Mensch Musik Maschine: Johann Nepomuk Mälzel (1772–1838)

Regensburg, 04.11.2022

Von Simon Hensel – 22.01.2023 | Zum 250. Geburtstag des Regensburger Erfinders lud das örtliche Institut für Musikwissenschaft am 4. November dieses Jahres zu einem Symposium in dessen Geburtsstadt ein. Dieses fand im Konzertsaal des städtischen Hauses der Musik statt. Im Zusammenhang mit dem Symposium war bereits im August 2022 eine Ausstellung unter gleichem Namen im Historischen Museum der Stadt eröffnet worden. In dieser Ausstellung wurden mechanische Instrumente, Automaten und Apparate aus der hauseigenen Sammlung und der der Universität Regensburg ausgestellt. Einige der Ausstellungsstücke standen im direkten Zusammenhang mit Mälzel, wie etwa ein Exemplar des von ihm patentierten Metronoms und ein Replikat eines der für Ludwig von Beethoven eigens angefertigten Hörrohre. Konzipiert wurde die Ausstellung von Michael Wackerbauer vom Regensburger Institut für Musikwissenschaft, der auch das Symposium zusammen Katelijne Schiltz organisierte.

Die Organisator*innen eröffneten das Symposium mit einer kurzen Einführung in die verschiedenen Facetten von Mälzels Werdegang als Erfinder, Geschäftsmann und Schausteller, sowie die Bandbreite seiner Erfindungen, die von Musikautomaten, über musikalische Androide bis hin zu medizinischen Prothesen reichten. In diesem Zuge verwiesen sie auf verschiedene Forschungsfragen, die sich in darauffolgenden Vorträgen widerspiegeln sollten: In welchen Metiers agierte Mälzel und welche Rollen nahm er ein? Wie wurden er und seine Erfindungen von Zeitgenoss*innen rezipiert? Welche Bedeutung hatte und hat sein Schaffen im 20. und 21. Jahrhundert? Den Anfang machte Rebecca Wolf (Staatliches Institut für Musikforschung Berlin) mit einer Betrachtung verschiedener Erfindungen Mälzels vor dem Hintergrund des Werks E.T.A Hoffmanns. Hier wurden bereits zwei Apparate betrachtet, die im Laufe des Symposiums immer wieder von den Vortagenden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurden: der sogenannte „Schachautomat“ (auch „Schachtürke“) und der humanoide Trompetenautomat. Nicht ein Trompete spielender, aber dafür ein singender Android – die Puppe der Olimpia – findet sich beispielsweise in Hoffmanns Sandmann wieder. Der Medienwissenschaftler Bernhard Dotzler (Regensburg) schloss hieran beinah nahtlos an, indem er Mälzels Erfindungen auf deren Showeffekt hin untersuchte. So war der bereits erwähnte „Schachautomat“ – die Puppe eines stereotypisierten Türken, gegen die Mälzels Publikum antreten konnte – gar kein Automat, da sich im Schachtisch ein Mensch verbarg, der die Puppe steuerte. Demnach wurde Mälzel von Dotzler weniger als Erfinder, sondern vielmehr als Inszenator eines „medialen Scheins“ betrachtet. Die erste Hälfte des Symposiums schloss Michael Wackerbauer mit einer Betrachtung von Mälzels Nachleben in den 1920er Jahren ab, wo im Zuge der Neuen Sachlichkeit ein gesteigertes Interesse für neue Medien, aber auch mechanische Instrumente entstand. So wurden im Rahmen der damaligen Donaueschinger Musiktage Werke für Erfindungen wie das automatische Welte-Mignon-Klavier aufgeführt, das mit Lochstreifen als Datenträger arbeitete, wie es auch viele von Mälzels musikalischen Automaten taten. In diesem Kontext beleuchtete Wackerbauer auch die Rezeption automatischer Instrumente, die zwischen Begeisterung für die neuen technischen Möglichkeiten und zynischen Beschwörungen eines Siegs der musikalischen Maschinen über das menschliche Musizieren pendelte.

Die zweite Hälfte des Symposiums wurde durch ein Referat von Katharina Preller (Augsburg) über die viel diskutierten, scheinbar falschen Metronomangaben in Werken des 19. Jahrhunderts – vor allem Beethovens ­– eröffnet. Da die Autorin leider nicht an der Tagung teilnehmen konnte, wurde das Referat von Michael Braun (Regensburg) vorgetragen. Preller präsentierte verschiedene Lösungsvorschläge für die als zu langsam oder zu schnell verstandenen Metronomangaben, wobei sie einen ungenauen Ablesewinkel als wahrscheinlichsten Fehler ausmachte. Einen in technischer Hinsicht sehr zeitgemäßen Blickwinkel auf Mälzels Erbe bot der Vortrag von Birte Emmermann und Klaus Bengler (München). Als Ergonomen stellten sie eine Kategorisierung verschiedener Arten von Mensch-Maschine-Interaktionen vor und besprach diese anhand von zeitgenössischen Beispielen aus dem Gebiet der Robotik, welche sie wiederum in Bezug zu Mälzels (Musik)Automaten setzten. Dabei kamen sie auch u.a. auf den Showeffekt dieser Erfindungen zurück, indem sie die Illusion des „Schachautomaten“ mit einem Experiment verglichen, in welchem die Proband*innen mit einem ferngesteuerten, sich aber scheinbar autonom fortbewegenden Roboter interagieren sollten. Eine ebenfalls technische Perspektive auf Mälzels Erfindungen bzw. Patente präsentierten Silke Berdux und Alexander Steinbeißer (Deutsches Museum München), die die mechanischen Abläufe künstlicher Spracherzeugung bei verschiedenen Automaten und Puppen aus Mälzels Zeit darlegten. In diesem Zusammenhang stellten sie beim anschließenden Besuch der begleitenden Ausstellung einen Nachbau des Sprechapparats von Wolfang von Kempelen vor. Der Sprechapparat selbst ist keineswegs ein Automat, da dieser mit beiden Händen bedient werden muss, um verschiedene Laute zu erzeugen, was die Teilnehmenden des Symposiums auch selbst ausprobieren konnten.

Abgerundet wurde das Symposium mit einem Festkonzert des Symphonieorchesters der Universität Regensburg im örtlichen Audimax, welches Ausschnitte aus verschiedensten Werken präsentierte, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit Mälzels Schaffen standen. So wurde der zweite Satz aus Joseph Haydns 100. Symphonie aufgeführt, da diese bei einem Konzert von Mälzels Panharmonikon, einer Art „Orchesterautomat“ gespielt wurde. Ebenso gab es den zweiten Teil aus Ludwig van Beethovens Wellingtons Sieg zu hören, welches eigens für diese Erfindung komponiert wurde, jedoch nie durch sie zur Aufführung kam. Einen indirekteren Bezug wies beispielsweise die „Arie der Olympia“ aus Jaques Offenbachs Oper Les contes d’Hoffmann auf, die äußerst virtuos von Nayun Lea Kim vorgetragen wurde. Ein weiteres Highlight stellte György Ligetis Poèm symphonique für 100 mechanische Metronome dar, welches aufgrund der benötigten Anzahl an Exemplaren von Mälzels Taktmesser nur selten zur Aufführung gelangt. In diesem Werk kommt wiederum das illusionistische Potenzial von Mälzels Maschinen zum Vorschein: Das zu Beginn chaotische Zusammenklingen der scheinbar automatisch ablaufenden, jedoch von Menschenhand ausgelösten Metronome lichtet sich mit der Zeit immer weiter, bevor auch das letzte Pendel in der Illusion eines kompositorisch geplanten musikalischen Bogens zum Stehen kommt.