Zwischen Stimmungen und Mysterien: Die ‚Rosenkranzsonaten‘ von H. I. F. Biber

Regensburg, 26.05.2023

Von Patrick Ohnesorg und Rebekka Sandersfeld, Regensburg – 16.09.2023 | Heinrich Ignaz Franz von Bibers Rosenkranzsonaten sind – obwohl selten zur Gänze aufgeführt – eines der wohl facettenreichsten Werke für Solo-Violine und dadurch für fachübergreifende Betrachtungen besonders interessant. Es war damit regelrecht naheliegend, die Aufführung dieses Werks in drei Teilkonzerten im Rahmen der Tage Alter Musik (TAM) 2023 durch Les Passions de lʼÂme zum Anlass für eine interdisziplinäre Tagung zu nehmen. In Zusammenarbeit mit dem alljährlich zu Pfingsten in Regensburg stattfindenden, internationalen Festival wurde sie organisiert durch Michael Braun vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Regensburg und ging am 26. Mai 2023 der Aufführung der Sonaten voraus. Tagungsort war der Bonhoeffersaal des Evangelischen Bildungswerks in der Regensburger Altstadt.

Seine kurze Einführung nutzte Michael Braun dazu, grundlegende Informationen zu Komponist und Werk zu vermitteln und den einzigartigen Facettenreichtum der Rosenkranzsonaten darzustellen: Der Zyklus, der sich in die drei Gruppen der freudenreichen, der schmerzhaften und der glorreichen Geheimnisse sowie eine Passacaglia unterteilen lässt, vereinigt über die Musik hinaus Aspekte wie die kreative Verwendung der Skordaturtechnik, den programmatischen, auf Lebens- und Leidensgeschichte Jesu bezugnehmenden Gehalt der im Autograph (D-Mbs Mus.Ms. 4123) den Sonaten jeweils vorangestellten Kupferstiche und einen starken Bezug zur Gegenreformation. Obwohl die Titelseite der Handschrift fehlt, gibt eine ausführliche Widmung Aufschluss über den Widmungsträger Max Gandolph und dessen Faszination für die Jungfrau Maria, welche besonders im Hinblick auf Marienbruderschaften immer wieder in der Forschung aufgegriffen wird. Einige dieser unterschiedlichen Aspekte, die die Rosenkranzsonaten zu einem einzigartigen Werk machen, wurden in den Vorträgen der Tagung weiter vertieft.

Marianne Rônez (Wien) thematisierte Geschichte und Verbreitung der Skordatur und griff hierfür einige der frühesten bekannten Kompositionsbeispiele auf. Als Violinistin mit weitreichenden Kenntnissen auf dem Gebiet historischer Spieltechniken sowie Aufnahme- und Konzerterfahrung mit den Rosenkranzsonaten hat Rônez einen unmittelbaren Bezug zu den Kompositionen und konnte insbesondere bei der Schilderung der durch die Skordaturen unterstützten Affekte innerhalb der Rosenkranzsonaten auch auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen. So schilderte sie ihre Gedanken zur Skordaturwirkung insbesondere in Bezug auf die Kreuzigungs- (X.) und Auferstehungssonate (XI.) anschaulich.

Die liturgiewissenschaftlichen Hintergründe des Rosenkranzes schilderte Harald Buchinger (Regensburg) in seinem Vortrag über „Geschichte, Gestalt und Funktion“ der Rosenkranzfrömmigkeit. Dabei erklärte er nicht nur den Aufbau und die Geschichte des als Meditation und Verinnerlichung zu verstehenden Rosenkranzgebets, sondern erläuterte insbesondere seine Bedeutung während der Reformationszeit und innerhalb der Rosenkranz-Bruderschaften.

Aufschlussreiche Einblicke in die Herausforderungen der Interpretation und Aufführung bot der Vortrag von Meret Lüthi (Bern). Sie ist Violinsolistin und Konzertmeisterin des Ensembles Les Passions de lʼÂme, mit dem sie die Rosenkranzsonaten bereits im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk aufgenommen hat. Lüthi schilderte ihren individuellen Weg zur Interpretation des Sonatenzyklus, der mit der Sonata representativa und ihrer persönlichen Faszination für die kreative Verwendung von Skordaturen begonnen hatte. Zur Recherche und Auseinandersetzung mit dem Werk zählte z. B. die Analyse der Kupferstiche aus dem Autograph in Zusammenarbeit mit einem Kunsthistoriker, um den programmatischen Gehalt der Sonaten zu erschließen und einen ikonographischen Schlüssel zu erarbeiten. Auch erläuterte sie Rückbezüge und Zitate, die beim Einstudieren des ganzen Zyklusʼ offenkundig werden. So machte Lüthi u. a. auf innerzyklische Relationen aufmerksam, beispielsweise auf musikalische Elemente aus der ersten Sonate, die im Finale der neunten Sonate wieder auftreten, außerdem auf die Integration von Zitaten gegenreformatorischen Liedguts. Schließlich stellte Lüthi ihre beiden Instrumente vor, eine Geige des Instrumentenbauers und Biber-Zeitgenossen Jakob Stainer aus dem Jahre 1659 und einen Guarneri-Nachbau, und ging dabei auch auf ihren Umgang mit den Skordaturen während des Auftritts ein.

Über „Rosenkränze der frühen Neuzeit, Frömmigkeit und materielle Kultur im religiösen Alltag“ sprach anschließend die Historikerin Anne Mariss (Regensburg). Sie beschrieb den Rosenkranz als wichtiges Phänomen des späten Mittelalters. Grund hierfür war u. a. die steigende Verbreitung von Frömmigkeit, Wallfahrten und Institutionen wie marianischen Bruderschaften. Die Bedeutung Letzterer in Bezug auf das Einüben und Praktizieren des Rosenkranzes, aber u. a. auch ihren sozio-ökonomischen Hintergrund führte sie dabei besonders aus. So kamen als Gründer der Bruderschaften sowohl weltliche als auch geistliche Personen infrage, die die Gründungen als großen feierlichen Akt zelebrierten, an dem Würdenträger, Handwerkszünfte und Bürger beteiligt waren. Auf den Rosenkranz als materiellen Träger von Frömmigkeitsgeschichte ging sie anhand einzelner Abbildungen historischer Rosenkranzketten ein.

Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag von Thomas Drescher (Basel), der einen musikanalytischen Blick auf die Rosenkranzsonaten warf. Zyklusübergreifend erläuterte er formale Aspekte sowie wiederkehrende gestalterische Merkmale wie die Kantabilität der Gattung der instrumentalen Aria. Auch die Thematik symbolisch aufgeladener Zahlenverhältnisse, die allerdings nicht auf der hörbaren, sondern nur auf der schriftlichen Ebene wahrnehmbar sind, sprach er mit Verweis auf Dieter Haberls Dissertation Ordo arithmeticus und die darin enthaltene Diskussion von Zahlbezügen an. Anschließend beleuchtete er einige Details, etwa die rhetorische Anlage der Aria der ersten Sonate als Signaturstück. An dieser Struktur erläuterte er außerdem die Integration improvisatorisch anmutender Elemente in der Violinstimme.

Am selben Abend wurden die TAM eröffnet, in deren Rahmen Meret Lüthi und Les Passions de lʼÂme die Rosenkranzsonaten am Samstag und Sonntag (27./28.5.) präsentierten. Der begleitende Generalbasspart wurde in wechselnden Konstellationen gespielt. Das Umstimmen der Geige auf der Bühne als Einstimmung auf die nächste Sonate und ihren Inhalt war besonders eindrücklich, aber auch zahlreiche andere Aspekte aus den Vorträgen der Tagung konnten „zwischen Stimmungen und Mysterien“ herausgehört oder mitgedacht werden und bereicherten das Konzerterlebnis.