hochschulen für Musik Hamburg und Bremen wieder zum Leben erweckt und das Publikum schließlich – ganz im Sinne der kommunikativen Musizierpraxis des 18. Jahrhunderts – zum Mitsingen in den Rundgesängen ermuntert. Zuvor hatte Stefanie Acquavella-Rauch (Mainz) anhand von Quellenstudien einen Einblick in die Praxis aufgeklärter musikalischer Erziehung gegeben, wie sie Philippine von Knigge durch ihren Vater Adolph erfuhr, und insbesondere auf die (musik)kulturellen Handlungsräume verwiesen, die von Knigge so erschlossen wurden.

Die dritte Sektion der Tagung widmete sich Musik und Geschlecht im Kontext von Bühne und Leben. An der musikdramaturgischen Gestaltung des Finales von Mozarts und Da Pontes Così fan tutte verdeutlichte Anno Mungen (Bayreuth), wie die Opera buffa als moderne, lebensnahe Gattung einen Verhandlungsraum für den Liebes-, Ehe- und Sexualitätsdiskurs im ausgehenden 18. Jahrhundert bot. Birgit Kiupel (Hamburg) betonte, dass die Diskurse der Frühaufklärung über Geschlecht und Ehe in fest geordnete patriarchale Strukturen eingebettet waren. Die Beschäftigung mit Opern ermöglicht daher einen Blick auf die in diesem Spannungsfeld zutage tretenden Konflikte, wie sie an Libretti aus der Zeit der Hamburger Gänsemarktoper zeigen konnte. Wie groß der konstitutive Anteil von Sängerinnen an Konzeption und Rezeption der italienischen Opern Ende des 18. Jahrhunderts war, verdeutlichte Carola Bebermeier (Köln) exemplarisch an der produktiven Zusammenarbeit von Celeste Coltellini und Giovanni Paisiello, für deren Erfolgsgeschichte ganz besonders die Oper Nina ossie La pazza per amore Pate steht. Einen Einblick in Biographien und damit auch in die verschiedenen Berufsfelder von Frauen auf und hinter den deutschen Theater- und Singspielbühnen des 18. Jahrhunderts gab Cristina Urchueguía (Bern). Das Panel „Bühne und Leben“ beschloss an diesem Tag Reinhard Strohm (Oxford) mit der zweiten Keynote der Tagung. Er beleuchtete die Darstellung von Frauen auf der Opernbühne vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Aufklärungsprozesse anhand der drei Librettisten Metastasio, Friedrich II. und Da Ponte. Dabei zeigte sich bei allen dreien eine Gemeinsamkeit – letztlich sind und bleiben es „männliche Brillen“, das heißt: männliche Narrative, durch die Fragen nach gesellschaftlicher Umgestaltung verhandelt wurden.

Das vierte Tagungspanel stand unter dem Motto „Musikerinnen, Markt und Medien“. Frühe Beschäftigungsverhältnisse von Frauen an deutschen Höfen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationsprozesse untersuchte Beate Sorg (Darmstadt) am Beispiel des Darmstädter Hofes. Dort fanden gleich drei Sopranistinnen Anfang des 18. Jahrhunderts eine Anstellung, die nicht nur auf der Opernbühne, sondern auch in der städtischen Kirchenmusik mitwirkten. Angelika Moths (Hamburg) stellte die Besonderheit von Johann Michael Pfeiffers 1785 erschienener La Bambina al Cembalo als explizit für ein Kind konzipierte Klavierschule heraus und gab Einblicke in die musikalische Erziehung Elizabeth Wynnes, für die der Komponist das Werk schrieb. Inwiefern sich der Geschlechterdiskurs im Musikinstrument verdichtet, konnte Susanne Schrage (Köln) überzeugend anhand zeitgenössischer Überlegungen zum Klangideal der Traversflöte im 18. Jahrhundert (bei Quantz und Tromlitz) darstellen. Am Beispiel des venezianischen Notenverlags Luigi Marescalchi zeigte Vera Grund (Detmold/Paderborn), wie Musikdrucke von Opern und deren internationaler Vertrieb als Medium von Geschlechterbildern und Emotionsmodellen fungierten.

Den folgenden Themenblock „Wissensordnungen der Musik“ eröffnete Michael Maul (Leipzig). Mittels genealogischer und archivalischer Untersuchungen formulierte er – ausgehend von Georg Christian Lehms 1715 erschienenem Frauenlexikon Teutschlands Galante Poetinnen – die These, dass Frauen aus bürgerlichen Kontexten im frühaufklärerischen Leipzig schon eine Generation vor der Gottschedin und der Zieglerin dichterisch am musikkulturellen Leben der Stadt Anteil hatten. Rebecca Grotjahn (Detmold/Paderborn) unternahm in ihrem Vortrag einen „Versuch über die Männlichkeit Johann Sebastian Bachs“ anhand der Analyse seines musikalischen Handelns: Nicht nur, dass Bach sich in den frühaufklärerischen Kreisen Leipzigs bewegte; seine Vertonungen Zieglerscher Kantatentexte belegen, dass er in den Diskursen über Musik und Geschlecht aktiv Stellung bezog. Ina Knoth (Hamburg) zeigte anhand englischer Wochenzeitschriften, dass die musikalische Ausbildung gehobener Töchter zwar wesentlicher Bestandteil bürgerlicher Erziehung war, aber in der öffentlichen Darstellung eine untergeordnete Rolle spielte. Matthew Head (London) gab einen Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Literatur der letzten Jahre zu Komponistinnen des 18. Jahrhunderts und plädierte dafür, sich wieder vermehrt deren Musik zuzuwenden – gerade unter Einbezug der neu errungenen Methoden und Erkenntnisse der Gender Studies.

Im letzten Panel zu „Biographik, Familie und Generation“ sprach Gesa Finke (Hannover) über Musikerfamilien des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der mit der Aufklärung einhergehenden lebensweltlichen Strukturwandel. Welcher musikalische Handlungsraum Frauen in diesen als Netzwerk konzipierten Familien zugesprochen wurde, beleuchtete sie exemplarisch am Beispiel von Margarethe Danzi und Franziska Lebrun. Welche Vorstellung von Künstlerschaft innerhalb der aufgeklärten Musikerfamilien um 1800 denkbar war und wie sich der zur selben Zeit sich etablierende Geniebegriff davon absetzt, untersuchte wiederum Melanie Unseld (Wien). Dadurch machte sie deutlich, dass wir allzu leicht Gefahr laufen, auf eben jenes Spannungsfeld ein aus dem 19. Jahrhundert überkommenes Familienkonzept zu projizieren. Mit Blick zurück auf ihre vor 25 Jahren veröffentlichte Biographie über Anna Maria Mozart und die Umwälzungen, die sich seitdem in der Biographie- und Geschlechterforschung vollzogen haben, vertrat Eva Rieger (Vaduz) die These, auch heute noch hätten chronologisch erzählte Biographien eine Berechtigung: Die Methode allein mache noch nicht die Qualität einer Biographie aus, sondern die Erkenntnisse, die sie vermittelt.

Insgesamt zeigte die Vielseitigkeit der Tagungsbeiträge zum Thema Musik und Geschlecht im 18. Jahrhundert, wie viel Potenzial für die Forschung in diesem Bereich liegt. Interessant für künftige Auseinandersetzungen dürften nicht zuletzt eine noch stärkere internationale Ausrichtung und der vertiefte Einbezug kulturwissenschaftlicher Ansätze sein. Auf die Abwesenheit von Beiträgen speziell in den Themenfeldern „Frömmigkeit und Säkularisierung“ und „Musik und Sprache“, die für das Nachdenken über Musik, Geschlecht und Aufklärung ebenso fruchtbar sein dürften, verwies überdies noch Katharina Hoffmann im abschließenden Round Table. Dort wurden zentrale Gedanken und Anregungen der vergangenen Tage von Beatrix Borchard (Hamburg), Matthew Head, Corinna Herr (Bochum), Nina Noeske (Hamburg) und Susan Wollenberg aufgegriffen und im Plenum diskutiert. Dabei setzte sich die konstruktive und angenehme Diskussionskultur fort, die während der gesamten Tagung gepflegt wurde.

Eine Publikation der Beiträge ist in Planung.