Textmaterial im zeitgenössischen Musiktheater
Graz, 26.-27.11.2021
Von Léa Moullet, Graz – 10.12.2021 | Die Tagung des Instituts für Musikästhetik der Kunstuniversität Graz ging von der Feststellung aus, dass das traditionelle Libretto heute nicht mehr gängig und mit Blick auf das zeitgenössische Musiktheater eher von Textmaterial zu sprechen ist. Dessen Entstehungsprozess und seine schriftlichen Quellen haben sich stark verändert. Die neuen Medien bieten darüber hinaus die Möglichkeit, einen Text szenisch zu präsentieren, teilweise sind auch Kooperationen zwischen Komponierenden und Schriftsteller*innen entstanden.
Bei der Online-Tagung waren Vortragende und Teilnehmende aus den Fächern Musikwissenschaft, Gesang, Dramaturgie und Regie sowie Komposition vertreten. Referierende und Zuhörende nutzten die Möglichkeit, über neue Funktionen des Textes im Theater sowie im Musiktheater nachzudenken, ihre Erfahrungen und Meinungen auszutauschen und Werke sowie deren kreativen Prozess zu analysieren. Die Konferenz wurde organisiert und moderiert von Christa Brüstle, Musikwissenschaftlerin am Institut für Musikästhetik.
Die Referate wurden von zwei Round Table-Diskussionen gerahmt. Beim ersten Round Table diskutierten die Schauspielerin, Buchautorin und Regisseurin Adriana Altaras, der Sänger Holger Falk, die Dramaturgin Corinna Jarosch, der Komponist Klaus Lang und der Regisseur Christoph Zauner über Text und Interpretation im Musiktheater, über die Bedeutung des Textes für das Einstudieren einer Rolle sowie über die Rolle der Textstruktur für das Komponieren von Musik.
Der erste Nachmittag begann mit einem Vortrag der Theaterwissenschaftlerin Regine Elzenheimer über die Texte, die in Helmut Lachenmanns Musiktheater Das Mädchen mit den Schwefelhölzern verwendet werden. Auf diesen Vortrag respondierte die Theaterwissenschaftlerin Gabriele C. Pfeiffer.
Sodann stellte der Musikwissenschaftler und Komponist Leo Dick (Hochschule der Künste Bern) ein Werk des Studierenden Johannes Werner vor, das die Wirkung von ASMR-Videoclips thematisiert, die eine große (klangliche) Intimität herstellen und als Refugium der akustischen Sensibilität in der Digitalwelt betrachtet werden können. Der Text spielt hier eine Rolle bei der Simulation von Intimität. Als Respondentin diskutierte Regine Elzenheimer das Problem von Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen, die hier drohen.
Der zweite Tag begann mit einem Vortrag Jörn Peter Hiekels über die Kooperation zwischen dem Komponisten Enno Poppe und dem Schriftsteller Marcel Beyer. Bei der gemeinsamen Arbeit der beiden Künstler entstünden Integrationswerke, die räumliche Inszenierung einschlössen, so Hiekel.
Der Vortrag des Dramaturgen Moritz Lobeck befasste sich mit Werken der Komponistin Brigitta Muntendorf. Lobeck ging auf die Nutzung der digitalen Medien ein und sprach über die Bedeutung einer „digitalen Melancholie“. Christa Brüstle lotete in ihrer Respondenz die Möglichkeiten der Virtualität und Hybridisierung im Musiktheater aus.
Der Musikwissenschaftler und Regisseur Matthias Rebstock stellte im anschließenden Vortrag seine gemeinsamen Arbeitsprozesse mit der Komponistin Elena Mendoza vor. Die Entwicklung eines Musiktheaterprojekts findet hier im Wesentlichen während der Proben statt. Durch eine Reduzierung des Textes wird auch Raum für Improvisation gelassen. In seiner Respondenz betonte der Tanz- und Theaterwissenschaftler Eike Wittrock die Schwierigkeit, Oper und freie Szene zu kombinieren, sowohl in ökonomischer wie in organisatorischer Hinsicht.
Im abschließenden Round Table diskutierten die Komponistinnen Pia Palme und Feliz Macahis, der Komponist Georg Nussbaumer sowie der Sänger Tom Sol das Thema „Wandlungen von Textformaten im Musiktheater“. Verschiedene Möglichkeiten, Texte kompositorisch zu verwenden, wurden vorgestellt und besprochen. Auch die Partitur wurde als Textmaterial definiert und die Bedeutung der Notation als Mittel zur Aktivierung von Aufführenden erörtert.